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Der Airport, der seine besten Jahre vertrödelt hat
Der BER ist viel zu spät dran - Corona lässt Berlin nur auf ein Viertel der bisherigen Passagierzahl hoffen
Noch nicht eröffnet, hat der neue Hauptstadtflughafen BER schon ein Kapazitätsproblem. Was nach einem abgestandenen Flughafenwitz klingt, ist wahr - nur dass es dem Airport diesmal infolge der Corona-Pandemie bei seiner Inbetriebnahme an Passagieren mangelt. Mit ganzen zehn Millionen Fluggästen rechnet die Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg (FBB) am Standort Berlin für dieses Jahr. Das hat Aufsichtsratschef Rainer Bretschneider dem »nd« dieser Tage nochmals bestätigt. Wobei heute niemand in der Branche angesichts weltweit steigender Infektionszahlen mit Sicherheit sagen könne, wie sich der Flugverkehr selbst in den nächsten Wochen entwickeln werde. »Aber andererseits hilft uns das jetzt auch bei der Inbetriebnahme des neuen Flughafens«, sagte er.
Fast 35 Millionen Fluggäste waren im letzten Jahr an den Flughäfen Tegel und Schönefeld abgefertigt worden. Berlin war als internationales Reiseziel angesagt wie nie. Und auch 2020 sah anfangs alles nach weiterem Wachstum aus. Da lag die Gefahr nahe, dass es nach der am 31. Oktober geplanten Eröffnung am neuen Flughafen eng werden könnte, besonders, wenn eine Woche später der Airport in Tegel schließen würde. Rein rechnerisch würden die Kapazitäten insgesamt reichen - das Hauptterminal (T1) bringt es auf 25 Millionen Passagiere pro Jahr, das altgediente Schönefelder Terminal (T5) auf zwölf Millionen. Doch in der Anlaufphase würde dem BER die für einen Volllastbetrieb notwendige Routine bei der Abfertigung fehlen. Und am neuen Terminal 2, einem Erweiterungsbau für weitere sechs Millionen Fluggäste, drohte bis zuletzt Terminverzug.
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Inzwischen hat sich die Situation auf geradezu paradoxe Weise geändert: Der Neubau T2 wurde pünktlich zum BER-Start fertig, wird nun aber zunächst nicht benötigt. Ende September beschlossen Aufsichtsrat und Geschäftsführung, das Terminal erst mit dem Sommerflugplan 2021 im Frühjahr in Betrieb zu nehmen. Es sei auch ein Beitrag zur Kosteneinsparung angesichts des horrenden Finanzbedarfs, betonte die FBB - wobei vor allem ein Investitions- und Einstellungsstopp sowie Kurzarbeit stärker zu Buche schlagen. Allein zur Bewältigung der 2021 erwarteten Einnahmeausfälle und krisenbedingten Kosten benötigt das Unternehmen rund eine halbe Milliarde Euro zusätzlich. Und dieser Rechnung liegt die bloße Annahme zugrunde, dass sich die Luftfahrtbranche in der zweiten Jahreshälfte belebt und in Berlin am Ende 18 Millionen Passagiere gezählt werden.
Mit einer Gesamtkapazität von 40 Millionen Passagieren verfügt Berlin-Brandenburg nun über Deutschlands drittgrößten Flughafen. Er ist schon zum Start gut, aber ausbaufähig an das öffentliche Verkehrsnetz angebunden. Seine Nähe zu Siedlungsgebieten und zur Metropole Berlin birgt viel Konfliktpotenzial und setzt seiner wirtschaftlichen Weiterentwicklung enge Grenzen. Für all das brauchte der BER neun Jahre länger als geplant und kostete sechs Milliarden Euro, dreimal soviel, wie ursprünglich veranschlagt.
Der BER sei von Beginn an zu klein geplant worden, hat der Flughafenexperte Dieter Faulenbach da Costa kritisiert. Faulenbach wirkte zunächst an der Planung mit und ist heute entschiedener Kritiker. In einem Gastbeitrag für das »nd« schrieb er 2019, der vom Bund und den Ländern Berlin und Brandenburg 1996 politisch durchgesetzte Konsensbeschluss, an einem ungeeigneten Standort wie Schönefeld einen »mittelgroßen« Flughafen zu bauen, sei der »erste Baustein des nun folgenden Desasters« gewesen. Bereits 2007, als die Baugenehmigung für einen Flughafen für bis zu 21 Millionen Passagiere erteilt wurde, hätten die Flughäfen Berlins 18,5 Millionen abgefertigt. Man habe dann planlos Um- und Anbauten veranlasst, ohne das Kapazitätsangebot zu erhöhen, damit dennoch sogar 27 Millionen Menschen im Jahr abgefertigt werden können. Bau- und Technikpfusch war die Folge - von der unbrauchbaren Entrauchungsanlage über Kabelsalat in zu engen Kanälen, nicht schließende Sicherheitstüren, tröpfelnde Sprinkler bis zu falschen Dübeln. Daraus erfolgte: eine Serie von abgeblasenen Eröffnungsterminen.
Der Flughafen Berlin Brandenburg »Willy Brandt« wird bis zum 31. Oktober schrittweise Realität. Am vergangenen Sonntag, mit Beginn des Winterflugplans, ging es damit los, dass der bisherige Flughafen Berlin-Schönefeld (SXF) zum »BER Terminal 5« umgelabelt wurde, auch der alte S- und Regionalbahnhof trägt seither die neue Bezeichnung. Seit Montag fährt die S-Bahn über die neue Station Waßmannsdorf in den unterirdischen Flughafenbahnhof. »Es gibt keine große Party, wir machen einfach auf«, hat Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup gesagt. Aber vollbracht ist die Inbetriebnahme erst am Abend des Eröffnungstags, wenn die ersten Linienmaschinen am BER landen, und wenn sie dann am 1. November planmäßig von dort abfliegen.
Schönefelds Bürgermeister Christian Hentschel (parteilos) ist froh, dass es 14 Jahre nach dem ersten Spatenstich nun mit dem BER vorangeht. »Wir haben lange warten müssen. Viele Infrastrukturmaßnahmen sind ins Stocken geraten, viele Investoren waren zurückhaltend, es gab einen Stau«, sagte er. Und natürlich sei nicht jeder Bürger froh angesichts der engen Nachbarschaft. »Der Flughafen ist für uns Fluch und Segen zugleich.« Reisende, die in diesen Tagen die Hauptstadt mit dem Flugzeug erreichen oder verlassen, sollten jedenfalls ausreichend Muße haben, sich am BER umzuschauen. Am 1. November, dem ersten Betriebstag, rechnet die FBB mit rund 13 000 Passagieren, davon 5000 am T1. Wenn dann am 8. November Tegel schließt, bekommt das Hauptterminal mehr zu tun - von anfangs 16 000 Fluggästen ist die Rede.
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