Also wird’s auch nicht so schlimm!

HASSLIEBE: Frédéric Valin erforscht unser Katastrophenbewusstsein

  • Lesedauer: 3 Min.

Es gibt so viele Katastrophenfilme, zahllose Endzeiterzählungen, und trotzdem scheint es, als ob kaum jemand das Ende der Welt auch nur für denkbar hält. Es ist, als säße die Menschheit fröhlich auf einer Tollkirschenplantage und würde sich - im vollen Wissen, dass es sie umbringen wird - den ganzen Tag mit Beeren vollstopfen.

Ein Aspekt daran ist die liberale Lüge, jede Person sei etwas besonderes. Was ursprünglich als juristische Forderung am Anfang der politischen Moderne stand, ist inzwischen in die Populärkultur eingesickert; eine Lüge, die gerade die Werbung gerne erzählt. In Endzeitfilmen führt sie zu dem, was man Survivorship Bias nennt: den Irrtum jeder einzelnen Person im Publikum, sich, obwohl in den ersten fünf Minuten des Films 80 Prozent der Menschheit ausgelöscht wurden, weiterhin mit den überlebenden Held*innen zu identifizieren.

Natürlich muss es nicht so schlimm kommen - und also wird’s auch nicht so schlimm! Diese optimistische Haltung nennen die Behaviouristen Robert Meyer und Howard Kunreuther einen der sechs Wahrnehmungsfehler, denen die menschliche Katastrophenvorbeugung erliegt. Sie haben untersucht, warum im Südosten der USA trotz regelmäßiger Überschwemmungen weiterhin Gebäude in Risikogebieten gebaut und obendrein noch unzureichend versichert werden.

Neben »Optimismus« kommen sie auf fünf weitere Vorannahmen, die zwar das tägliche Leben der Menschen erleichtern, aber die Prävention von Katastrophen verhindern, nämlich: Myopia (Kurzsichtigkeit), Inertia (Trägheit), Trivialisierung, Amnesie (Vergesslichkeit) und schließlich Herdenverhalten.

Besonders interessant ist dabei die Amnesie: Tatsächlich werden Katastrophen ja nicht nur antizipiert, es wird auch seit jeher im großen Maßstab an sie erinnert. Die Sintflut ist wahrscheinlich das in antiken Epen am häufigsten wiederkehrende Ereignis, jährlich werden Hunderte Bücher und Filme über den Zweiten Weltkrieg veröffentlicht. Aber natürlich wird die Sintflut aus Sicht der Überlebenden erzählt - und auch was den Zweiten Weltkrieg angeht überwiegen die Heldengeschichten. Allein das Framing »Zweiter Weltkrieg« - nicht etwa »III. Reich« oder »Shoah« - zeigt das an. Diese Art der Erinnerung fokussiert das Ereignis, ist aber möglichst wenig betroffen; der Anteil an Leid und Schmerz, den das Ereignis zu verantworten hat, wird nivelliert, hinweggewaschen und glattgeschliffen von den Wellen, rundgelutscht von der Kultur.

Gibt es einen Ausweg? Nicht im Film. Meyer und Kunreuther schlagen in erster Linie vor, über einen weiteren Zeitraum zu blicken, aber das können Filme nur bedingt. Das erfordert eine Komplexität, die Hollywood inzwischen anders gelöst hat: die Verfilmungen von Comics und Superheld*innen feiern einfach einen neuen, besseren und fähigeren Menschen als Idol. Die Menschheit erzählt sich somit selbst ins Abseits. Das ist erstaunlich uneitel, und meistens sogar unterhaltsam.

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