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Drohender Kahlschlag hüben wie drüben
Im Dannenröder Wald und im rheinischen Kohlerevier spitzen sich die Proteste von Umweltschützern zu
Umweltschützer, die seit einem Jahr gegen die Rodungen im Dannenröder Wald in Hessen protestieren, haben am Dienstagmorgen den Tag X ausgerufen. Gleich von zwei Seiten rückte die Polizei mit einem Großaufgebot an. Im Norden drangen Beamte in den Wald ein und umstellten das Baumhausdorf »Drüben«, im Süden bezogen sie in der Nähe von Dannenrod Stellung. Dort rückten Baufahrzeuge an, um am Waldrand ein Camp für Polizei und Baufirmen zu bauen. »Es geht los«, schrieb das Bündnis »Wald statt Asphalt« via Messengerdienst Telegram und: »Jetzt braucht es jede*n Einzelnen von uns, um diesen Wald zu verteidigen! Checkt die Packliste, trommelt eure Freund*innen zusammen und dann rauf auf die Bäume!«
Seit Oktober laufen die Rodungen für den Weiterbau der A49 in Mittelhessen, die einmal Kassel mit Gießen verbinden soll. Es fehlen noch 43 Kilometer, auf denen die Trasse durch mehrere größere Waldgebiete verlaufen soll. Rodungen im Herrenwald bei Stadtallendorf (Landkreis Marburg-Biedenkopf) sowie im Maulbacher Wald unweit der A5 (Vogelsbergkreis) sind bereits weitgehend abgeschlossen. Die Protestierenden konnten die Abholzungen dort nicht verhindern. Mit Harvestern wurden dort breite Schneisen in die rund 300 Jahre alten Mischwälder geschlagen.
Im Dannenröder Forst wollen Umweltaktivisten das verhindern. Vor einem Jahr besetzten sie den Wald und errichteten entlang der signalfarbenen Trassenmarkierung an den Stämmen ein Baumhausdorf neben dem anderen. »Wir werden den Kampf für eine klimagerechte Welt, für die Ökosysteme hier im Wald und für eine radikale Verkehrswende nicht aufgeben«, hieß es in einer Mitteilung von Nia vom Team der Baumbesetzer. Das Aktionsbündnis »Keine A49« unterstützt die Besetzung und hat am Dienstag dazu aufgerufen, eine Menschenkette um den Wald zu bilden. »Eine ganze Landschaft wird hier verwüstet«, sagte die Sprecherin der Initiative, Barbara Schlemmer.
Deutlich weniger Aufmerksamkeit als der Protest im Dannenröder Wald bekommt derzeit ein teilweise massiver Polizeieinsatz am Rande des Tagebaus Garzweiler. Obwohl die nordrhein-westfälische Landesregierung gerade über die Vorgaben des Kohleausstiegsgesetzes für das Rheinische Revier berät, drängt RWE darauf, sechs weitere Dörfer abzubaggern. In der vergangenen Woche fielen bereits die Alleebäume entlang der Landstraße 277. Nun rücken die Rodungstrupps von RWE in das Dörfchen Lützerath (Landkreis Heinsberg) vor. Drei Familien leben dort noch, können mindestens noch ein Jahr bleiben und wollen eigentlich auch nicht weg. Sie haben sich mit Klimaaktivisten verbündet und protestieren mit ihnen gegen die Baumfällungen im Dorf.
Einige Menschen hingen am Dienstagmorgen in Traversen über den Einfahrten des Dorfs. Sie wurden, wie Nils Kuhn von der Gruppe »Lützerath bleibt« erzählt, »ziemlich rabiat geräumt«. Die Polizei habe dafür nicht auf Spezialkräfte zurückgegriffen, sondern Beamte hätten sich auf die Dächer von Fahrzeugen gestellt und die Aktivisten aus den Seilen gerissen. Arbeiter von RWE führten zeitgleich die Rodungen fort. Bäume auf Grundstücken, die schon an den Kohlekonzern verkauft sind, wurden gefällt. »Das zerstört die Lebensqualität für die Menschen, die hierbleiben wollen«, kritisiert Nils Krause. »Wir sind erschüttert von dem Tempo und der Zerstörungswut von RWE«, sagt David Dresen aus dem benachbarten Kuckum. »Der Konzern macht das Leben im Dorf zur Hölle und fällt gesunde Bäume mitten in der Klimakrise. Wenn die Landesregierung dabei von ›bürgerfreundlicher Umsiedlung‹ und Dialogveranstaltungen redet, ist das der blanke Hohn.« Bäume und Dörfer fallen nach Ansicht der Aktivisten vor allem dem »Profitstreben« von RWE zum Opfer, Trotz der Verschärfung der Klimakrise werde die Weiterführung des Tagebaus ohne Rücksicht auf Verluste betrieben.
Den Protesten gegen den Weiterbau der A49 und die Zerstörung der Dörfer am Rand des Tagebaus Garzweiler ist die Haltung der Aktivisten gemeinsam. Sie kämpfen zwar mitunter erbittert um Bäume und Dörfer, bewahren aber zugleich immer eine globale Perspektive. Vor Jahrzehnten geplante Verkehrs- und Energieprojekte, die jetzt mit teilweise brachialer Polizeigewalt umgesetzt werden, haben für sie keine Zukunft mehr, weil sie Puzzleteile einer sich zuspitzenden Klimakrise sind. Bäume- und Baumhäuser in Hessen wie im Rheinland mögen zwar fallen; die Konflikte darum, wie Mobilität und Energiegewinnung in der Zukunft gestaltet werden sollen, werden allerdings weitergehen.
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