Ab nun geht’s bergab

Ab Montag sinken in Berlin mit dem Mietendeckel auch überhöhte Bestandsmieten

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.

Nicht wenige Berliner Mieterinnen und Mieter entdeckten schon bei ihrer Novembermiete eine angenehme Überraschung: Sie war niedriger als die Oktobermiete. »Wir hatten schon Anrufe deswegen, ob sich die Eigentümer verrechnet haben«, berichtet Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins. Die Unternehmen, darunter landeseigene Wohnungsbaugesellschaften und auch die Deutsche Wohnen, sind aber einfach überpünktlich ihrer Verpflichtung nachgekommen, laut Mietendeckel überhöhte Mieten zu senken. Denn am kommenden Montag tritt die zweite Stufe des Gesetzes in Kraft, die auch in Bestandsmietverträgen Absenkungen erzwingt (siehe Kasten). Bis zu einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts sollte die ersparte Miete allerdings zurückgelegt werden.

Die Stadtentwicklungsverwaltung geht davon aus, dass bei rund 340 000 Wohnungen die Mieten abgesenkt werden müssen, der Mieterverein rechnet sogar mit 365 000 Wohnungen. Das Gesetz gilt für rund 1,5 Millionen Berliner Mietwohnungen. Ausgenommen sind die knapp 100 000 Sozialwohnungen, mietpreisgebundener weiterer Wohnraum, Neubauten seit 2014, Wohnheime und sogenannte Trägerwohnungen, in denen soziale Träger die von ihnen betreuten Menschen unterbringen.

Die Obergrenzen für Bestandsmietverträge

Unter www.mietendeckel.berlin.de stellt der Senat einen Online-Rechner zur Verfügung, mit dem man leicht überprüfen kann, ob der Eigentümer zu viel Miete verlangt.

Basis der Berechnung der höchstzulässigen Nettokaltmieten sind die je nach Baujahr und Ausstattung verzeichneten Tabellenwerte im »Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin«, so der offizielle Titel des Mietendeckels. Diese sind bei Vorhandensein von Bad und Sammelheizung nach Baujahr sortiert wie folgt:

Bis 1918: 6,45 Euro/m2

1919 bis 1949: 6,27 Euro/m2

1950 bis 1964: 6,08 Euro/m2

1965 bis 1972: 5,95 Euro/m2

1973 bis 1990: 6,04 Euro/m2

1991 bis 2002: 8,13 Euro/m2

2003 bis 2013: 9,80 Euro/m2

Verfügt die Wohnung über drei von fünf Kriterien einer »modernen Ausstattung« darf ein Zuschlag von einem Euro pro Quadratmeter verlangt werden. Diese lauten:

Schwellenlos von der Wohnung und vom Hauseingang erreichbarer Aufzug.

Einbauküche mit Oberschränken und Dunstabzugshaube.

Hochwertige Sanitärausstattung.

Hochwertiger Bodenbelag in der überwiegenden Zahl der Wohnräume. Abgezogene Dielen fallen in der Regel nicht darunter.

Energieverbrauchskennwert von weniger als 120 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr.

Bis zu einem weiteren Euro pro Quadratmeter darf bei Modernisierungen während der Geltungszeit des Mietendeckels verlangt werden. Die Maßnahme muss vom Vermieter bei der landeseignen Investitionsbank Berlin angezeigt werden.

Schließlich spielt die Wohnlage eine Rolle. Ist sie einfach, können 28 Cent pro Quadratmeter abgezogen werden, bei mittlerer Lage beträgt der Abzug 9 Cent, gute Wohnlage führt zu einem Aufschlag von 74 Cent.

Sind alle genannten Punkte zusammengerechnet, werden auf den Quadratmeterpreis noch 20 Prozent aufgeschlagen, um die zulässige Mietobergrenze in laufenden Mietverträgen zu berechnen. nic

Die sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften senken die Mieten für etwas über 24 000 ihrer insgesamt rund 325 000 Wohnungen, so das Ergebnis von Anfragen von »nd«. Insgesamt sind also rund sieben Prozent des Bestands betroffen - mit deutlichen Unterschieden zwischen den Unternehmen. Die WBM muss für 11,5 Prozent ihrer Wohnungen die Miete um durchschnittlich 67 Cent pro Quadratmeter oder 31,81 Euro pro Wohnung senken. Betroffene Mieter von Gesobau und Degewo sparen eine ähnliche Summe pro Monat. Bei der Howoge geht es um rund neun Prozent des Bestands, bei dem die Miete um durchschnittlich 21 Euro pro Monat sinkt. Die Gewobag gibt nur an, dass die Miete der betroffenen Wohnungen um durchschnittlich 80 Cent pro Quadratmeter sinkt.

