Eilfertig angepasst

Der Geschichtsstreit um den ersten GEW-Vorsitzenden Max Traeger.

  • Axel Berger
  • Lesedauer: 6 Min.

Schnöde endete am 27. April 1933 die Geschichte des ältesten deutschen Lehrerverbandes. Auf einer eiligen Mitgliederversammlung beschloss die seit 1805 bestehende Hamburger «Gesellschaft der Freunde des vaterländischen Schul- und Erziehungswesens» ihren Eintritt in den «Nationalsozialistischen Lehrerbund» (NSLB) - in kaum einer Stunde Tagungszeit und ohne öffentliche Aussprache. Nur eine Handvoll kommunistischer Pädagogen um den später hingerichteten Rudolf Klug widersetzten sich dem Antrag, die über 4000 Mitglieder zählende Interessengemeinschaft an die neuen Machthaber zu binden.

Von einer «glückhaften Synthese (…) zu geschlossenem deutschem Volkstum» sprach dagegen Gustav Küchler, der scheidende Erste Vorsitzende der Gesellschaft, in seiner Abschlussrede. In diesem Sinne solle es Gelingen, «das bewährte Alte mit dem Neuen zu vermählen». Schier «nicht enden wollenden Beifall» verzeichnet das Protokoll. Die traditionsreiche Gesellschaft war damit dem Deutschen Lehrerverein (DLV), dem sie als Hamburger Sektion angehörte und der bereits gut zwei Wochen zuvor seine Eingliederung in den NSLB beschlossen hatte, in die Gleichschaltung gefolgt.

Überraschend kam das dennoch. Bildeten die «Freunde», wie die Mitglieder ihren Verein liebevoll nannten, doch mit den Verbänden aus Sachsen und Bremen diejenige Gruppe innerhalb des DLV, die der schon seit geraumer Zeit anhaltenden Annäherung an die NSDAP bisher Widerstand entgegengesetzt hatte. Bis dahin hatten sich die «Freunde» für reformpädagogische Unterrichtskonzepte und die Einheitsschule ausgesprochen, während sie militärische Früherziehung oder die Prügelstrafe dezidiert angelehnt hatten. Die allermeisten ihrer gewählten Vertreter fühlten sich den in Hamburg seit 1919 durchgängig regierenden Sozialdemokraten oder Liberalen zugehörig, während der NSLB in der Hansestadt noch Anfang 1933 kaum 90 Mitglieder zählte. In der verbandseigenen Hamburger Lehrerzeitung waren noch bis in den März 1933 hinein fast ausschließlich ablehnende Artikel über die politische Rechte publiziert worden. Und auf dem Rostocker Verbandstag des DLV im Mai 1932, auf dem sich die Hinwendung der meisten Landesverbände zur neuen starken Partei in Deutschland schon offen manifestierte, hatten die «Freunde» im Bunde mit den sächsischen und Bremer Kollegen «mit aller Schärfe gegen alle Bestrebungen» protestiert, die Demokratie durch die Diktatur zu ersetzen«.

Wie also ist dieses jähe Umschwenken der Funktionsträger - und letztlich auch übergroßer Teile der Mitgliedschaft - im Frühjahr 1933 zu erklären? Dieser Frage geht der an der Hamburger Forschungsstelle für Zeitgeschichte tätige Historiker Marcel Bois in seiner neuen Studie »Volksschullehrer zwischen Anpassung und Opposition« nach.

Diese Studie ist einem vor einigen Jahren erbittert geführten Streit in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) zu verdanken, zu deren Vorgängerorganisationen auch die »Freunde« zu zählen sind. Vor allem die Person Max Traegers, des ersten Bundesvorsitzenden der GEW stand im Mittelpunkt dieser Debatte um eine allzu große Anpassungsbereitschaft an die nationalsozialistischen Machthaber. Denn Traeger war seit den 1920er Jahren langjähriger Funktionär und zeitweise auch Vorsitzender der »Gesellschaft der Freunde« gewesen.

Der Streit gipfelte in der vor allem von studentischen GEW-Mitgliedern vorgebrachten Forderung nach einer Umbenennung der nach Traeger benannten Gewerkschaftsstiftung. Vor drei Jahren schließlich wurde der Historiker Bois von der Hamburger GEW beauftragt, die Haltung von Vorstand und Mitgliedschaft der »Gesellschaft der Freunde« auf ihr »Verhältnis gegenüber der NS-Ideologie und der NS-Politik« zu überprüfen. So sollte jener Streit versachlicht werden.

