»Die Kämpfe zusammenbringen«

Janine Wissler über die Bedeutung von Parlamentarismus und Basisarbeit für die Linke

In Medienberichten werden Sie schon länger als künftige Linke-Vorsitzende gehandelt. Wie schwer ist Ihnen die Entscheidung für die Kandidatur gefallen?

Ich habe großen Respekt vor dieser Aufgabe. Ich habe mir die Entscheidung zu kandidieren nicht leicht gemacht, habe sehr lange und gründlich überlegt, ob ich mir das zutraue und ob ich den notwendigen Rückhalt habe.

Janine Wissler

ist Vorsitzende der Linksfraktion im Hessischen Landtag und bereits seit 2014 auch stellvertretende Bundesvorsitzende der Linken. Auf dem Parteitag in Erfurt wird sich die 39-Jährige zusammen mit der Thüringer Landes- und Fraktionschefin der Linken, Susanne Hennig-Wellsow, für das Amt der Parteivorsitzenden zur Wahl stellen. Wissler engagiert sich seit Langem insbesondere dafür, die Linkspartei in Betrieben, Gewerkschaften, aber auch in Umwelt- und Klimaschutzbewegungen zu verankern. Mit ihr sprach Jana Frielinghaus.

Bundesweit bekannt sind Sie auch durch Ihre Arbeit als Vorsitzende der Linksfraktion in Hessen. Würden Sie das Amt als Bundesvorsitzende behalten?

Ich werde in Hessen nicht einfach den Stift fallen lassen, zumal am 14. März bei uns auch Kommunalwahlen stattfinden. Von daher kann und will ich meine Verantwortlichkeiten, auch als Vorsitzende des Kreisverbandes in Frankfurt am Main, nicht von heute auf morgen abgeben. Der Landtagsfraktion gehöre ich an, seit es sie gibt, als die Linke in Hessen 2008 das erste Mal ins Parlament eingezogen ist, und ich mache meine Arbeit dort sehr gerne. Für viele Aufgaben in Hessen werden wir Übergänge organisieren müssen, aber es gibt noch keinen genauen Zeitplan.

Die bisherigen Linke-Bundesvorsitzenden hatten auch ein Bundestagsmandat. Denken Sie über eine Kandidatur für das Berliner Parlament nach?

Das schließe ich nicht aus, aber jetzt steht erst mal der Bundesparteitag mit der Vorstandswahl an.

Spätestens seit dem Bundestagswahlkampf 2017 gab es wiederholt heftige Spannungen zwischen Partei- und Fraktionsspitze. Wie lässt sich dergleichen künftig verhindern?

Ich denke, wir alle sollten uns noch einmal vergegenwärtigen, warum wir diese Partei gegründet haben. 2007 ist es uns gelungen, aus WASG und PDS eine Partei zu bilden und in ihr Menschen aus verschiedensten linken Traditionen und Strömungen zu vereinen. Genau das ist doch unsere Stärke. Wir haben einen großen Vorrat an Gemeinsamkeiten, und die sollten wir in den Vordergrund stellen. Deswegen halte ich es auch nicht für sinnvoll, eine Debatte darüber zu führen, welche Milieus wir ansprechen wollen. Wir sollten uns als Partei all derer verstehen, die nicht auf der Sonnenseite dieser Gesellschaft stehen, Bündnispartner von Bewegungen sein, die für berechtigte Anliegen kämpfen, und eher darüber nachdenken, wie wir unterschiedliche Milieus auf unterschiedliche Art erreichen können. Ich bin zuversichtlich, dass uns das gelingen kann. Denn wir haben eine politische Situation, in der Linke gebraucht wird: Die Coronakrise verschärft die sozialen Gegensätze, wir erleben eine sich zuspitzende Klimakrise und eine wachsende Gefahr von rechts. Und wir sind ja nicht für uns selbst da, sondern wir sind den Millionen Menschen verpflichtet, die Hoffnungen in uns setzen und uns gewählt haben.

Der Pluralismus sei die Stärke der Linken, haben Sie gesagt. Sie selbst sind nach Bekanntgabe Ihrer Kandidatur aus Arbeitsgemeinschaften ausgetreten, in denen Sie Mitglied waren. Hätte man die Mitgliedschaften nicht auch ruhen lassen können?

Für mich war es eine Selbstverständlichkeit - und es ist auch üblich -, dass man, wenn man sich um den Parteivorsitz bewirbt, nicht Teil innerparteilicher Strömungen ist. Einfach, um deutlich zu machen, dass man für die gesamte Partei sprechen will. Das hat nichts mit dem Aufgeben von Inhalten zu tun.

Sie sagen, die Linke wird gebraucht. Andererseits fällt es ihr schwer, hinzuzugewinnen, das haben zuletzt die Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen gezeigt. Wie könnte die Partei Terrain gutmachen?

