Sozialporno mit Klassismus-Filter

Unter dem Hashtag #Chavcheck macht sich das Internet über arme Menschen lustig

  • Vanessa Fischer
  • Lesedauer: 3 Min.

Jogginghose, starkes Make-up und schlechte Zähne: Unter dem Hashtag #Chavcheck macht sich das Internet derzeit über Stereotype lustig, die mit Armut in Verbindung gebracht werden.

Angefangen hatte der Trend auf der Videoplattform TikTok: Zu sehen sind dort seit einigen Wochen Clips von überwiegend jungen Frauen. Mit nachgezogene Augenbrauen, falschen Wimpern und aufgeklebten Fingernägeln stellen sie sich der »Challenge«, »Chavs« möglichst überzeugend zu imitieren. Und auch auf Instagram gibt es inzwischen sogenannte »Chav-Filter«, die Gesichter stark geschminkt zeigen.

Das abfällige Wort entspricht in etwa dem deutschen Schimpfwort »Proll« und wird in Großbritannien für arme, meist weibliche und in der Regel weiße Personen benutzt, die durch einen bestimmten Kleidungsstil auffallen. Laut Oxford Dictionary, in den der Begriff 2005 aufgenommen wurde, handelt es sich dabei um eine junge Person aus der Arbeiter*innenklasse, die sich »laut und nervig verhält«. Oft wird der Begriff auch als Backronym für Council housed and violent (= in einer Sozialwohnung wohnend und gewalttätig) verstanden. Die Konnotation ist also ganz klar negativ.

Ein Problem der »unsozialen« und unkontrollierbaren sozialen Medien mal wieder? So einfach ist die Sache nicht. Denn auch wenn TikTok und Instagram natürlich noch recht neue Formate sind, die tatsächlich überwiegend von sehr jungen Menschen genutzt werden; die mediale Abwertung der Arbeiter*innenklasse ist es nicht: »Witze« über diese Bevölkerungsgruppe zu machen, hat eine lange Tradition und ist seit Jahren auch fester Bestandteil des Fernsehprogramms.

So ist etwa die Figur der Vicky Pollard aus der Fernsehserie »Little Britain« ein Paradebeispiel für eine »Chav«. In Deutschland lachte man derweil lange Zeit über Cindy aus Marzahn: Die langzeitarbeitslose Hartz-IV-Empfängerin im pinken Jogginganzug, die täglich bis 14 Uhr schläft und ihren Traumprinzen in der abgehängten Plattenbau-Siedlung im Berliner Osten sucht.

Und auch im »Reality-TV« werden arme Menschen zum Entertainment der Mittelschicht recycelt: Vom nachmittäglichen Sozialporno bei »Messie Team« oder »Raus aus den Schulden« bis zum abendlichen »Hartz und herzlich« oder »Bauer sucht Frau« soll für wirklich jede*n etwas dabei sein.

Dabei ist das Lachen über arme Menschen und Arbeiter*innen, die im sogenannten »Trash-TV« wortwörtlich als »Abfall« inszeniert werden, nicht nur billig und geschmacklos. Es hat auch System: Im »Unterschichtenfernsehen«, das im Übrigen genau dann bekannt wurde, als auch die Agenda 2010 auf den Weg gebracht wurde, werden die Protagonist*innen nicht nach ökonomischen, sondern vor allem entlang moralischer und kultureller Maßstäbe definiert: Ungebildet, faul und schmarotzerhaft. So entsteht das Bild, sie seien selbst Schuld an ihrer Armut.

Dass es sich inzwischen etabliert hat, von »sozial Schwachen« zu sprechen, wenn »ökonomisch Benachteiligte« gemeint sind, ist nur ein Beispiel für die diskursive Verschiebung von Armut, die in den vergangenen Jahren auch über diese Medienformate vorangetrieben wurde. Kein Wunder also eigentlich, dass er inzwischen auch bei TikTok und Instagram angekommen ist: der Klassismus-Filter.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.