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Doch keine Beamtenbeleidigung
Amtsgericht Fulda gibt Widerspruch eines Linken gegen einen Strafbefehl statt
Applaus brandete auf, als Christopher W. am Donnerstagnachmittag das Gebäude des Fuldaer Amtsgerichts verließ. Der in Frankfurt am Main lebende Sozialarbeiter hatte Widerspruch gegen einen Strafbefehl eingelegt. Diesem gab das Gericht statt. Polizisten hatten dem 26-Jährigen Beamtenbeleidigung vorgeworfen, weil er auf einer antirassistischen Demonstration in Fulda am 13. April 2019 die Parole »Bullen morden – der Staat schiebt ab – alles das gleiche Rassistenpack« skandiert haben soll. Der die Demonstration begleitende Einsatzleiter der Polizei und sein Stellvertreter fühlten sich dadurch persönlich angegriffen und erstatteten wie auch der Polizeipräsident von Osthessen Anzeige.
Die Anwältin von Christopher W. erklärte, die Parole richtete sich gegen den Rassismus innerhalb der Polizei und des Staatsapparates und nicht gegen einzelne Beamt*innen. Dass es diesen Rassismus gibt, steht für die rund 30 Antifaschist*innen fest, die vor dem Gericht eine Solidaritätskundgebung für den W. organisiert hatten. Darunter waren Aktivist*innen der Gruppe Offenes Antifaschistischen Treffen Frankfurt. Sie wiesen in einem Redebeitrag auf den Anlass der Demonstration hin, auf der Christoper W. die inkriminierte Parole gerufen haben soll: Es war der erste Jahrestag des Todes von Matiullah J. Der afghanische Geflüchtete war am 13. April 2018 in der Nähe seiner Unterkunft von einem Polizisten erschossen worden, nachdem er in einer Bäckerei randaliert hatte (»nd« berichtete). Während der Todesschütze längst wieder im Dienst ist, bekamen zahlreiche Kritiker*innen des Polizeieinsatzes Strafbefehle.
Mehrere von ihnen beteiligten sich an der Soli-Aktion, so auch Darius Reinhardt. Der Student aus Frankfurt am Main wird beschuldigt, mit einem Artikel über den Fall Matiullah J. für das Onlinemagazin »Belltower News« die Polizei verächtlich gemacht zu haben. Auch Philipp Weidemann, Sozialwissenschaftler an der Hochschule Fulda, wartet noch auf seinen Prozess vor dem Amtsgericht. Dem 42-Jährigen wird Verleumdung zur Last gelegt. Der Vorwurf: Er soll während der erwähnten Kundgebung einem Jugendlichen ein Flugblatt gegeben und ihm erklärt haben, auf der Demo gehe es darum, dass ein Polizist einen Unschuldigen ermordet habe. Der Schüler soll dies seiner Mutter berichtet haben, diese soll dies der Polizei berichtet haben. Weidemann bestreitet, je von Mord gesprochen zu haben. Den Freispruch von Christopher W. nimmt auch er mit Freude auf.
Der Richter machte in seiner Urteilsbegründung deutlich, dass die inkriminiere Parole politisch zu verurteilen ist. Juristisch bewege sie sich aber noch im Rahmen dessen, was eine Demokratie aushalten müsse. Noch ist unklar, ob die Anklagebehörde Berufung einlegen wird. Staatsanwalt Christoph Wirth sieht in der Parole die Grenze zur Schmähkritik überschritten. Er hatte für Christopher W. eine Geldstrafe von 2250 Euro gefordert. Kundgebungsteilnehmer*innen forderten unterdessen, dass sich auch der für den Tod von Matiullah J. verantwortliche Polizist vor Gericht verantworten muss. Ganz ausgeschlossen ist das nicht mehr. Nach der frühen Einstellung wurde das Verfahren auf Antrag des in Afghanistan lebenden Bruders von J. wieder aufgenommen.
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