»So niedlich wie Shirley Temple und so schnell wie Bruce Lee«

Der Berliner Gropius-Bau zeigt eine große Fotografie-Ausstellung zum Thema Maskulinitäten

  • Geraldine Spiekermann
  • Lesedauer: 5 Min.

Warum Fotografien ausstellen, die sich gleich im Plural mit Maskulinität (»Masculinities«) beschäftigen sollen, wenn schon die aktuelle Politik in unerträglicher Weise geprägt ist von aggressiven Machthabern und rücksichtslosen Wirtschaftsmagnaten, denen Bewegungen wie »Me Too« ebenso gleich sind wie »Black Lives Matter« oder »Fridays For Future«?

Traditionelle Männlichkeit wie das zwanghafte Unter-Beweis-Stellen des eigenen Dominanzverhaltens und die Unterdrückung der Schwachen richtet sich eben immer auch gegen solche Männer selbst. Sie können Nähe, Intimität und Verletzlichkeit nicht zulassen. Der Plural im Titel der Ausstellung des Berliner Gropius-Baus möchte auf die Vielschichtigkeit und die Widersprüche im Konstrukt von Maskulinität hinweisen und alternative Gegenbilder zur gerade viel zitierten »Männlichkeit in der Krise« vorstellen.

Die Kritik an repressiver Maskulinität und an patriarchalen Strukturen beginnt im Westen in den 1960er Jahren, zuerst mit der Frauenbewegung, wenig später mit der schwul-lesbischen Befreiung. Dieser Zeitraum ist auch der Ausgangspunkt für die Ausstellung. Die im Untertitel (»Liberation through Photography«) genannte Befreiung spielt also auf die Forderungen nach Gleichberechtigung an, auf die Befreiung von sozialen Zwängen und Rollen und damit auch auf zu eng gefasste Vorstellungen von Männlichkeit.

Dass die sechs Themenschwerpunkte gerade nicht den idealen weißen Mann propagieren, zeigt schon im Eingangsbereich der Ausstellung die mehrteilige und überlebensgroße Fotoserie John Coplans. Sein nackter, alternder Körper mit schlaffen Gesäßbacken zwängt sich in scheuen, linkisch verdrehten Körperhaltungen in mehrfach unterteilte steile Hochformate. Der Verzicht auf die Darstellung von Kopf und Beinen lässt den männlichen Intellekt und den virilen Bewegungsdrang vollkommen vermissen. Der männliche Körper wird als passives und handlungsohnmächtiges Objekt den Blicken schonungslos ausgesetzt.

Das erste Kapitel, »Die Erschütterung des Archetyps«, spielt mit hypermaskulinen Stereotypen und mit Klischees von heterosexueller Männlichkeit. Unter den vielen Soldaten, Cowboys, Bodybuildern und Muskelmännern ist der alternde Wrestler Adrian Street in einem filmischen Porträt von Jeremy Deller zu sehen. Street spricht davon, dass es ihm wichtiger ist, sich für den Schaukampf aufzuhübschen als jemanden ernsthaft zu verprügeln. Dass er dabei »so niedlich wie Shirley Temple und so schnell wie Bruce Lee« gewesen sei, ist einer der vielen Widersprüche im Wrestling, die sich auch in Streets Vorliebe für das Crossdressing ausdrücken.

»Männliche Ordnung: Macht, Patriarchat und Raum« führt in die Arenen, in denen Männer ihr Imponiergehabe zeigen, etwa im Militär, in studentischen Verbindungen, exklusiven Männerclubs oder bei Präsidentschaftswahlen. Richard Mosse hat für einen Film zu einem Schreiwettbewerb in der Delta-Kappa-Epsilon-Studentenverbindung der Yale-Universität aufgerufen. Für ein Fass Bier als Gewinn ist ein eindringliches Beispiel von »elitärem, weißem, männlichem Zorn« zu sehen und absolut nicht zu überhören.

