Frankreich streitet über brutale Polizei

Nach der gewaltsamen Räumung eines Flüchtlingslagers in Paris ist selbst der Innenminister bestürzt

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

Es gibt derzeit kein anderes Thema in Frankreich: Der brutale Gewalteinsatz der Polizei bei der Räumung eines Flüchtlingslagers auf dem Pariser Platz der Republik am Montagabend dominiert die öffentliche Debatte. Die Kritik an der Polizei ist laut. Begleitet durch Angehörige von Hilfsorganisationen, Anwälte, Abgeordnete und andere Persönlichkeiten hatten rund 450 Flüchtlinge - die meisten aus Afghanistan - ihre Zelte auf dem zentral gelegenen Platz aufgeschlagen, um so die Öffentlichkeit auf ihre Situation aufmerksam zu machen.

Vor einer Woche hatte die Polizei am nördlichen Stadtrand von Paris ein Zeltlager von etwa 3000 Flüchtlingen gewaltsam aufgelöst. Ein großer Teil der Insassen wurde in Notunterkünften untergebracht, die provisorisch in Turnhallen oder anderen öffentlichen Gebäuden eingerichtet wurden. Doch schätzungsweise 700 bis 1000 Menschen sind nach wie vor ohne Unterkunft - sie irren durch Paris und die Vororte. Die Polizei hat seit Monaten den strikten Befehl, jedes neue Entstehen von illegalen Flüchtlingslagern mit allen Mitteln zu verhindern.

Deshalb waren am Montagabend neben den Flüchtlingen noch einmal mindestens genauso viele Franzosen anwesend, die ihre Solidarität zum Ausdruck bringen und durch ihre Anwesenheit eine Räumung verhindern wollten. Es kam zunächst zu einem allgemeinen Gerangel und dann schlugen die Polizisten brutal mit Schlagstöcken auf die Flüchtlinge und die anderen Anwesenden ein, egal ob diese Widerstand leisteten oder nicht. Dabei wurden sogar Parlamentarier, die an ihrer blau-weiß-roten Schärpe zu erkennen waren, aber auch Journalisten angegriffen. Die Polizisten ließen nicht ab, bevor sie nicht alle Zelte abgerissen hatten. Sie verfolgten die Menschen, die vor ihren Schlägen flüchteten, bis weit in die Nebenstraßen, und setzten gegen sie Tränengas ein. »Es war ganz offensichtlich, dass sie den Befehl hatten, ein Exempel zu statuieren«, sagte Corinne Torre von der Organisation Ärzte ohne Grenzen. »Ihr Einsatz hatte einzig repressiven Charakter, dabei geht es doch vor allem um ein humanitäres und sanitäres Problem.«

Die Bilder von diesem neuerlichen gewalttätigen Polizeieinsatz lösten Empörung aus. Selbst Innenminister Gérard Darmanin zeigte sich bestürzt und forderte einen Bericht des Pariser Polizeipräfekten an und die Generalinspektion der Polizei auf, eine Untersuchung über die Verfehlungen bei den Ordnungskräften durchzuführen und disziplinarische oder juristische Schritte vorzuschlagen.

Die linke Opposition bezichtigt den Minister der Doppelzüngigkeit, denn schließlich sei er der Dienstherr der Polizei und für die Art ihres Einsatzes verantwortlich. Seit seiner Amtsübernahme habe er keinen Hehl daraus gemacht, dass er »energisch durchgreifen« und »mit allen Mitteln für Ruhe und Ordnung sorgen« wolle. Dagegen wirft die rechte Opposition dem Innenminister vor, er lasse die Polizei im Stich, indem er zu ihrem Einsatz von Montagabend auf Distanz geht. Dabei hat Darmanin gerade erst mit dem von ihm angeregten Paragrafen 24 im neuen Gesetz über Globale Sicherheit, der böswillige Veröffentlichungen über Polizisten im Internet verhindern soll und de facto die Ausübung der Pressefreiheit einschränkt, einer Forderung der fast durchweg rechten bis rechtsextremen Polizeigewerkschaften entsprochen.

Der Pariser Polizeipräfekt Didier Lallement steht in seinem Bericht an den Minister zum Polizeieinsatz vom Montag. Man habe nach der Weisung gehandelt, »keine Bildung von illegalen Lagerstätten zuzulassen«. Die würden nicht selten »von bestimmten Organisationen initiiert«. Ein solcher »Missbrauch von öffentlichem Raum« sei »inakzeptabel«.

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Der kommunistische stellvertretende Bürgermeister von Paris, Ian Brossat, der bei den Ereignissen am Montagabend anwesend war, erklärte, dass der Kern des Problems die völlig unzureichenden Mittel und das schleppende Handeln der Behörden gegenüber dem Problem der Menschen ohne Papiere in Paris sei. Die Notunterkünfte reichten nicht aus und seien längst überbelegt, so dass viele Menschen auf der Straße liegen, und dies gerade jetzt unter den Bedingungen der Coronaepidemie und der kalten Jahreszeit. »Die Polizeipräfektur und die Präfekte der Pariser Vorortdepartements schieben sich gegenseitig dieses Problem zu«, sagte er. »Dabei wird völlig ausgeblendet, dass es hier um Menschen geht.«

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