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Der Tag, an dem die Beatles starben
Heute vor 40 Jahren wurde John Lennon in New York ermordet
John Lennon saß im Herbst 1956 in einem Kino in Liverpool und blickte in seine berufliche Zukunft. Es lief »Love me tender«, der erste Spielfilm mit Elvis Presley. Tauchte der US-amerikanische Rock’n’Roll-Star auf der Leinwand auf, stießen die Mädchen und Jungen in den Sitzreihen begeisterte Schreie aus. Wenn Presley dann noch zu einer Gitarre griff und ein Lied sang, erlebte der 16-jährige Lennon, wie um ihn herum alle aus dem Häuschen gerieten.
»Love me tender« war ein Western, in dem Presley einen Farmer spielte, dessen drei ältere Brüder gerade aus dem amerikanischen Bürgerkrieg zurückgekehrt sind. Es geht um Eifersucht und um einen Raubüberfall. Aber diese Geschichte war uninteressant, verglichen mit der Atmosphäre, die Presley im Publikum erzeugte. Die Begeisterung im Kinosaal brachte Lennon auf den Trichter, mit ein paar Mitschülern eine Band zu gründen. Einer sollte einen Teekistenbass zupfen, ein zweiter rhythmisch ein Waschbrett schrubben und ein dritter Akkorde auf einer Gitarre anschlagen. Lennon selbst würde ebenfalls Gitarre spielen und dazu singen, um seine Umgebung ebenso zu beeindrucken wie Presley. Sie nannten sich »The Quarrymen« und spielten Skiffle, weil der den Bandmitgliedern beim Spielen wenig technisches Können abverlangte und sich die Zuhörer damit schnell zum Tanzen bringen ließen.
Lennon war selbstbewusst. Vergaß er in einem Lied mal eine Textzeile, erfand er auf offener Bühne aus dem Stand eine neue. Diese Fähigkeit beeindruckte bei einem Auftritt der »Quarrymen« auf einem Gemeindefest im Vorort Woolton den zwei Jahre jüngeren Paul McCartney im Publikum. Er war auch Sänger und Gitarrist. In der Pause spielte er dann Quarrymen eine virtuose Version von »20 Flight Rock« von Eddie Cochran vor. Kurz darauf luden sie ihn in ihre Band ein, wo sich McCartney zum Usurpator der Quarrymen entwickelte. Denn zum einen verwandelte er die familienfreundliche Tanzkapelle in eine gefährliche Rock’n’Roll-Band, und zum anderen überforderten sein Ehrgeiz sowie seine musikalischen Fähigkeiten seine Mitspieler. Einer nach dem anderen stieg aus, bis von der früheren Besetzung einzig noch Lennon übrig war. McCartney wiederum holte 1958 mit George Harrison einen weiteren Gitarristen dazu und Lennon fand mit »The Beatles« einen neuen Bandnamen.
1962 erschien deren erste Single »Love me do«, die mit dem gerade dazugestoßenen Schlagzeuger Ringo Starr eingespielt worden war. 1970 kam das letzte Album »Let it be« heraus. Dazwischen gelang den Beatles die größte Karriere, welche je einer Band gelang.
Anschließend begab sich Lennon mit der japanischen Künstlerin Yoko Ono auf künstlerische und persönliche Entdeckungsfahrten. Er nahm mehrere Solo-Alben auf und ging nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes Sean fünf Jahre in Elternzeit. Erst 1980 buchte er mit Ono zusammen erneut ein Studio, um idealisierte Schilderungen seines Ehelebens aufzunehmen. Das dazugehörige Album mit dem Titel »Double Fantasy« erschien im November 1980. Lennon war 40 Jahre alt, Yoko Ono 47.
Im Dezember reiste der 25-jährige Mark Chapman nach New York und nahm sich ein Zimmer im Sheraton-Hotel. Chapman wurde in Texas als Sohn einer Krankenschwester und eines Oberfeldwebels geboren und wuchs in Georgia auf. Der lieblose Vater schlug die Mutter, und an der Highschool in Decatur traf der unsportliche Chapman Mitschüler, die es auf ihn abgesehen hatten. Mit 14 hielt er es nicht mehr aus, rannte weg und trieb sich ein paar Wochen in Atlanta herum. Er kam zurück, begann Drogen zu nehmen und schwänzte manchmal den Unterricht, bis er sich mit 16 den Presbyterianern anschloss. Danach sah es für eine kurze Zeit aus, als käme Chapman auf einen grünen Zweig.
Bei den Presbyterianern traf er Jessica Blankenship, und die beiden wurden ein Paar. In einem Sommerzeltlager des CVJM fiel Chapmans Talent auf, mit Kindern umzugehen. Die zeigten sich begeistert von ihrem Betreuer, und Chapmans Vorgesetzten lobten ihn für seinen Fleiß und seine Zuverlässigkeit. Ähnlich äußerten sich seine Kollegen bei der Entwicklungshilfeorganisation World Vision, für die sich Chapman nach dem Ende der Schulzeit um vietnamesische Flüchtlinge in Arkansas kümmerte.