Das Ausstellungskapitel »Zu nah an Zuhause: Familie und Vaterschaft« befasst sich mit realen und fiktiven Familiennarrativen, so etwa in Hans Eijkelbooms Serie »With my Family« (1973). Als vorgeblicher Familienvater im Kreise der glücklichen Mutter und Kinder sitzend, sind er und die andern im Bild Anwesenden einander vollkommen fremd. Der Künstler hat kurz zuvor an eine beliebige Haustür geklopft und um ein gemeinsames Foto gebeten. Das Modell der vorgeblich perfekten Familie wird von Sunil Gupta ganz anders akzentuiert. In seiner Serie »Pretended Family Relationships« (1988) porträtiert er lesbische und schwule Beziehungen, die zu propagieren unter Margaret Thatcher per Gesetz verboten war. Der Straftatbestand des Artikels 28 lautete genauso wie Guptas Titel: »vorgebliche Familienverhältnisse«.

Das Thema »Männlichkeit queeren« schließt daran an und dokumentiert queere Lebenserfahrung seit den 1960er Jahren aus allen möglichen Perspektiven, so auch aus Sicht von Lesben und BiPocs (schwarze, indigene und farbige Menschen). Catherine Opies Porträtserie »Being and Having« (1991) spielt auf die Theorie Jacques Lacans an, die mit dem Phallus verbundene Macht- und Begehrensstrukturen darlegt. Diese werden von Opie visuell hinterfragt. Sie will verdeutlichen, dass Männlichkeit ein gesellschaftliches Konstrukt ist.

»Die Rückeroberung des Schwarzen Körpers« vertieft den Zusammenhang von Macht, Patriarchat und Rasse. Afroamerikanische Männlichkeit wird in der weißen Kultur symbolisch mit Gewalt aufgeladen und sexuell fetischisiert. Hank Willis Thomas zeigt auf ironische Weise kulturelle Stereotype in der Werbung auf und Rotimi Fani-Kayode verbindet die Hypersexualisierung über das Motiv der Schere mit der Kastrationsdrohung.

Das Schlusskapitel »Frauen über Männer: Die Umkehrung des männlichen Blicks« präsentiert Männlichkeit überwiegend aus der Sicht von Künstlerinnen. Eine weibliche Sicht nimmt auch Kuratorin Alona Pardo ein. Die aus dem Londoner Barbican Centre übernommene Ausstellung steht ihr zufolge vor dem Hintergrund von MeToo, der aktuellen Weltpolitik und der BlackLivesMatter-Bewegung. Dezidiert reflektiert wird dies in der Ausstellung allerdings nicht. Es gibt neben den vielen ästhetisch ansprechenden und bereits heute zu Ikonen gewordenen und leicht angestaubten Fotografien kaum provozierende oder polarisierende Positionen. Auch fehlt eine Auseinandersetzung mit der eigenen Machtposition der männlichen Künstler, etwa mit dem eigenen misogynen Verhalten, mit Gewalt gegen Frauen oder BiPocs. Allein die Fotografin Laurie Anderson thematisiert das »Catcalling«, nämlich die Anzüglichkeiten, denen sie ausgesetzt war, als sie Männer porträtierte, und Anna Fox dokumentiert mit den zahlreichen Drohungen des Vaters gegen sie selbst und ihre Mutter patriarchale Gewalt.

Woran es der Schau neben jüngsten Beiträgen aber vor allem mangelt, sind die Perspektiven von nichtbinären und Transgender-Fotograf*innen. Nur wenige können den Diskurs über Geschlechterrollen so vertiefend bereichern wie sie. Mit ihnen fehlt der Ausstellung der frische Wind der Vielfalt und Buntheit, die der Titel verspricht.

»Masculinities: Liberation through Photography«, bis 10.1.2021, Gropius-Bau, Niederkirchner-straße 7, Berlin

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