»Das war nicht Milch und Honig«

Kid Pex wuchs als Wiener mit kroatischen Wurzeln zwischen Bürgertum und Straße auf. Heute rappt er über die Arbeiterklasse und die »Guerilla« der Gemeindebauten

  • Michael Bonvalot
  • Lesedauer: 6 Min.

Petar Rosandić, unter deinem Künstlernamen Kid Pex sorgst du seit Jahren für Aufruhr in der Hip-Hop-Szene. Du und Kroko Jack, ihr rappt im Song »So viel Polizei« darüber, dass der rechtslastige österreichische Schlagersänger Andreas Gabalier erschossen gehört. Das Video wurde inzwischen über 130 000 Mal aufgerufen - und Gabalier hat dich verklagt. Würdest du es wieder tun?

Klar! Offensichtlich bin ich Gabalier auf die Nerven gegangen - gut so! (lacht) Der Typ hat Hip-Hop überhaupt nicht verstanden und hat mich wegen »gefährlicher Drohung« und »Aufruf zu Straftaten« angezeigt. Das hat irrsinnige Medienresonanz erzeugt, sogar die »New York Times« hat berichtet. Das Verfahren wurde aber eingestellt, weil das laut Gericht eine »milieubedingte Unmutsäußerung« war. Das ist übrigens ein großartiger Paragraf!

Was ist dein Milieu?

Ich hab mich bei den Proleten im Park immer wohler gefühlt als auf der Uni. Ich komme zwar aus einem bildungsbürgerlichen Haushalt, Mutter und Großvater waren Pädagog*innen. Spracherwerb war extrem wichtig, deshalb hatte ich das Privileg, studieren zu können. Aber die Gesellschaft hat mir immer gezeigt, wo ich als »Jugo«, als Migrantenkind, hingehöre.

du hast kroatische Wurzeln, lebst aber seit deinem achten Lebensjahr in Wien. Wie ist es dazu gekommen?

Als 1991 in Kroatien der Krieg begann, hätte auch mein Vater eingezogen werden sollen. Er hat dann das schnellste Ticket hinaus genommen und ist geflüchtet. Zuerst waren wir kurz in Mailand, dann sind wir nach Österreich gegangen.

Am Anfang habe ich mich in Wien überhaupt nicht wohlgefühlt, hier ist alles so ruhig. Das war sehr schockierend, jetzt bin ich selber so geworden. (lacht)

Wie war es dann für dich, in Wien aufzuwachsen?

Das war nicht Milch und Honig. In den 90er Jahren gab es noch viel Rassismus gegen Ex-Jugoslawen. Inzwischen ist der Rassismus ja quasi weitergewandert und richtet sich vor allem gegen Menschen aus muslimisch geprägten Ländern.

Ich habe mich wurzellos und verloren gefühlt zwischen den Identitäten. Ich war in einer neuen Welt, wo ich nicht vollkommen akzeptiert wurde, obwohl ich mich in Wien heute am meisten heimisch fühle.

Was meinst du mit »wurzellos«?

In Wien war ich das »Tschuschenkind«, bei Urlauben in Kroatien der »Švabo«. (Anm: »Tschusch« entspricht der bundesdeutschen Beleidigung »Kanake«, »Švabo« ist als Bezeichnung für Donauschwaben am Westbalkan entstanden und meint heute generell Deutschsprachige.)

Ich habe durch das viele Abhängen in den Parks mit Kids aus Serbien und Bosnien in Wien sogar einen leichten serbisch-bosnisch-wienerisch-balkanesischen Akzent bekommen. Die Leute in Kroatien hören das, ich wurde auch schon gefragt, ob ich Serbe bin.

Hat dich der Jugoslawien-Krieg geprägt?

Sehr. Verwandte an der Front, Waffenschmuggel, Nationalismus, über Nacht der Turbokapitalismus. In den Teenager-Jahren habe ich diese Radikalisierung und viel ungesundes Zeug mitgenommen. Über die Jahre habe ich mich glücklicherweise komplett davon befreit.

Ich habe erst mit der Zeit begriffen, dass ich links und antifaschistisch bin. Dazu musste ich zuerst aus der kroatischen Transformationsblase raus, das war sehr schwierig in dieser Kriegssituation. Meine erste Politisierung war aufgrund des Krieges kroatisch-nationalistisch geprägt. Gleichzeitig war ich schon damals gegen Rechtsextremismus in Österreich. Aber ich habe Zeit gebraucht, um das auch auf den Balkan anzuwenden.

Dann bist du Musiker geworden. Wie war der frühe Kid Pex drauf?

Der hat Hip-Hop gemacht und hat sich dabei auch eingelebt in die Rolle des proletoiden Tschuschen. Ich habe mich am Anfang einfangen lassen vom damals gängigen Gangsta-Rap und vom Kohlemachen und habe mich so präsentiert. Mittlerweile würde ich vieles nicht mehr machen, was ich ganz am Anfang gemacht habe.

