- Kultur
- Verbrecher-Verlag
»Die Kutsche zieht die Pferde«
Kristine Listau und Jörg Sundermeier über 25 Jahre Verbrecher-Verlag
Was war zuerst da, die Verbrecher-Versammlung oder der Verbrecher-Verlag?
Jörg Sundermeier: Der Verbrecher-Verlag wurde fünf Jahre vor der Verbrecher-Versammlung gegründet: 1995.
Ehrlich? Aber dieser Verlag war doch eigentlich gar kein richtiger Verlag.
Sundermeier: Es gab ein Buch.
Das erste von Dietmar Dath: »Cordula killt dich«.
Sundermeier: Das kam 1995 raus. Und dann gab es 1999 zwei neue: »Installation Sieg« von Stefan Wirner, eine Cut-Up-Montage der Medienberichte des Nato-Angriffs auf Jugoslawien, und ein »Tigerboy«-Comic-Heft von Oliver Grajewski. Dafür haben wir einen Ort in Berlin gesucht, um das vorzustellen. Ich ging in das Kaffee Burger und wollte einen gewissen Bert treffen, das war einer der Chefs. Außerdem war ich dort mit Conny Lösch, damals Literaturredakteurin der »jungen Welt«, verabredet. Mit ihr hatte ich mich sehr gestritten und wir wollten uns versöhnen. Conny und ich saßen also da und tranken. Irgendwann ist Bert reingeschneit: »ich habe gehört, du suchst mich«. Ich fragte ihn: »Du bist Bert Papenfuß?« Er: »Ja«. Ich: »Wie der Dichter?« Und er: »Hä?« Ich sagte: »Wie Papenfuß-Gorek« und er meinte: »Das bin ich, nur das ›Gorek‹ ist weg.« »Ah ja, alles klar«, erwiderte ich. Dann haben wir sehr viel getrunken. Irgendwann fragte er mich: »Wie findest du eigentlich meine Gedichte?« Ich hatte schon ordentlich einen im Tee und antwortete: »Ehrlich gesagt ganz schön anstrengend«. Da hat er gesagt: »Super. Welchen Tag wollt ihr denn?« Ich sagte: »13. Dezember«. Und er: »Das ist ein Montag. Montag ist dicht. Dienstag geht.« Ich meinte »okay« und er fragte mich: »Und was macht ihr den Dienstag drauf?« Ich: »Was meinst du?« Er: »Ja, ihr kriegt den Dienstag jetzt jede Woche«. Und dann war das die Verbrecher-Versammlung. Später zog sie in den Festsaal Kreuzberg um, dann in den Monarch und seit 2014 ist sie in der Fahimi Bar.
Was passierte denn nun auf der ersten Verbrecher-Versammlung?
Sundermeier: Na, Oliver Grajewski und »Tigerboy«. Ja! Das war genau am 14. Dezember 1999.
In welcher Auflage erschien »Tigerboy«?
Sundermeier: Ich glaube 300 Stück.
Und Dath?
Sundermeier: 700.
War das schon im zweifarbigen Cover-Design? Das man wie die Suhrkamp-Bücher gut wiedererkennen kann?
Sundermeier: Nein, überhaupt nicht. Wir haben damals noch jedes Cover selbst gemacht. Zusammen mit dem Grafiker Torsten Platz. Da war noch gar nichts festgelegt, auch nicht die Schrift. Das wurde erst mit unseren Stadtbüchern anders, mit dem »Bielefeldbuch«, dem »Neuköllnbuch« oder dem »Kreuzbergbuch«. Die wurden von Sarah Lamparter, Büro Otto Sauhaus, gestaltet. Erst dann begannen wir, die Cover zweifarbig zu machen: irgendeine Farbe auf Weiß oder andersrum. Bis wir verstanden haben, das es eh immer 4c gedruckt wird und es nicht billiger ist, auf Farben zu verzichten. Wir haben also auch mal drei oder vier Farben gemacht, aber im Regelfall machen wir zwei.
Das Format der Bücher ist dasselbe geblieben?
Sundermeier: Das hat am Anfang variiert und dann waren wir relativ früh bei der Druckerei Dressler. Die haben uns gesagt, dieses kleine Format holt mehr aus einem Bogen Papier heraus.
Kristine Listau: Das amerikanische Format.
