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Antisemitismus bei der Bereitschaftspolizei in Sachsen-Anhalt
Pächter eines Imbisses bei der Bereitschaftspolizei soll über Jahre als »Jude« bezeichnet worden sein
Magdeburg. Bei der Bereitschaftspolizei Sachsen-Anhalt in Magdeburg soll Antisemitismus verwurzelt sein. Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) berichtete am Montag von einer anonymen E-Mail, laut der der Imbiss in der Bereitschaftspolizei stets als »Jude« bezeichnet worden sein soll. Die komplette Dienststelle wisse davon und habe nichts dagegen unternommen, heiße es in dem Schreiben. Nach ersten Ermittlungen über das Wochenende hätten sich die Vorwürfe bestätigt. »Dies ist nicht hinnehmbar und ist mit absoluter Härte und absoluter Transparenz aufzuklären«, sagte Stahlknecht. Er sei betroffen, erschrocken, wütend und erschüttert.
Stahlknecht kündigte eine externe und unabhängige Sonderkommission an, die den institutionellen Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit aufklären solle. Sie werde beim Justizministerium angebunden sein. Von ihren Ergebnissen würden auch mögliche personelle Konsequenzen abhängig gemacht. Noch stehe man am Anfang der umfassenden Aufklärung eines erschütternden Vorwurfs. Jerzy Montag, früherer Grünen-Bundestagsabgeordneter und Rechtsexperte werde diese Kommission begleiten und ab Januar leiten.
Zudem werde sich Sachsen-Anhalt einer von Niedersachsen geplanten Studie zum Rechtsextremismus in der Polizei anschließen. Es seien die Entwicklung von Denkweisen in der Polizei in Sachsen-Anhalt zu untersuchen, Vorurteilsstrukturen und Präventionsmöglichkeiten.
Auch habe er erstmalig die Stelle eines Extremismus-Beauftragten bei der Polizei eingerichtet, sagte der Minister. »Wir wollen damit eine Möglichkeit schaffen, sich vertrauensvoll an einen Ansprechpartner außerhalb der Polizeihierarchie wenden zu können.« In konstruktiver Atmosphäre sollten Lösungsmöglichkeiten entwickelt werden. Geplant sind zudem Fortbildungsmaßnahmen gegen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit, die die Landespolizeipfarrerin anbieten soll. Zusätzlich sollen Führungskräfte sensibilisiert werden.
Von der Nachricht mit den anonymen Vorwürfen erfuhr Stahlknecht am Freitag gegen 09.30 Uhr, wie er sagte. Es war der Jahrestag des antisemitischen und rechtsextremen Terroranschlags von Halle. Stahlknecht sagte, er habe umgehend die ersten Ermittlungen eingeleitet. In der anonymen E-Mail habe wörtlich gestanden: »Die komplette Dienststelle kannte diesen Umstand und tat nichts zur Unterbindung oder leitete Disziplinarverfahren beziehungsweise Strafverfahren ein. Dieser institutionelle Antisemitismus muss aufhören. Bitte versuchen Sie, Sensibilität zu schaffen.«
Die Abteilungsleiterin für Öffentliche Sicherheit und Ordnung im Innenministerium, Christiane Bergmann, sagte: »Das antisemitische Stereotyp, das ich hier bewusst nicht wiederhole, besteht in der Landesbereitschaftspolizei bezogen auf den vormaligen Kantinenpächter bereits seit den 90er Jahren.« Es habe sich durchgetragen durch die Organisation Landesbereitschaftspolizei. »Nach unserer Auffassung gibt es dafür keine Rechtfertigung. Und das macht es schwer, einen Ansatz zu finden. Man kann hier ganz gewiss nicht von Einzelfällen sprechen, sondern man muss hier davon sprechen, dass wir an die Landesbereitschaftspolizei insgesamt herangehen müssen.«
Innenminister Stahlknecht betonte: »Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Extremismus und Rassismus haben in unserer Gesellschaft keinen Platz und damit auch nicht in der Landespolizei in unserer Polizei in Sachsen-Anhalt.« Und: »Ich stehe für liberale Freiheit in diesem Land, damit das ganz deutlich ist.«
Grünen, SPD und Linke begrüßten die Pläne zur Aufarbeitung. Sebastian Striegel von der Grünen-Landtagsfraktion teilte mit: »Es ist gut, dass die aktuellen Vorwürfe aus der Polizei heraus bekannt wurden. Die Mauer des Schweigens wird langsam durchbrochen. Um sie aber komplett zu Fall zu bringen, brauchen wir dringend einen unabhängigen Polizeibeauftragten.« Man werde die angekündigten Maßnahmen unterstützen, ähnlich äußerte sich die SPD-Fraktion. Die Linken-Fraktion fordertet: »Der Innenminister muss nun dem Parlament schnell seine Zukunftspläne darlegen, so dass die Abgeordneten darüber beraten können.«
Zuletzt stand Stahlknecht heftig in der Kritik. Der CDU-Politiker soll vor wenigen Tagen bei einem Besuch in einem Polizeirevier gesagt haben, dass die Einsatzstunden der Polizisten zum Schutz jüdischer Einrichtungen an anderer Stelle fehlten. Während er unter anderem aus der jüdischen Gemeinschaft kritisiert wurde, sprach der Minister von einem Missverständnis, es tue ihm leid. Der Schutz jüdischer Einrichtungen habe höchste Priorität, hatte er wiederholt gesagt. dpa/nd
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