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»Sie sind Menschen und nicht Themen«
Abseits von Trauma und Drama: Der Regisseur Faraz Shariat über seinen Film »Futur Drei«, Rassismus in Deutschland und eine postmigrantische Zukunft
Herr Shariat, »Futur Drei« ist Ihr Debütfilm und semibiografisch. Inwiefern sind auch Ihre Erlebnisse darin enthalten?
Der Film ist in gewissem Maße autobiografisch: Das, was den Protagonisten passiert, ist mir auch passiert. Im Sommer 2015 - als Europa und besonders Deutschland gerade einen Umgang gesucht haben mit der Situation, dass viele Menschen hierher flüchteten - bin ich zu Sozialstunden verurteilt worden, weil ich in einem Luxus-Einkaufszentrum Klamotten geklaut hatte. Dafür habe ich in einer Geflüchteten-Unterkunft übersetzt. Das ist der Ausgangspunkt für den Film. Wichtig waren die Gespräche, die ich mit Menschen geführt habe, die genauso alt waren wie ich, aber gerade erst aus dem Iran gekommen waren. Durch diese Gespräche habe ich angefangen, mehr mit meinen Eltern darüber zu reden, wie es bei ihnen vor 35 Jahren war. Dass meine Eltern die Eltern des Protagonisten Parvis spielen, ist das Semibiografische des Films. Darin steckt viel von dem Gefühl und den Gedanken, die ich mit meiner Familie, aber auch mit meinem Freundeskreis und mit anderen Menschen mit Migrationserfahrungen geteilt habe.
Der Filmregisseur und Drehbuchautor ist 1994 in Köln geboren. Aufgewachsen ist Faraz Shariat in einer iranischen Einwanderer-Familie. Nach ersten Regie- und Schauspielarbeiten am Schauspiel Köln folgten 2013 Video-Installationen für das Staatstheater Hannover. Im selben Jahr begann er sein interdisziplinäres Studium der Szenischen Künste an der Universität Hildesheim. »Futur Drei« ist sein erster Langfilm und gewann auf der diesjährigen Berlinale den Teddy-Award. Mit Shariat sprach Bahareh Ebrahimi.
Parvis, ein junger Mann, der in einer iranischen Familie in Deutschland aufgewachsen ist, hat seinen ganz eigenen Lebensstil - Mode, Clubbesuche, Dates -, wohnt jedoch immer noch bei seinen Eltern, wo er kaum Privatsphäre hat. Warum ist er noch nicht ausgezogen?
Ich glaube, weil er noch nicht richtig weiß, wohin er in seinem Leben soll. In Filmen, in denen es um Migrant*innen oder Leute mit Migrationshintergrund geht, werden oft perfekte Menschen dargestellt. Sie sind entweder sehr erfolgreich und kämpfen ganz hart dafür, Karriere zu machen. Oder sie sind Opfer oder Täter. Es sind immer ganz klare Rollen. Parvis wiederum ist jemand, der es sich ähnlich wie andere weiße Menschen, die in Deutschland aufgewachsen sind und nach der Schule nicht wissen, was sie machen sollen, sozusagen auf Kosten der Eltern gemütlich macht. Er ist auch ein wenig von diesem westlichen Überschuss, dem Luxus und diesen Tausenden Optionen überfordert. Es ist wichtig, solch eine Geschichte zu erzählen, weil viele von uns mit dem Gefühl aufwachsen: Wir müssten 15-mal besser sein, wir müssen Abi machen und dann studieren, damit wir eine Erlaubnis haben, hier sein zu dürfen oder eine Berechtigung. Aber ich finde, es ist wichtig zu sagen: Nein, man kann auch einfach erstmal nichts machen und auch chillen und scheiße, egoistisch und sehr verwöhnt sein, denn das ist auch menschlich.
Die 70. Berlinale, auf der »Futur Drei« Premiere feierte, hat mit der schrecklichen Nachricht von Hanau begonnen. Rassismus wird auch bei Ihnen thematisiert. Was sind Ihre Erfahrungen mit Rassismus?