Sundermeier: Eine amerikanische Industrienorm, die aber kein Mensch in Deutschland benutzt hat, außer Dressler: 12x17 Zentimeter. Das Lustige ist, Dressler hatte es vor langer Zeit schon mal einem Berliner Verlag vorgeschlagen: Merve. Deshalb sind Merve und wir die einzigen, die dieses Format benutzen, zumindest regelmäßig.
Apropos Merve, deren Bücher hat man früher zweimal aufgeschlagen und schon hatte man eine lose Blattsammlung in der Hand. War das bei den frühen Verbrecher-Büchern auch so?
Sundermeier: Beim allerersten Buch ja. Das war die berühmte Hotmelt-Bindung, die Heißschmelzungsbindung. Außerdem hatten wir ein paar Bücher, die man eigentlich nur mit dem Hammer aufschlagen konnte, weil das Buch sich so zurückzieht, wenn du es aufdrückst - so ähnlich wie ein Expander.
Listau: Oder du musst es brechen, das geht ja auch. Aber dann hast du auch wieder die lose Blattsammlung.
Sundermeier: Inzwischen haben sich aber die Bindungen einfach wesentlich verbessert.
Von alldem wussten Sie Anfang nichts, oder? Keine Ahnung haben, aber es trotzdem tun.
Sundermeier: Genau so. Dass wir es nicht mit Kartoffeldruck gemacht haben, ist alles. Das war eben Learning by doing. Wir waren zu zweit: Werner Labisch und ich.
Woher kannten Sie sich?
Sundermeier: Wir sind auf dieselbe Schule gegangen, in Verl bei Gütersloh.
Ihr Büro war Ihr Wohnzimmer?
Sundermeier: Unser Büro war die Studentenwohnung von Werner Labisch in Berlin-Charlottenburg. Im katholischen Studendenwohnheim Peter-Lorenz-Haus, einem ehemaligen Kloster. Im Dath-Buch stand aber: Berlin und Bielefeld. Weil es meine Studentenbude in Bielefeld auch noch gab, ich bin erst 1996 nach Berlin gezogen. Werner und ich sind rumgelaufen und haben Buchhandlungen »Cordula killt dich« angeboten. Viele haben es auch angenommen. Das war freundlich. Manche haben es auch bezahlt, andere haben das vergessen. Wir wussten nicht, wie man mahnt. Auch das mussten wir erst mal lernen. Als wir schließlich ein ordentliches Mahnwesen hatten, wurden wir plötzlich auch ernst genommen.
Bei welchem Buch war das?
Sundermeier: Schon 1999, bei »Tigerboy« und »Installation Sieg«. Da waren wir viel erfahrener, weil wir bei Fanzines und Zeitschriften mitgemacht hatten.
Hatten Sie nicht dieses Gratismagazin »Beam me up«?
Sundermeier: Das gehörte uns nicht, das war einfach nur ein Job. Werner und ich waren mal ganz kurz zusammen mit anderen die Betreiber des »Partysan Berlin«, das war so ein Eventmagazin wie der »Flyer«. Darüber lernten wir, wie man mit Druckereien umgeht in Satz- und Grafikfragen. Und wir konnten ein bisschen besser kalkulieren und zumindest auch einfachere Steuersachen erledigen. Doch wir hatten noch sehr interessante Ideen von Auflagen. Wir waren immer deutlich drunter oder deutlich drüber, wir haben es nie auch nur annähernd getroffen. Da sind wir jetzt ein bisschen besser geworden. Auch dank der Chefin.
Welche Auflage ist ideal für so einen Verlag wie Verbrecher, Frau Listau?
Listau: Das ist unterschiedlich, je nach Buch. Also wenn wir einen literaturwissenschaftlichen Titel machen, erst mal 750 bis 1000 Stück. Wir starten bei Anke Stelling jetzt mit 3000. Bei Debüt-Literatur zwischen 1500 und 2000. Wir entscheiden pro Buch, wie andere Verlage auch.
Seit wann sind Sie dabei?
Listau: Seit 2014.
Sie beide sind verheiratet und sehen Sie sich von morgens bis abends. Gut oder schlecht?
Listau: Schön. Man heiratet doch, weil man sich mag und weil der andere Mensch der ist, der am wenigsten nervt. Ich finde es wirklich super, dass wir 24 Stunden zusammen sind. Wir sitzen allerdings in verschiedenen Büros. Weil wir beide so viel am Telefon reden.