Anschließend ging er nach Tennessee, um sich am gleichen College wie Blankenship einzuschreiben. Alles sah vielversprechend aus, bis er eine Affäre mit einer früheren Mitarbeiterin von World Vision begann. Chapman befielen Gewissensbisse. Er brachte es nicht über sich, seiner Partnerin die Affäre zu gestehen, wurde schwermütig und bekam Selbstmordgedanken. Seine Leistungen im Studium verschlechterten sich so sehr, dass die College-Laufbahn schon nach dem ersten Semester endete. Kurz danach trennte sich Blankenship von ihm.
Chapman kehrte nach Georgia zurück und begann bei einem Sicherheitsdienst als Wachmann zu arbeiten. Seine Niedergeschlagenheit verstärkte sich. Er reiste nach Hawaii, um auf andere Gedanken zu kommen. Doch eines Nachts versuchte er sich mit den Abgasen seines Mietwagens umzubringen und scheiterte - der Schlauch, der das Kohlenmonoxidwolken in seinen Wagen leiten sollte, war durchgeschmolzen. Er ging in ein Krankenhaus und wurde dort auf die psychiatrische Station verlegt. Während er sich erholte, erinnerte sich Chapman an einen Roman, den er einmal gelesen hatte: »Der Fänger im Roggen« von J.D. Salinger. Dessen Protagonist Holden Caulfield legt sich mit allen und jedem an, mit Mitschülern und alten Freunden ebenso wie mit neuen Zufallsbekanntschaften. Chapman beschloss, Caulfield nachzueifern.
Er reiste wieder nach Arkansas und schaute bei seiner alten Arbeitsstelle vorbei, aber dieses Mal, um sich mit seinen früheren Vorgesetzten zu überwerfen. Er jobbte in einem Krankenhaus in Hawaii, bis er sich mit einer Krankenschwester anschrie. 1979 heiratete er die Reisebürokaufrau Gloria Abe. Aus seinen Stimmungstiefs versuchte Chapman mit viel Alkohol herauszukommen. Aber es half wenig, denn es folgte eine Ehekrise auf die nächste. Im Sommer 1980 las er eine Biografie über John Lennon, aus der er erfuhr, dass Lennon gar nicht mehr in England, sondern in New York wohnte, genauer gesagt: im Dakota-Building in Manhattan. Ein berühmtes, sehr teures Appartmenthaus, in dem schon immer viele prominente Menschen wohnten. In seiner Kindheit hatte Chapman die Beatles gemocht, aber nur so lange, bis Lennon 1966 einer Journalistin in England mitteilte, dass seiner Meinung nach die Beatles populärer als Jesus seien. Für diese Behauptung, fand Chapman, sollte Lennon nun büßen. Er zeigte seiner Frau eine Pistole und kündigte ihr an, Lennon zu ermorden.
Als er in New York ankam, erkannte und belästigte er im Ausgang der U-Bahn-Station 72ste Straße den erfolgreichen Sänger James Taylor. Dessen Prominenz brachte Chapman zur Raserei. Er drückte Taylor an die Wand und redete auf ihn ein. Taylor erkannte, dass Chapman stark schwitzte und seit Tagen weder geduscht noch geschlafen haben musste. Er hörte sich an, wie vielen wichtigen Menschen Chapman demnächst begegnen würde und dass er es ihnen allen zeigen würde. Mit Mühe und Not konnte Taylor ihn dazu bringen, von ihm abzulassen.
Am folgenden Tag, dem 8. Dezember 1980, wartete Chapman vor dem Eingang des Dakota-Gebäudes und hoffte, Lennon zu begegnen. Am Nachmittag kamen der Ex-Beatle und Ono tatsächlich aus dem Gebäude, um in ein Aufnahmestudio zu fahren. Chapman ging auf sie zu und hielt Lennon ein Exemplar von »Double Fantasy« hin und bekam ein Autogramm. Danach wartete er. Einige Stunden später, kurz vor 23 Uhr, kehrten Lennon und Ono zurück. Als Chapman sah, wie Lennon den Eingangsbereich des Gebäudes erreichte, hob er seine Pistole und schoss das Magazin leer. Lennon starb noch auf dem Weg ins Krankenhaus, Chapman blieb am Tatort, bis ihn Polizisten festnahmen. Er wehrte sich nicht. 1981 wurde er zu einer Haftstrafe von mindestens 20 Jahren bis lebenslänglich verurteilt. Nach dem Urteil entwickelte Chapman Hassgefühle gegen seine Frau Gloria. Denn er hatte ihr die spätere Tatwaffe gezeigt und von seinem Mordplan erzählt, aber sie hatte es trotzdem unterlassen, die Polizei zu verständigen.
Jedes Mal, wenn Chapman in den folgenden Jahren Journalisten ein Interview gab, tischte er ein neues Motiv für seine Tat auf. Er habe mit seiner Tat Werbung für Salingers Roman machen wollen. Er habe Lennon für den Autor kommunistischer und gotteslästernder Songs gehalten, auch mit seinem Lebensstil sei er nicht einverstanden gewesen. Im Übrigen habe er, Chapman, viel mehr mit Lennon gemeinsam als dieser Bewohner des Dakota-Buildings, der sich bloß den Namen John Lennons zugelegt hätte.
Im August 2020 hat der Staat New York, wo Chapman einsitzt, dessen elftes Bewährungsgesuch abgelehnt. John Lennons Platten konnte er nicht erschießen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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