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Vergessene Straßenkinder

Bezahlbarer Wohnraum, Abschaffung von Hartz-IV-Sanktionen und eine Kindergrundsicherung würden Betroffenen helfen

»Straßenkinder und Jugendliche leben vom Betteln, vom Diebstahl oder von der Prostitution. Manche betreiben auch sogenanntes Sofa-Hopping«, stellt Ronald Prieß, Botschafter der Straßenkinder Hamburg in einer schriftlichen Stellungnahme für eine Sitzung des Bundestags-Familienausschusses zum Thema »Strategien gegen Wohnungslosigkeit bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen« fest. Sofa-Hopping bedeutet, sie schlafen mal hier, mal dort, wodurch nicht selten Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnisse entstehen.

Viele der auf der Straße lebenden jungen Menschen kehren immer wieder nach Hause zurück, kommen bei Freunden unter oder wohnen zeitweise wieder in Jugendhilfeeinrichtungen. Nicht nur deshalb ist unklar, wie viele wohnungslose Jugendliche und junge Erwachsene es eigentlich gibt. Fest steht nur: Eigentlich dürfte es sie überhaupt nicht geben. Trotzdem sind viele junge Menschen zu einem Leben ohne Wohnung gezwungen. Wie viele Heranwachsende in Deutschland von dieser extremen Form der Ausgrenzung betroffen sind, ist aber auch wegen der schlechten Datenlage unklar.

Nach Einschätzung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe waren im Jahr 2018 etwa 19 000 Kinder und Jugendliche ohne Wohnung. Das Deutsche Jugendinstitut hat errechnet, dass im Jahr 2016 37 000 junge Menschen bis 26 Jahre ohne festen Wohnsitz waren. Die Studie aus dem sechsten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung von 2018 kommt zu dem Ergebnis, dass jede fünfte von Wohnungslosigkeit bedrohte Person unter 18 Jahre alt ist.

Die schlechte Datenlage ist jedoch nur ein Problem von vielen, wie in der Anhörung im Familienausschuss am Montagnachmittag deutlich wurde. Die Gesamtzahl der wohnungslosen Menschen in Deutschland steigt seit Jahren an. Die Situation ist für alle miserabel, es gibt viel zu wenig Hilfsangebote und finanzielle Unterstützung. Bei jungen Betroffenen kommt noch die »ungenügende Verzahnung der Hilfesysteme in den Übergängen der Sozialgesetze« obendrauf, wie es im Antrag der Grünen steht, der am Montag gemeinsam mit einem Antrag der Linken diskutiert wurde.

Sascha Facius vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge erinnerte in der Ausschusssitzung an die Bundeskonferenz der Straßenkinder im Mai dieses Jahres. Betroffene hatten dort von einer coronabedingten Zunahme ihrer Probleme berichtet. »Der besondere Bedarf an Schutzraum und psychosozialer Beratung wurde seitens der Jugendlichen formuliert«, so Facius, »vor allem in Hinblick auf steigende häusliche Gewalt, vermehrte Fluchtbewegungen der Jugendlichen in Zwangsbeziehungen und der stetig wachsenden Unsichtbarkeit im öffentlichen Raum durch Social Distancing und Lockdown.« Dazu komme noch, dass die Hygiene- und Abstandsregeln nur schwer umzusetzen seien.

»Die Pandemie zeigt die schwierige Lebenssituation wohnungsloser junger Menschen wie in einem Brennglas«, stellte auch Birgit Fix von der Caritas fest. »Dennoch ist das Thema in Gesellschaft, Medien und Politik nicht wirklich auf dem Radar.«

Das wollen Linke und Grüne mit ihren Anträgen ändern. Beide Parteien sehen unter anderem prekäre Lebensverhältnisse als Gründe für die Wohnungslosigkeit und fordern deshalb eine Kindergrundsicherung - die Linke eine höhere als die Grünen. Zudem wird in beiden Anträgen die Abschaffung der Sanktionierung von Sozialleistungen gefordert. Aktuell ist es Jobcentern erlaubt, unter 25-Jährigen die Hilfsleistungen komplett zu streichen. Zudem brauche es mehr bezahlbaren Wohnraum. Laut dem Linke-Antrag müsse für Minderjährige außerdem das Housing-First-Prinzip gesetzlich festgeschrieben werden; die Grünen fordern einen flächendeckenden Ausbau. Housing First ist ein noch relativ neuer Ansatz, nach dem Obdachlose ohne Bedingungen eine eigene Wohnung erhalten.

Ganz aktuell zu Zeiten der Pandemie ist vorerst jedoch wichtig, überhaupt schnell Unterbringungsmöglichkeiten zu schaffen. »Die Hotels sind leer, und die Kids müssen von der Straße«, fasste Prieß zusammen. Obdachlose über 18 würden in Hamburg bereits in Hotels untergebracht, Minderjährigen hingegen nicht. Es müsse jetzt im zweiten Lockdown verhindert werden, dass die Straßenkinder, wie im Frühjahr geschehen, in noch prekärere Lagen kommen.

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