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Klassenverständigung unter Kulturschaffenden
Miley Cyrus hat ein neues Album herausgebracht. Es ist, wenn man beim Hören betrunken genug ist, nicht total schlecht
Ich bin Kulturschaffender, also depressiv und pleite. Von was ich lebe, nicht nur finanziell, ist per Dekret außer Kraft gesetzt. Diejenigen, deren Kunstkonsum darauf beschränkt ist, einmal im Jahr den neuen Star Wars zu gaffen und sonst Serien auf Netflix zu »bingen«, wollen mir erzählen, es wäre alles halb so schlimm. Die Vokabel »light« wird für den aktuellen Zustand, den absoluten kreativen Lockdown, gebraucht. Als Bezeichnung für weniger starke Zigaretten ist sie hingegen seit Jahren auf Strafe verboten, weil kriminell irreführend und gesundheitsschädigend. Völlig depraviert streite ich verzweifelt mit meinen Freunden über »alternativlose« Maßnahmen der stalinistisch-demokratischen Bundesregierung. Weil Solidarität plötzlich zum obersten Gebot einer sonst neoliberalistischen Republik geworden ist, habe ich mich dazu entschlossen, das neue Album von Miley Cyrus zu rezensieren. Die US-amerikanische Musikerin sang einst nackt »Wrecking Ball« und landete damit ihren größten Hit. Das Thema kommt bei Grünen, SPD und CDU gleich gut an, die Abrissbirne ist seit nunmehr 31 Jahren das gesamtdeutsche Symbolbild der Sozialdemokratischen Einheitspartei Deutschlands. Ich will so solidarisch wie möglich sein, ich brauche Kohle.
»WTF Do I Know« (dt: Was zum Teufel weiß ich schon?) singt Cyrus im ersten Lied und spricht mir aus der Seele mit ihrem Vorhaben, einfach nur noch zu saufen, weil sie sich hilflos und frustriert fühlt. Bestimmt ein alter Text aus der Zeit vor Trumps höchstwahrscheinlicher Wahlniederlage, denn Cyrus freute sich öffentlich auf Twitter wie Bolle, dass ihre Angela bald Joe heißt. Das muss eine große Erleichterung sein: Keine Kinder wollte Miley nämlich gebären, bis die Angelegenheit Klimawandel anständig zu Gehör käme, posaunte sie unlängst. Als 2018 ihr Anwesen nahe Malibu von einem Feuer beschädigt wurde, gab sie sich besonders betroffen angesichts der Lage in ihrer Community. Ehemann und Haustiere hätten es gerade noch so heraus geschafft. Das geliebte Haus, das angeblich nicht mehr stand, verkaufte sie tragischerweise mit Verlust zu nur 1,7 Millionen US-Dollar, residiert nun in zwei bestimmt klimaneutralen Luxusvillen zu je fünf Millionen US-Dollar. Die Zeit der Empfängnis ist gekommen! Ab 20. Januar frieren Biden und Harris die Pole zurück.
»Plastic Hearts« heißt das Album, es könnte genauso gut »Latex Dicks« heißen, die visuelle Gestaltung erinnert an Schmuddelfilmchen der 80er, ist neonpink, trägt Lederhandschuhe, es prangen serifenlose Großbuchstaben schwülstigst. Im Zweifel handelt es sich dabei immer um eine Hommage an die unsterbliche Madonna, weil Madonna jeder kennt und Respekt vor Legenden eine wichtige Tugend in archaischen Heldengesellschaften wie den USA ist.
Auf Sirius XM, dem landesweiten Satellitenradio, gibt es 150 Kanäle, von denen mindestens 110 Musik spielen, sogar die fundamentalchristlichen. Cherubim und Seraphim dürfen deswegen auf keinem Chartsalbum fehlen. Mit »Angels Like You«(dt. Engel wie du) tut Cyrus ihre staatsbürgerliche Pflicht. Sogleich überlege ich mir, das Saufen durch das Beten zu ersetzen, weil Kirchen systemrelevant sind und folglich geöffnet.
Auch die Landbevölkerung ist erwähnt, im Laufe des Albums klingt es immer weniger nach Autotune-R’n’B, dafür immer mehr nach Country, besonders »High« kommt in die Gefilde von Shania Twain. Ein Glücksfall, weil Cyrus’ Bemühungen mit ihrer brüchigen, weißen Alkoholikerinnenstimme eine voluminöse, schwarze Soul-Diva zu imitieren, nach zehn Minuten an den Nerven zehren. Plump überschreitet sie jedes Arrangement ohne jegliches Gefühl, aber mit einem Haufen Selbstbewusstsein für die Güteklasse des eigenen Gebrülls.
Als Bonuszugabe findet der Hörer Coverversionen, eine schlimmer als die Andere: Debbie Harry war nie die beste Sängerin, »Heart of Glass« ihre große Kür, Miley Cyrus überplärrt die Band. »Zombie« von den Cranberries versaut sie auch, trifft wenigstens die Töne, kann aber aufgrund schlechter Atemtechnik das Tempo nicht halten. In der Liveaufnahme darf ihre Begleitgruppe aus blutleeren Vollprofis endlich einmal spielen. Der Gitarrist nudelt ein Erwachsenenrocksolo aus seiner teuren Gibson.
Wegen »Bad Karma«, Rille zehn, wird alles besser, man vergisst sogar das Duett mit Billy Idol in Rille sechs. Im Milieu des klassischen AOR (Adult Oriented Rock) ist Cyrus am erträglichsten, das seltsame Gestöhne in »Bad Karma« bringt mich zum Grinsen, es gibt eine Lap-Steel-Gitarre, die längst vergessene Joan Jett (»I Love Rock’n’Roll«) darf auch mitmachen. Die LP endet mit einer Überraschung: »Golden G String« ist tatsächlich ein echter Song, mit Inhalt, Aufbau, Produktion und Komposition. Multimillionärin Cyrus ist wieder ratlos und verzweifelt: »Das ist nun mal die Welt in der wir leben/Die alten Jungs halten die Karten und spielen nicht Rommé/Du wagst es mich verrückt zu nennen?/Hast du dich hier mal umgesehen?« So hört sich wahre Klassenverständigung an, das ist Solidarität. Ich kulturschaffender Sozialhilfeempfänger, verlottert und alkoholisiert, habe dem nichts hinzuzufügen - Prost!
Miley Cyrus »Plastic Hearts« (RCA)
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