Sundermeier: Kein Job bleibt hinter der Tür, wenn du sie abgeschlossen hast. Aber so ein Verlag, der kommt einfach so mit dir nach Hause. Und wenn ich mich bettfertig mache, dann sage ich auf einmal zu Kristine: Du, dieses Buch sollten wir machen! Das ist dann wieder toll. Werner hat mal den schönen Satz gesagt: Wir sind die Pferde und der Verlag ist die Postkutsche. Wir sind hervorragend eingespannt und wir sind auch schnell, das Problem ist nur: die Kutsche zieht. Und wir mussten nebenher arbeiten, um diesen Verlag zu machen. Was jetzt Gottseidank nicht mehr der Fall ist: Wir können vom Verlag leben.
Warum haben Sie damals nicht aufgehört?
Sundermeier: Werner und ich hatten uns ausgerechnet, dass es uns wahrscheinlich ein Jahr beschäftigt, den Verlag abzuwickeln, so das wir gesagt haben, ach, scheiß drauf, dann machen wir weiter. Werner hat 2010 aufgehört, ich habe weiter gemacht. Und dann kam Kristine.
Wie hat sich das Verlagsgeschäft seither verändert? 1990er ohne Internet. Nuller mit Internet und 2020 mit Corona?
Sundermeier: Die 90er waren trotz Helmut Kohl noch sozialdemokratischer Kapitalismus. Und dann kam mit der Sozialdemokratie Kohlscher Kapitalismus, und jetzt zeigt sich, dass der Kapitalismus nicht funktioniert. Wir hatten damals in der Buchbranche einen viel freundlicheren Umgang miteinander. Der noch nicht so geprägt von Konkurrenzkämpfen und Produktdenken.
Listau: Ich finde unsere Branche sehr sympathisch. Es gibt überall Arschlöcher, klar. Trotzdem sind es meist Kolleginnen und Kollegen, die sich immer auch austauschen. Bei Konzernverlagen verdienen die Leute mehr, aber eher in den hohen Positionen. Eine Lektorin in einem solchen Verlag verdient auch nicht so viel. Eine Person, die wirklich an Geld interessiert wäre, würde etwas anderes machen als Bücher. Es sind eher idealistische Menschen, und es ist nicht naiv zu sagen: das sind die netteren Menschen. Deshalb macht es Spaß. Es ist schon richtig toll.
Herr Sundermeier, Sie sagten vor 15 Jahren, Verbrecher sei ein altlinker Verlag. Dabei war der damals noch nicht so alt.
Sundermeier: Ich finde es gut, dass gegenwärtig in der Linken die ganzen moralischen Debatten geführt werden, ich möchte nicht eine davon missen, aber am Ende heißt es doch: Leute, hallo, Ökonomie! Es geht nicht darum, ob das Arbeiterkind auf der Hochschule schlecht angesehen wird und dann sagt man Klassismus, es geht darum, dass das Arbeiterkind auf die Hochschule darf. Was ich von Gisela Elsner gelernt habe ist: man muss nicht die gleichen Fehler nochmal machen, man kann neue machen.
Und dass Sie Irmtraud Morgner, die ja komplett vernachlässigt worden ist, wieder aufgelegt haben, war das auch Bestandteil dieses Altlinken-Konzepts?
Sundermeier: Wir haben einfach gemerkt: sie ist vergriffen. Dann haben wir ihren Sohn kennengelernt und er hat uns erlaubt, zwei Bände zu machen. Durch das Kaffee Burger und das Papenfuß-Umfeld haben wir immer mehr vom Osten und seiner Kunst verstanden. Da waren Leute, die haben Lyrik geschrieben und wurden von der Stasi für brandgefährlich gehalten. Für die hatte Elke Erb offensichtlich das Potential, die DDR zu vernichten und vielleicht hat sie es ja auch geschafft? Im Grunde teile ich sozusagen meinen Respekt vor der Kunst mit der Stasi, nur verstehe ich die Kunst anders als die. Als Verlag wollen jetzt nicht den Kommunismus tanzen, aber wir haben so eine Grundidee, dass unsere Bücher irgendwie helfen, die Welt ein bisschen schöner zu machen. Und wenn wir merken, wie verkrampft rechte Zeitungen auf so so ein Buch wie »Das faschistische Jahrhundert«, das Friedrich Burschel bei uns herausgegeben hat, reagieren und sich aufregen, dann denken wir: wunderbar, getroffen!
