Die amerikanische Krankheit

Stephan Kaufmann unterzieht Corona einem Gesinnungstest

Journalisten mögen Synonyme. Wenn von der »Bundesregierung« gesprochen wird, muss diese im Folgesatz mit »Berlin« oder »Deutschland« umschrieben werden. Das wird auch im Falle Chinas so gehandhabt: Gängige Synonyme für China waren im Westen bis Anfang der 1990er »das kommunistische Regime« oder »das kommunistische Land«. Mit der Kapitalisierung der chinesischen Wirtschaft und ihrem Aufstieg zur Anlagesphäre westlicher Unternehmen änderte sich das, fortan fanden vor allem »Peking« oder »die Volksrepublik« als Synonyme Verwendung.

In jüngster Zeit allerdings, seit China von der US-Regierung als Hauptkontrahent und von der EU als strategischer Wettbewerber klassifiziert worden ist, wird häufig wieder vom »kommunistischen Regime« gesprochen, um dem Machtkampf einen Hauch von Systemgegensatz und Wertekonkurrenz zu verleihen.

Ökonomisch betrachtet ist da nichts mehr dran. »China ist kapitalistisch, da gibt es gar keinen Zweifel«, erklärte jüngst der US-Ökonom Branko Milanovic, der auf die drei Merkmale des Kapitalismus verweist: Die Produktionsmittel sind mehrheitlich in Privatbesitz, der größte Teil der Arbeit wird als bezahlte Lohnarbeit verrichtet, und die Steuerung der Wirtschaft erfolgt dezentral. Gemessen an diesen Kriterien sei China »in etwa so kapitalistisch wie die Türkei oder Frankreich in den 1980er Jahren«. Also kapitalistisch.

Nichtsdestotrotz wird etwa US-Präsident Donald Trump nicht müde, den Coronavirus als »China-Virus« zu bezeichnen, während Brasiliens Jair Bolsonaro vom »kommunistischen Virus« spricht. Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte fordert die Bundesregierung auf, das »kommunistische Regime für die globalen Schäden durch Covid-19 verantwortlich« zu machen. Die US-amerikanische Victims Of Communism Memorial Foundation, 1993 um Zbigniew Brzezinski gegründet und vom Kongress autorisiert, rechnet im Übrigen schon so. Nur für den Fall, dass Sie einmal über deren Opferzahlen stolpern.

Auch an der Pandemie soll also der Kommunismus schuld sein - selbst wenn er gar nicht existiert, auch nicht in China. Dass dort kapitalistische Zustände herrschen, hat der Soziologe Eric Hendriks endgültig belegt. Denn laut Hendriks sind dort Ratgeber zur Selbstoptimierung so beliebt wie kaum in einem anderen Land. Bücher wie »Wie man Freunde gewinnt und Menschen beeinflusst«, »Die 7 Eigenschaften hocheffektiver Menschen« sollen in China rund 30 Prozent des Buchmarktes ausmachen, in den USA seien es nur sechs Prozent der Sachbücher. Trumps Werk »The Art of the Deal« liegt in bereits fünfter Übersetzung vor.

Warum es Peking dennoch vermag, diese bald 1,5 Milliarden Schmiede des eigenen Glücks vor dem Virus zu schützen, steht auf einem anderen Blatt. In dieser »Chinesischen Politik« mag am Ende doch ein Moment liegen, das jene Rückkehr des Kommunismus ins Reden über die Volksrepublik rechtfertigt. So gesehen bekäme zumindest die Sache mit der Wertekonkurrenz wieder etwas Sinn: Denn ist nicht, was wie gezielt Alte und Geschwächte tötet, eine ganz und gar kapitalistische, neoliberale, irgendwie sehr amerikanische Krankheit?

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.