One-Woman-Show
Dagmar Manzel bespielt die Komische Oper Berlin mit Schönberg und Beckett
Mit Jacques Offenbach gegen die Depression in der Pandemie: Am 31. Oktober lässt Barrie Kosky an der Komischen Oper Berlin seine eigene Inszenierung der Operette »Die Großherzogin von Gerolstein« aufführen. Doch vor der feierlichen Wiedereröffnung des Hauses nach Virus- und Sommerpause gab es eine, ebenso unter Spielleitung des Intendanten entstandene, Aufführung von Arnold Schönbergs »Pierrot Lunaire« von 1912, ergänzt durch Samuel Becketts Monodramen »Not I« von 1972 sowie »Rockaby« von 1980 in deutscher Übersetzung. Kosky erklärte, er habe den Abend extra für Dagmar Manzel gestaltet, die als Alleindarstellerin alle drei Teile der Melange aus Sprechen und Singen bestreitet. Die Berliner Schauspielerin und Sängerin, in der DDR mit den Filmen von Heiner Carow bekannt geworden sowie später im Frankfurter »Tatort« als Kommissarin Paula Ringelhahn, wird von Kosky als persönliche Muse bezeichnet.
Eineinviertel Stunden dauert diese schlüssig zusammengestellte Revue, in der die Zuschauer nachvollziehbar über das Vollspektrum der menschlichen Stimme meditieren können. »Not I«, das Stück mit dem einsamen kirschroten Mund, beeinflusste die Popkultur bis hin zur »Rocky Horror Picture Show«. In Berlin war es zuletzt in den Anfangstagen von Chris Dercons gescheiterter Intendanz an der Volksbühne zu sehen, die Lippen stellte damals Anne Tismer zur Verfügung. »Rockaby« handelt vom einsamen Sterben einer Frau, die im Schaukelstuhl in ein letztes kathartisches Gedankenmantra verfällt.
Als Hauptattraktion des Abends wird Manzel von Kosky in ein knabenhaftes Matrosengewand gesteckt, einzige Requisiten sind ein weißes Kinderbett sowie der bereits genutzte Schaukelstuhl. Zur besseren Hörbarkeit des fünfköpfigen Kammerensembles im großen Opernsaal werden die Musiker unter Leitung von Christoph Breidler im Orchestergraben nach oben gefahren. Schönbergs Schlüsselkomposition der Moderne klingt, nicht nur hier, wie eine dem Wahnsinn verfallene Erwachsenenversion von Prokofjews erst knapp 25 Jahre später entstandenem Musikmärchen »Peter und der Wolf«. Manzel wechselt fließend vom genretypischen Kunstgesang hin zu Flüstern, Sprechen, Jaulen und Jauchzen. Die zugrunde liegende Lyrik, verfasst von Albert Giraud, ins Deutsche übersetzt von Otto Erich Hartleben, schildert die Fieberträume eines mondsüchtigen Clowns in 21 frei assoziierenden Gedichten.
Kosky als Regisseur hat sämtlichen Abschnitten des Abends nur wenig zugesetzt, auch seine Unfähigkeit zur Komik abseits von Slapstick und Hupfdohlengehampel stört an dieser Stelle nur geringfügig. Dennoch hätte seiner Solistin etwas mehr kreative Führung, besonders in »Pierrot Lunaire« gutgetan, weil es für Manzel bei der Zurschaustellung ihrer großen technischen Fähigkeit bleibt. So verlässt man als Zuschauer den Saal nicht unbedingt mit dem Eindruck eines Abends, der sich bei aller Mühe als »virtuos« bezeichnen ließe. Der Komischen Oper und ihrem verdienstvollen Intendanten muss man dankbar sein, dass solche Abende überhaupt stattfinden. Deren Umsetzung jedoch kommt allzu oft über das Mittelmaß nicht hinaus.
Nächste Vorstellungen: 5., 11., 13. und 30. Oktober
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