Gibt es denn noch die linken Buchläden wie in den 70ern?
Sundermeier: Dieses alte Netz gibt es nicht mehr. Es gibt einige linke Buchläden, bei denen man sich fragt, wie die überhaupt existieren können, weil sie auf so einem niedrigen Niveau wirtschaften müssen. Es gibt auch Buchhandlungen, die sich noch vor zehn Jahren als nicht besonders politisch begriffen haben und die nun sagen: Pirinçci und ähnliches kommt uns nicht ins Haus. Manche wollen solche Autoren auch nicht bestellen und wenn Kunden kommen und danach fragen, sagen sie: tschüss.
Listau: Die Gesellschaft ist viel politisierter geworden. Das merken wir auch an den Linken Buchtagen, die einmal im Jahr im Mehringhof stattfinden. Da war bei den Ausstellern wie auch beim Publikum eine fortschreitende Ermüdung festzustellen. Auch bei mir. Vor drei Jahren habe ich sehr schlecht gelaunt den Tisch aufgebaut und auf einmal kamen viele Leute und wir haben über 1500 Euro Umsatz gemacht mit Büchern.Sundermeier: Und vorher hatten wir so was wie 200, wenn es gut war.
Listau: Die Linken Buchtage konnten dieses Jahr nicht stattfinden, wegen Corona. In unserem Frühjahrsprogramm haben wir die Romane nicht so gut verkauft, aber was die Sachbücher angeht: der Wahnsinn. Zum Beispiel unser Buch »Konformistische Rebellen«. Ich hab gesagt, wir drucken nicht mehr als 1200, denn wer interessiert sich denn für psychoanalystische Erklärungen, die sind zwar außerordentlich wichtig, aber wie viele Leute lesen das? Das Buch war innerhalb von drei Wochen ausverkauft und ich dachte, Fuck off, das darf nicht wahr sein.
Sundermeier: Wegen Corona mussten die Leute zu Hause bleiben und dann war Netflix irgendwann alle. Da mussten sie Bücher lesen.
Wie kommt es, dass Sie in den letzten Jahren mehr Bücher machen? Früher waren es nur eine Handvoll im Jahr.
Listau: Wir machen mittlerweile zwischen 20 und 30 Titel, einmal waren es auch 40, aber da hätte ich Jörg fast umgebracht. Das war zu viel. Wir sind jetzt auch ein größeres Team: wir beide, drei Werkstudentinnen und ein Hersteller.
Sundermeier: Irgendwann, noch vor Kristines Zeit, haben Werner und ich beschlossen, mehr Titel zu veröffentlichen, weil wir uns überlegt hatten, viele Titel mit kleiner Marge bedeutet: je mehr wir davon machen desto mehr kleine Margen haben wir, also irgendwann so viel Einnahmen, dass wir davon leben können.
Nach diesem Prinzip hat Alfred Hilsberg auf seinem ZickZack-Label Indiemusik in Westdeutschland durchgesetzt. Sein Motto lautete: »Lieber zu viel als zu wenig.«
Sundermeier: Ja. Nur haben wir irgendwann gemerkt: das klappt überhaupt nicht. Erst durch Kristines Einstieg in den Verlag gab es eine Neuorientierung. Sie hat gesagt, lasst uns ein bisschen weniger Belletristik machen.
Warum?
Listau: Damit unsere Autor*innen sich nicht Konkurrenz machen und sich gegenseitig die Aufmerksamkeit wegnehmen. Die ist für einen kleineren Verlag eh schwer zu erreichen. Deswegen haben wir beschlossen, wir machen lieber drei Gegenwartsautor*innen, die alle auch einen unterschiedlichen Ansatz haben. Da haben wir mehr Zeit für Lektorat, für Pressearbeit und für Veranstaltungsarbeit. Und wir haben mittlerweile auch mehr verkaufte Bücher. Es passiert trotzdem nicht immer, es gibt trotzdem Bücher, die wir dann nur 400 Mal verkaufen und wir denken, was für Dummköpfe die Leser*innen da draußen sind, wieso raffen die das nicht, das Buch ist doch so großartig!Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.