Die Deutsche Wohnen, mit über 110 000 Wohnungen Berlins größter Vermieter, muss für rund 30 Prozent ihres Bestands die Mieten senken. »Die Reduktion der Mietzahlungen bewegt sich im Durchschnitt im niedrigen zweistelligen Bereich«, erklärt Unternehmenssprecher Marko Rosteck auf nd-Anfrage. Genauer will man dort nicht werden. Alle betroffenen Mieter seien schriftlich informiert worden. Für 2020 rechnet die Deutsche Wohnen mit neun Millionen Euro weniger Mieteinnahmen, über die gesamte Laufzeit des auf fünf Jahre begrenzten Gesetzes mit 330 Millionen Euro.

Vonovia, der zweitgrößte Privatvermieter der Hauptstadt mit rund 42 000 Wohnungen, antwortet noch etwas vager. Bei rund einem Drittel des Bestands liegen die Mieten über den Obergrenzen des Mietendeckels. »Die Absenkungen sind moderat und liegen zwischen einigen Cent und einigen Euro pro Quadratmeter«, so der Regionalsprecher Ost, Matthias Wulff. Die jährlichen Einnahmen reduzierten sich um zehn Millionen Euro.

Der Wohnungskonzern Akelius ist vor allem durch exorbitante Mieten bekannt geworden. Dort rechnet man mit 20 Millionen Euro weniger Einnahmen pro Jahr. »Wir halten den Mietendeckel für verfassungswidrig. Solange das nicht final vor Gericht geklärt ist, halten wir uns natürlich an die rechtlichen Vorgaben«, heißt es auf nd-Anfrage. Im Zwischenbericht von Akelius mit den Geschäftszahlen von Januar bis September 2020 lässt sich der Einfluss schon ablesen. Die Durchschnittsmiete sank von 580 auf 567 Euro.

Fast alle Vermieter haben die Betroffenen schriftlich über die Absenkung informiert, gesetzlich dazu verpflichtet sind sie allerdings nicht. Wer als Mieter durch den Mietendeckelrechner des Senats oder des Berliner Mietervereins zu dem Schluss kommt, mehr als erlaubt zu zahlen, sollte zunächst dem Vermieter schreiben. Der Mieterverein hilft mit Musterbriefen auf seiner Internetseite. Wenn das nicht fruchtet, sollte man sich an die Stadtentwicklungsverwaltung wenden. Das Formular kann online ausgefüllt und übermittelt werden, für die Bearbeitung werden zwei Monate veranschlagt. Bei Nichtbefolgung des Gesetzes drohen empfindliche Bußgelder von 250 bis 2000 Euro je Wohnung.

Bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ist man zuversichtlich, dass sich die Anzahl der Verstöße in Grenzen halten wird. Die landeseigenen Wohnungsunternehmen halten sich an das Gesetz, auch die großen Konzerne scheinen offensichtliche Verstöße zu scheuen. Die Beschwerden wegen Verstößen gegen den am 23. Februar in Kraft getretenen Mietendeckel sind überschaubar angesichts von 1,5 Millionen betroffenen Wohnungen. Vom 1. März bis 31. Oktober sind bei den Bezirken 1722 Vorgänge gezählt worden. Über 1000 davon wegen Verstoßes gegen den Mietenstopp zum Stichtag 18. Juni 2019. Knapp 500-mal wurde das Fehlen oder ein fehlerhaftes Schreiben der Vermieter zur Einordnung der Wohnung moniert. Fast 200-mal ging es um Neuvermietungen zu überhöhten Preisen. »Wir haben häufiger mit möblierter befristeter Vermietung zu hohen Preisen zu tun. Da gab es schon einige Umgehungsversuche des Mietendeckels«, berichtet Reiner Wild vom Mieterverein. Zuschläge für Möbel sind nicht zulässig. Auch bei Untervermietung dürfen die Obergrenzen nicht überschritten werden.

Wild ist nach den Entscheidungen zu Eilanträgen optimistisch, dass das Bundesverfassungsgericht bei der für Mitte 2021 erwarteten Entscheidung die Stärke des Eingriffs ins Privateigentum für verfassungsgemäß hält. Dass es dem Land Berlin auch die gesetzgeberische Kompetenz zuspricht, hält er für eine »harte Nuss«. Wenn das Gesetz vor den Verfassungsrichtern besteht, soll Berlin den Spielraum umfassend nutzen. »Ein öffentlich-rechtliches Mietrecht wäre das bessere System«, sagt der Mietervertreter.

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