Irgendwann habe ich begriffen, dass Materialismus keinen dauerhaften Wert hat. Dass ich für Veränderungen kämpfen mag. Dass ich mich nicht in irgendeiner Ego-Projektion sehe, wo ich mich selbst abfeiere. Der wahre Erfolg und die wahre Befreiung aus dem Kapitalismus sind nicht Koks, Nutten und harte Männlichkeit. Der wahre Erfolg sind Projekte, wo wir etwas hergeben und dafür etwas zurückbekommen, was nicht materiell zu messen ist.

Heute rappst du über die Arbeiterklasse, über Streiks und die »Guerilla« aus den Gemeindebauten, also den Sozialbauten des Roten Wien. Manche sagen, so etwas wäre überholt.

Bullshit! Mir ist es wichtig, diese Kultur hochzuhalten. Das ist für mich genauso rebellisch wie Hip-Hop - aber die Musik ist inzwischen durch hundert Filter gegangen und wurde enorm kommerzialisiert.

Du bist selbst zwar bewusst weg von der Kommerzialisierung - musst aber trotzdem von etwas leben. Kannst du Geld mit der Musik verdienen?

Jetzt ist es gerade natürlich besonders schwierig, mit Corona. 2010 und 2011 konnte ich davon leben, da hatte ich einen riesigen Hit im ehemaligen Jugoslawien und war auf Tour. Mit Hip-Hop für den österreichischen Markt kannst du aber generell nur schwer überleben. Aber ich wollte verstanden werden, ich wollte mich äußern, ich wollte, dass du ein Interview mit mir machst. (lacht)

Danke. (Wir lachen beide)

Dazu arbeite ich jetzt selbst als Journalist.

Harter Hip-Hopper und gleichzeitig Journalist?

Ich glaube gar nicht, dass Journalist der uncoolste Beruf ist. Krass wäre Universitätsprofessor.

Du gibst auch Workshops für Jugendliche. Was erlebst du?

Kürzlich war ich in einem Jugendzentrum am Wiener Stadtrand. Da haben die Sozialarbeiter*innen gesagt, dass wir keinen reinen Workshop machen können - wir müssen eine »Battle« ankündigen, damit die Jugendlichen kommen. Und dann versuche ich natürlich, den Kids etwas mitzugeben, auch in Hinblick auf Sexismus und Homophobie. Ich versuche etwa meine Workshops gemeinsam mit einer Rapperin zu machen. Wenn die dann so gut rappt, dass die Kids sich erst mal erholen müssen, hat das einen Lerneffekt.

Du machst Songs wie »Antifašista«(»mit Antifa-Brudi und Antifa-Sista«), du trittst auf Demos auf, du postest Bilder mit Regenbogen-Fahnen. Hat das Fans gekostet?

Mit meiner linken Positionierung habe ich sicher Fans verloren, vor allem nationalistische Leute aus Ex-Jugoslawien. Doch ich habe auch viele neue Fans gewonnen. Und ich bin absolut überzeugt, dass ich die richtigen Leute gewonnen habe.

Aktuell engagierst du dich enorm in der Unterstützung geflüchteter Menschen.

Ich war das erste Mal letztes Jahr im Horrorlager Vučjak in Bosnien. Das Lager ist fünf Kilometer von Kroatien und damit der EU-Außengrenze entfernt. Wir haben Kleidung und Schlafsäcke gesammelt und sind runtergefahren. Ich hatte davor nur wenig über die Zustände im Lager gehört, vor Ort war ich entsetzt. Das Lager stand auf einer Mülldeponie, es war unglaublich, unter welchen Bedingungen die Menschen dahinvegetieren mussten.

Vučjak wurde inzwischen geschlossen, aber die Zustände sind weiter furchtbar. Die Menschen müssen in improvisierten Lagern leben, meist verlassenen Fabrikgebäuden, wo Zelte aufgestellt werden. Dort gibt es kein Essen, keine Heizung und keine Möglichkeiten für Körperhygiene - in Coronazeiten ist das irrsinnig.

Du hast jetzt sogar eine eigene Hilfsorganisation mitgegründet.

Ja, SOS Balkanroute. Bisher haben wir insgesamt zwölf Transporte gemacht. Wir sind aber natürlich limitiert: Wir können Essen und Schlafsäcke bringen, doch notwendig ist eine nachhaltige politische Lösung. Die Flüchtlingsfrage zeigt ja die gesamte Scheinheiligkeit der EU und des Kapitalismus.

Nicht happy mit dem Kapitalismus?

Gar nicht happy mit dem Kapitalismus. Ich weiß zwar nicht ganz genau, wie die Alternative aussehen soll. Aber da muss es etwas Besseres geben.
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