Ich glaube, als Mensch mit Migrationshintergrund oder Person of Colour (PoC) kommt man gar nicht drumherum, Rassismus wahrzunehmen. Wir alle, vor allem auch weiße Menschen, sollten verstehen, dass Rassismus nicht etwas ist, was Einzelnen passiert oder was persönliche Erfahrungen betrifft, sondern dass Rassismus ein System ist, das überall in Deutschland existiert und unsere gesamten Perspektiven organisiert. Rassismus - egal, ob man ihn sieht oder nicht - ist immer anwesend. Das versucht der Film: Mit Hilfe von Repräsentation, dem Sichtbarmachen von auch anderen Menschen, die in Deutschland leben, Rassismus etwas entgegenzusetzen und zu sagen, das sind selbstbewusste widersprüchliche fehlbare Figuren, die Menschen sein dürfen und nicht Themen.
Ihre Figuren sind dadurch sympathisch. Trotzdem wirken sie manchmal plakativ. Auch Sätze wie: »Die Zukunft gehört uns.« Oder die Szene, wo Parvis seine Mutter fragt, warum sie nach all diesen Jahren in den Iran zurück möchte, und sie einfach nur sagt: »Weil es unsere Heimat ist.«
Wir wollten einen Film machen, der zugänglich und nicht zu kompliziert ist. Ich finde, dass die Charaktere wie Banafshe oder Parvis nicht permanent schlaue oder super komplexe Sachen sagen müssen, schließlich ist die Situation, in der sie leben, schon komplex genug ist. Uns war wichtig, dass die Figuren ihre Gefühle nicht immer erklären müssen, sondern Raum und Recht bekommen, etwas Besonderes zu erleben, zu fühlen und gesehen zu werden. In der Berichterstattung über Menschen aus dem Ausland interessieren sich viele immer nur für die Vergangenheit und das »Trauma«. Unser Film tut das nicht. Er interessiert sich eher dafür, wohin die Figuren wollen und was für Wünsche sie haben. Das war eine klare Entscheidung: Wir wollten den geflüchteten Figuren in unserem Film nicht zumuten, nur dann auftreten zu dürfen, wenn es um ihr Leid geht. Gleichzeitig schafft dieses Schweigen über ihre Vergangenheit aber auch die Möglichkeit, Distanz zu halten zu einem weißen Publikum in Deutschland. Und zugleich ist die »Zukunft« wichtig - als ein Sehnsuchtsort oder als Möglichkeit, aus der Katastrophe zu fliehen. Wenn man über Empowerment redet oder über Möglichkeiten in der Zukunft, sollte man an eine inklusive und faire Welt denken.
Spielt der Begriff »Heimat« für Sie eine Rolle?
Für mich ist Heimat ein Ort, an dem man sich gesehen fühlt oder das Gefühl hat, so sein zu können, wie man ist. Ich arbeite nicht mit einem Heimatbegriff, der in nationalen Grenzen funktioniert. Diese Sätze über Heimat im Film, die Sie gerade angesprochen haben, sind mit meinen Eltern zusammen geschrieben worden. Wenn man zwischen - ganz grob - Ost und West reist oder auch migriert, sind natürlich die Unterschiede zwischen diesen Heimatbegriffen sehr groß: Meine Eltern wurden hier in Deutschland immer als Minderheit gesehen und nie als Mehrheit. Es gibt den Satz: »Der Iran ist unsere Heimat«, aber viel passender ist meiner Meinung nach der andere Satz: »Unsere Heimat ist immer der Ort, den wir verlassen haben und nicht der, wo wir sind.« Das beschreibt ganz gut, was da passiert: Man geht als erwachsener Mensch aus einem Land in ein neues und ist so beschäftigt damit, zu arbeiten und alles in das Leben der Kinder zu geben, dass man gar keine Möglichkeit hat, sich selbst dort eine neue Heimat aufzubauen. Das unterscheidet auch Parvis und seine Eltern. Sie schauen in die Vergangenheit, und er schaut in die Zukunft.