Es könnte nun allseits enttäuschen, dass Bois’ Urteil auch nach intensivem Quellenstudium ambivalent bleibt: »Anders, als es uns die Kontrahenten in der Kontroverse um Max Traeger weismachen wollen, lässt sich kein eindeutiges Narrativ zur Geschichte der ›Gleichschaltung‹ der Gesellschaft der Freunde entwickeln«. Eine doch ziemlich salomonische Formulierung - zeigt die Studie selbst nicht eher, dass von Opposition oder gar Widerstand jenseits einiger weniger kommunistischer und linkssozialistischer Mitglieder kaum die Rede sein kann?

Es mag sein, dass die allermeisten Hamburger Lehrer anfangs eine eher »ablehnende Haltung« gegenüber dem neuen Regime aufwiesen. Auch nach der Eingliederung der »Freunde« schrieb das NSLB-Organ, man habe noch »kein Vertrauen« in diese Neumitglieder. Gewiss mag der alte Vorstand des Verbandes durch die Eingliederung versucht haben, seine sozialen Einrichtungen zu retten, aus deren Kassen auch entlassene oppositionelle oder jüdische Kollegen bis 1937 unterstützt wurden. Doch zeigt Bois auch, dass die meisten Mitglieder der »Freunde« rasch »zu Mitläufern« mutierten. Die Einschränkung der Handlungsspielräume durch den seit März 1933 auch in Hamburg grassierenden Straßenterror und die Entlassung Oppositioneller aus dem öffentlichen Dienst war dabei, wie bei so vielen bürgerlichen, sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Organisationen, mitentscheidend für diese Anpassungsbereitschaft.

Bei den »Freunden« kam ein traditionelles staatspolitisches Selbstverständnis hinzu. Dieses hatte die Gesellschaft einerseits lange die bürgerlich-demokratische Ordnung gegen die aufsteigenden Nazis verteidigen lassen. Andererseits sorgte es auch für eine stets scharfe Abgrenzung gegenüber den wenigen linksoppositionellen Mitgliedern. »Während der gesamten Weimarer Republik« hatten die Funktionsträger der Gesellschaft »im Dialog mit der Stadtregierung Verbesserungen für die Volksschullehrerschaft erreicht«, schreibt Bois zutreffend. Und nach der Machtübergabe glaubten sie offenbar, als Gegenleistung für ihre Anpassung ein gewisses Maß an Mitsprache zu behalten. So hielten viele an ihren Funktionen fest - anders als die Kollegen in Bremen oder Sachsen.

Solche Hoffnungen erfüllten sich natürlich nicht. Drei Wochen nach der Eingliederung stellte der für die Liquidation zuständige neue Chef des Verbandes, Wilhelm Schulz, unmissverständlich klar, dass es zukünftig für die Hamburger Lehrer, wie überall im Reich, »keine Synthese zwischen nichtnationalsozialistischen und nationalsozialistischen Gedanken« geben werde, wie Küchler noch gehofft hatte. Widerspruch hatte er da schon nicht mehr zu befürchten.

Interessant bleiben die Schlüsse aus Bois‘ Arbeit. Bei der Vorstellung versprach GEW-Landes-Vize Fredrik Dehnerdt, »die Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus und der Geschichte der eigenen Organisation vor, während und nach der NS-Zeit« anhand der neuen Erkenntnisse eingehend zu führen. Zumindest die Erinnerungstafel am Curiohaus, damals Sitz der »Freunde« und heute der Hamburger GEW, müsste dann weichen: »Im Mai gliederte der NS-Lehrerbund den Verband zwangsweise ein«, heißt es da.

Auch der Streit um Traeger ist noch nicht ganz entschieden. Zwar traf er sich bis 1945 durchgängig mit anderen Ex-Funktionären in einem »Untergrundvorstand«, entfaltete aber sonst keine Opposition. Bois wertet dies als »widerständige Handlung im weiteren Sinne«, nennt aber selbst eine kleine Zahl zumeist linkssozialistischer oder kommunistischer Widerstandskämpfer aus den Reihen der »Freunde«, die fast alle - wie einige jüdische Kolleginnen und Kollegen -, zu den 26 vom NS-Regime getöteten Mitgliedern des Verbandes gehören. Eine oder einen unter ihnen, etwa Franz Bobzien, Rudolf Klug, Magda Thürey oder Martha Muchow, durch die Umbenennung der Stiftung der GEW zu ehren, wäre nicht das schlechteste Ergebnis von Bois‘ Forschung.

Der Autor lebt als Gymnasiallehrer in Berlin und publiziert unter anderem zu zeitgeschichtlichen Fragen.

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