Glaube, Liebe, Hoffnung, Tränen
Eine Erinnerung an 1989 mit einem neuen alten Album von Tears for Fears
Es war die Zeit, als man das böse Wort »Gutmensch« noch nicht kannte. Es gab nur die einen, die die Welt verändern wollten, und die andern, denen dies herzlich egal war. Tears For Fears gehörten zu den Weltveränderern.
Denn diese Welt - wir haben es geahnt - ist in einem beklagenswerten Zustand und zudem bescheuert (»Mad World«). Allen geht es nur um Macht (»Everybody Wants to Rule the World«). Darunter zu leiden haben die Kinder (»Suffer the Children«) und die Frauen, die immer noch unfrei sind (»Woman in Chains«). Zum Glück ist Rettung in Sicht. Man muss nur das Saatgut der Liebe ausstreuen (»Sowing the Seeds of Love«), dann ist alles möglich. Hatten nicht schon die Beatles 1967, im »Summer of Love«, gesungen »All You Need Is Love«? Und genau dort knüpften Roland Orzabal und Curt Smith mit dem Album »The Seeds Of Love« 1989 an. 22 Jahre nach »Sgt. Pepper« und »Magical Mystery Tour« beschworen sie das Gute, Edle, Große herauf. Der Zeitpunkt war kein Zufall. Die Revolution, die im Westen nicht geglückt war, weil die jungen Wilden lieber in den Staatsdienst gingen (der »lange Marsch durch die Institutionen«) als den Staat abzuschaffen, sollte nun im Osten gelingen. Auch wenn der russische Generalsekretär Michail Gorbatschow schon mangels Haaren nicht zum Hippie taugte, so brachte er doch den Glauben zurück, diese schrecklich unperfekte Welt ließe sich ganz anders gestalten. Zwar hätten nur die wenigsten erklären können, was sich hinter den Wörtern »Perestroika« und »Glasnost« genau verbirgt, aber es fühlte sich gut an. Und ist es nicht das, was das Hippietum in seinem Kern ausmacht, das gute Gefühl?
Diese »Good Vibrations« machten am Eisernen Vorhang nicht halt, sondern erreichten auch das Vereinigte Königreich, wo man gerade den zweiten »Summer of Love« feierte. Die Titel der britischen Nummer-1-Alben von 1989 lesen sich wie der Soundtrack zum großen Aufbruch. Endlich loderte wieder das Feuer (»A New Flame«, Simply Red), die Luft war explosiv (»Blast!«, Holly Johnson), es wurde gekämpft (»Street Fighting Years«, Simple Minds), die Unschuld war zurückgekehrt (»The Innocents«, Erasure), Wunder schienen wieder möglich (»The Miracle«, Queen). Der Boden war also bereitet für Tears For Fears; sie mussten den Samen der Liebe nur noch aussäen.
Und wie sie dies taten! Die 80er-Parole »Anything goes« - alles ist machbar - setzten sie musikalisch so beherzt um wie ihr Vorbild aus Liverpool zwischen 1967 und 1969. In dieser Phase, ihrer kreativsten, waren die Beatles Pop-, Soul-, Blues-, Psychedelic-, Hardrock-, Weltmusik- und Was-weiß-ich-nicht-noch-alles-Band zugleich. Wie McCartney und Lennon tobten sich auch Orzabal und Smith in unterschiedlichsten Genres aus. Das Achteinhalb-Minuten-Epos »Badman’s Song« führt dies anschaulich vor: Der Pianist ist ein Jazzer, der Gitarrist markiert den Bluesrocker, Sängerin Oleta Adams sorgt für den Soul, und heraus kommt bester Breitwandpop - ein beeindruckendes Zeugnis musikalischen Größenwahns.
Natürlich konnte das Ganze nicht gut gehen; Genie und Zoff liegen eng beieinander. Orzabal und Smith überwarfen sich wie einst Lennon und McCartney. Doch zu jenem Zeitpunkt, Ende 1991, war der zweite »Summer of Love« ohnehin längst Geschichte und Gorbatschow nur noch ein Wodka, den man besser nicht in zu großen Mengen konsumiert. Was bleibt, ist die Erinnerung an ein Jahr, in dem auch musikalisch alles möglich war. Nachhören lässt sich dies auf der soeben erschienenen Neuauflage von »The Seeds of Love«, das unter anderem als »Super-Deluxe-Box-Set« mit allen B-Seiten der Singles, raren Mixen und bisher unveröffentlichten Stücken erhältlich ist. Es ist ein Füllhorn an Song- und Soundideen, die zu Tränen rühren, und mit einem Mal wünscht man sich, es wäre wieder 1989.
Tears For Fears: »The Seeds of Love« (Mercury/ Universal Music)
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