Ist Deutschland für Sie ein Ort, an dem Sie gesehen werden?
Unterschiedlich. Also ich würde niemals sagen, dass Deutschland meine Heimat ist, sondern dass Deutschland der Ort ist, wo ich aufgewachsen bin. Ich verstehe unter Heimat eher mein Umfeld und meine Freunde und Freundinnen, die Menschen, mit denen ich mich als Community zusammenschließe. Ich glaube aber schon, dass es wichtig ist, zu sagen, dass ich auch Deutscher bin und dass das auch ein deutscher Film ist. Viele glauben, weil da in einem Film Farsi gesprochen wird, ist das ein iranischer Film. Aber dieser Film ist eher als Dialog gedacht, den ich im deutschen Kino aufmachen will zwischen Repräsentant*innen von geflüchteten Menschen, und denjenigen, die hier aufwachsen sowie Menschen, die in dritter Generation hier leben.
Möchten Sie sich zu dem Verriss äußern, der während der Berlinale in unserer Zeitung zu Ihrem Film veröffentlicht wurde?
Ach, ich weiß gar nicht mehr genau, was die Kritik gesagt hat, aber ich habe sie auf jeden Fall gelesen und fand es interessant, weil das mal eine andere Meinung im Vergleich zu den vielen positiven Stimmen zum Film war. Es ist auch spannend, mitzubekommen, was Menschen vielleicht von so einem Film erwarten. Es gibt einfach nicht viele Filme, die von PoCs in Deutschland über PoCs gemacht werden. Und da kommen natürlich ganz viele Erwartungen zusammen.
Wenn es um Iran, Homosexualität und Geflüchtete geht, steigt ja die Erwartung.
Ich glaube, manche Leute sind enttäuscht, dass es im Film kein Drama und nicht so viele Konflikte gibt. Wenn man über Sexualität Filme macht oder über Menschen, die mit Migrationserfahrungen in Deutschland leben, gibt es oft Figuren, die nichts mehr sein dürfen als diese Konflikte, die um sie herum passieren. Es geht normalerweise um Sexualität als Problem, darum, dass offene Sexualität in Migrationsfamilien nicht stattfinden darf. Wir wollten hingegen Situationen schaffen, in denen eine Unbeschwertheit, eine Leichtigkeit und vielleicht auch Hoffnung in der Katastrophe möglich ist. Man braucht Raum und Zeit, um die Charaktere einfache Menschen sein zu lassen. Das war für uns eine politische Entscheidung: Figuren wie Geflüchtete oder queere Menschen of Colour abseits von Trauma und Drama und großen identitären Konflikten zu zeigen.
»Futur Drei«, der noch vor der Premiere den Deutschen Nachwuchsfilmpreis gewann und jetzt in die Kinos kommt, war kein Hochschulprojekt oder Abschlussfilm. Wie haben Sie ihn finanziert?
Wir haben mit Paulina Lorenz und Raquel Molt das Kollektiv Jünglinge, unsere eigene Produktionsfirma, gegründet und den Film selbst finanziert. Gleichzeitig haben wir versucht, dass Menschen, die von den Themen betroffen sind, auch Teil des Teams sind. Das heißt: Hinter der Kamera und vor der Kamera wollten wir Iraner und Iranerinnen und queere Menschen haben, damit es einen verständnisvollen Raum gibt. Uns hat aber auch der Support geholfen von Communitys und Menschen, die daran glauben, dass solche Filme notwendig sind.
»Futur Drei«: Deutschland 2020. Regie: Faraz Shariat, Drehbuch: Faraz Shariat, Paulina Lorenz. Mit: Benjamin Radjaipour, Banafshe Hourmazdi, Eidin Jalali. 92 Minuten.Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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