Wir müssen kontinuierlich an unserer gesellschaftlichen Verankerung in jeder Stadt und jedem Landkreis arbeiten. Wir müssen da hingehen, wo Menschen zum Beispiel gerade um ihre Arbeitsplätze kämpfen. Ob das bei Continental ist, wo bundesweit 13 000 Stellen abgebaut werden sollen, oder in anderen Bereichen. Es geht um Industriearbeitsplätze, um Verbesserungen im öffentlichen Dienst, in der Pflege und im Nahverkehr, wo wir in den Tarifauseinandersetzungen praktisch Solidarität zeigen müssen. Wir müssen die Anliegen der Beschäftigten dauerhaft sowohl in die Parlamente tragen als auch außerparlamentarisch unterstützen. Die Linke hat viele gute Kampagnen gemacht, zum Beispiel gegen den Mietenwahnsinn oder für bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege. Wichtig sind die Strukturen und Gesichter vor Ort. Da ist entscheidend: Gibt es die Genossin, die Hartz-IV-Beratung macht, gibt es den Genossen, der im Stadtparlament oder im Gemeinderat für die Leute da ist oder im lokalen Mieterbündnis mitarbeitet. Das tun Genoss*innen an vielen Orten, und darauf müssen wir aufbauen. Die Partei muss einen realen Gebrauchswert für die Menschen haben.

Der Aufbau von Basisstrukturen ist auch für den Bundesvorstand eine große Baustelle …

Ja, und ich finde, da hat der bisherige Vorstand und haben die beiden Parteivorsitzenden schon viel vorangebracht, an das man anknüpfen kann. Es muss mehr passieren, als dass man Veranstaltungen macht, dafür Flyer verteilt und hofft, dass jemand kommt. Wir müssen die Menschen aktiv ansprechen, ähnlich, wie es Gewerkschaften mit dem Organizing-Ansatz tun. Das passiert vor Ort in den Kreisverbänden auch teilweise schon.

Sie treten gemeinsam mit Susanne Hennig-Wellsow für den Bundesvorsitz an. Wie gut kennen Sie sich, dass Sie sich auf die Kandidatur als Duo verständigt haben?

Wir kennen uns ganz gut, weil wir seit vielen Jahren in unseren Bundesländern Fraktionsvorsitzende sind und die Landesverbände Hessen und Thüringen eine besonders enge Verbindung zueinander haben. Ich glaube, dass wir beide überzeugt sind, dass die Linke eine aktive Mitgliederpartei sein muss und dass wir versuchen müssen, verschiedene Kämpfe zusammenzubringen: Der Kampf für soziale Gerechtigkeit lässt nicht von dem gegen Rassismus und andere Formen von Unterdrückung trennen. Und ja, wir kommen gut miteinander aus.

Mit der Bundestagswahl 2021 steht für die Linke die Frage der Regierungsbeteiligung auf der Tagesordnung. Welchen Stellenwert messen Sie den sogenannten roten Haltelinien bei, also den Bedingungen, die die Partei für diesen Fall formuliert hat?

Einen ganz hohen. Ich finde, dass Regierungsbeteiligungen immer von Inhalten abhängig gemacht werden müssen. Wenn wir unser Wahlprogramm in die Tonne treten, sind wir überflüssig. Dann braucht uns keiner mehr. In einer Regierung muss man natürlich auch Kompromisse eingehen. Aber bei der Frage von Auslandseinsätzen der Bundeswehr kann ich mir keinen Kompromiss vorstellen. Ein bisschen Krieg gibt es genau so wenig wie ein bisschen schwanger.

Wenn es nach der Bundestagswahl eine rechnerische Mehrheit für eine Koalition mit SPD und Grünen gibt, muss man schauen, ob es politisch zusammengeht oder eben nicht. Und da geht es nicht nur um die Außenpolitik, sondern beispielsweise auch darum, die Politik der schwarzen Null zu beenden. Und daran wollen die SPD und ihr Kanzlerkandidat Olaf Scholz ja festhalten.

Mit dem Corona-Hilfspaket ist Scholz von der schwarzen Null immerhin abgerückt.

Die Pandemie hat gezeigt, dass man mit Schuldenbremse und unterfinanzierter Infrastruktur nicht durch so eine Krise kommt. Die Frage ist: Wer zahlt dafür? Und da sagen wir: Notwendig ist eine gerechte Verteilung sowohl der Hilfen als auch der Lasten. Da kann man nicht in zwei Jahren wieder einen Haushalt ohne neue Schulden verabschieden wollen. Die Krise hat gezeigt, dass große und langfristige Investitionsprogramme in allen Bereichen nötig sind und dazu müssen wir die Einnahmesituation deutlich verbessern.

Gibt es Ziele, die die Linke in einer Regierung innerhalb einer Legislaturperiode durchsetzen müsste?

Wir brauchen eine große Steuerreform, also eine massive Umverteilung. Und natürlich die Abschaffung von Hartz IV und dass der Arbeitsmarkt wieder reguliert wird. Es geht um den Einstieg in den sozial-ökologischen Umbau der Gesellschaft, Verkehrswende und Energiewende müssen viel entschlossener vorangebracht werden. Aber unabhängig davon, wer regiert: Ohne gesellschaftlichen und gewerkschaftlichen Druck wird sich nichts verändern. Zum Beispiel würde heute kaum jemand über Klimaschutz reden, wenn es Fridays for Future nicht geben würde.

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