- Wirtschaft und Umwelt
- Bodenreform
Arbeitskräfte blieben die einzige Ressource
Die Historikerin Elke Scherstjanoi über den Zusammenhang von Reparationen und schneller Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone
Bodenreformen gab es in der Geschichte öfter. Was war das Besondere an jener im Osten von Deutschland?
Das Spezifische der Bodenreform von 1945 bis 1948 in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands war, dass sie nach einem verlorenen Krieg von einer Siegermacht konzipiert wurde.
Die Vorgabe zur Reform kam aus Moskau?
Ja. Die rasche Bodenumverteilung in der Sowjetischen Besatzungszone wurde von der östlichen Siegermacht initiiert. Im Juni 1945 erfuhr eine KPD-Abordnung in Moskau von Stalins Forderung. Zeitpunkt und Inhalt deckten sich nicht mit den Bodenreformplänen der KPD. Auch sie wollte das »reaktionäre junkerliche Preußentum« ausrotten und den »schlimmsten Bodenhunger des schaffenden Landvolkes« stillen. Angedacht waren Enteignungen der Flächen über 100 oder 150 Hektar oder eine »Notabgabe« von Großgrundbesitzern gegen Entschädigung. Die Siegermacht wollte eine entschädigungslose und vollständige Enteignung aller »Junker«-Flächen und legte 100 Hektar als Grenze. Ein Nachweis persönlicher Systemnähe und Schuld war dabei nicht nötig. Und die verteilten Flächen waren selten größer als sieben Hektar. Im August 1945 war die Verordnung fertig; sie wurde dann in den Ländern und Provinzen der Besatzungszone beschlossen, beginnend in Sachsen-Anhalt.
Was wurde umverteilt?
Die Bodenreform konfiszierte den Boden von NS-Staat, NS-Organisationen und der Wehrmacht. Sie enteignete privatbäuerlichen Besitz von Kriegsverbrechern und NS-Aktivisten mit oder ohne richterliche Entscheidung. Enteignet wurde aber auch der gesamte produktive Besitz von Eigentümern mit über 100 Hektar Fläche, ungeachtet persönlicher Verstrickung in NS-Unrecht. Alle Enteignungen erfolgten ohne Entschädigung. Sie betrafen Boden, Vieh und Geräte, Gebäude, Verarbeitungsanlagen. »Junkerland« war Hauptquelle der Verteilung, Kirchenland blieb unangetastet. Kleine und mittlere Höfe bestanden fort. Es ging um bis zu 3,3 Millionen Hektar. Der Großteil wurde sofort aufgeteilt. Die Entscheidung trafen Bodenkommissionen.
Wer waren die Nutznießer?
Boden erhielten in der Größe von fünf bis sieben, ausnahmsweise zehn Hektar vor allem landarme Bauern und landlose Landarbeiter, zudem vormalige Städter und »Umsiedler«. Sie hatten nur beschränkt Zugriff auf ihr neues Eigentum: Es durfte nicht veräußert, belastet und geteilt, konnte aber vererbt werden. Die Reform bewirkte einen tiefen ländlichen Strukturwandel. Der Anteil von Großbetrieben mit über 100 Hektar sank von 28 auf vier Prozent; der Anteil kleiner und mittlerer Höfe verdoppelte sich auf 60 Prozent. Es profitierten 544 000 »Bodenempfänger«.
Ging es um den Sozialismus auf dem Land?
Der Bodenreform einen staatssozialistischen Zweck zu unterstellen, korrespondiert mit der These von der frühen Sowjetisierung Ostdeutschlands. Doch passender ist eine andere Deutung. Moskau hoffte zunächst auf einen Friedensvertrag, der eine antisowjetisch ausgerichtete Bindung Deutschlands verhindern würde. Minimalforderungen waren die dauerhafte Demilitarisierung, konsequente Bestrafung von Kriegsverbrechen, eine angemessene Wiedergutmachung sowie politische Garantien gegen eine antisowjetische deutsche Außenpolitik. Erst 1953 musste man erkennen, dass es zu einem solchen Vertrag nicht kommen würde. Bis dahin zielten Moskaus Pläne auf anderes als einen deutschen Staatssozialismus. Es ging um nazismusfreie Verhältnisse und das volkswirtschaftliche Überleben.
Sollten die kleinen Höfe den Boden für eine spätere Kollektivierung bereiten?
Das wird gern unterstellt, kurioserweise sowohl von der kommunistischen als auch der kommunismuskritischen bis antikommunistischen Geschichtsschreibung. Aus sowjetischer Sicht schuf die Umverteilung des Bodens aber keine Strukturen, die zwingend Kollektivierung forderten oder auf den Ruin des Bauernstandes zielten. Es gab mehr kleine Betriebe; ihre durchschnittliche Größe indes wuchs. Optimal waren die Betriebsgrößen nicht. Der Mangel an Zugkraft, Technik, Dünger und Energieträgern ließ eine effektivere Bodennutzung aber ohnehin nicht zu. Dass ab 1948 eine Politik gegen wirtschaftlich erfolgreiche Bauern einsetzte, war in der Bodenreform nicht zwingend angelegt und erklärt sich aus veränderten politischen Verhältnissen. Ein Vergleich von Ost und West zeigt, dass nach Abschluss der Bodenreform die Eigentumsstrukturen nicht sehr verschieden waren. Kollektivierung war im Osten auch 1949 also nicht auf der Tagesordnung.
Wie wirkte die Reform innenpolitisch?
Die sowjetischen Vorgaben stellten die KPD vor Probleme. Ihre Basis billigte die Bildung bäuerlicher Privatbetriebe nicht. Auch in der SPD bevorzugte man eher gemeinschaftliche Wirtschaftsformen. Die bürgerlichen Parteien wiederum forderten Entschädigung für die Enteigneten. Dem Ringen um politische Partner war die Reform nicht zuträglich.
Warum vergab man so kleine Flächen?
Man muss die Reform vor dem Hintergrund eines energischen Zugriffs auf die deutsche Wirtschaft zwecks Wiedergutmachung in kürzester Frist sehen. Die sowjetische Führung rechnete mit enormen Reparationen und hohen Besatzungskosten für die Sowjetische Besatzungszone. Das zwang dazu, dort auf eine extrem technikarme, arbeitsintensive Landwirtschaft zu setzen. Große Teile der Ernte, Lebensmittellager, Viehbestände und Dünger wurden eingezogen. Das einzige, was das Dorf in der Besatzungszone würde aufbieten können und müssen, waren Arbeitskräfte. Eigentum an Boden sah die Siegermacht dabei wohl als Motivationshebel an. Zugleich betrieb sie Klientelpolitik für »kleine Leute«.
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