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  • Coronakrise im Kulturbereich

»Das Problem sind die Mieten«

Der Kulturbereich ist durch die Schließungen in seiner Substanz bedroht - der Ökonom Rüdiger Wink hat den Sektor untersucht und wagt im Gespräch eine Prognose für die Zukunft

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 5 Min.

In der Kultur- und Kreativwirtschaft erarbeiten 1,8 Millionen Beschäftigte 106 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung, vergleichbar dem Maschinenbau und mehr als Finanz- oder chemische Industrie. Welche langfristigen Schäden drohen?

Rüdiger Wink, ist angesichts der wirtschaftlichen Bedeutung die Kultur- und Kreativbranche sogar systemrelevant?

Rüdiger Wink

Der Ökonom hat in einem Monitoringbericht zur Kultur- und Kreativwirtschaft, den er gemeinsam mit der Hamburg Media School und der Goldmedia GmbH im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums erarbeitet hat, die ökonomische Bedeutung der Kultur- und Kreativwirtschaft herausgestellt. Der Bericht liefert aber auch eine alarmierende Prognose zu den kurz- und mittelfristigen Schäden durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie im Kulturbereich. Mit Rüdiger Wink, der seit 2004 eine Professur für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) Leipzig hat, sprach Tom Mustroph.

Die Kulturwirtschaft ist sehr wichtig, gerade für Ballungsregionen und deren Standortpolitik. Wenn tatsächlich einzelne Teilbereiche wegfallen, wird sich das auch in geringerer Standortattraktivität niederschlagen. Ein Problem ist die im Vergleich zu anderen Branchen geringere Sichtbarkeit von Jobverlusten. Im verarbeitenden Gewerbe haben wir größere Unternehmen, bei denen Arbeitsplatzverluste deutlich zu merken sind. In der Kultur- und Kreativwirtschaft sind sehr viele Einzelpersonen betroffen, viele Selbstständige - und damit ist diese Sichtbarkeit nicht ganz so ausgeprägt.

Systemrelevant ist die Branche dennoch?

Durchaus, gerade wenn es darum geht, das Leben wieder in Gang zu bekommen nach der Pandemie.

Nun zählt der von Ihnen erarbeitete Monitoringbericht auch die Software- und Games-Industrie zur Kulturwirtschaft. Die ist mit etwa einem Drittel des Gesamtumsatzes der größte Player, weit vor den klassischen Kunstgattungen wie Theater, bildende Kunst oder Literatur. Wie stark verzerrt ist das Bild?

Auch wenn die Softwarebranche eine relevante Größe in der Kreativwirtschaft darstellt, würde ich nicht sagen, dass sie diesen Bereich aufbläht. Die gesamte Branche ist extrem heterogen. Wir haben uns ganz besonders das sogenannte Creative Employment angeschaut, also bestimmte Berufe, in denen Kreative eingesetzt werden. Da zeigt sich eine relativ große Schnittmenge zwischen den einzelnen Teilmärkten. Das kann sogar dazu führen, dass die Negativeffekte durch die Pandemie nicht ganz so groß werden, weil Software und Games als potenzielle Auffangbranche fungieren können. Die Branche hat ein großes Interesse an Inhalten. Und diese Inhalte kommen aus den eher klassischen Kulturbereichen.

Für viele dieser klassischen Kulturbranchen konstatieren Sie verheerende Umsatzverluste durch Corona, bei Theater von etwa 75 Prozent für das Jahr 2020 und in der bildenden Kunst von 68 Prozent. Wie kann Politik da gegensteuern und einen Zusammenbruch der Infrastruktur verhindern?

Ich denke, das ist das größte Risiko. Im Moment ist ja der Schwerpunkt, die Krise zu überbrücken und vor allem Zeit zu gewinnen. Aber gerade bei den analogen Live-Angeboten wird es darauf ankommen, dass Aufführungsstätten weiter zur Verfügung stehen.

Das Problem der Mieten betrifft aktuell neben dem Kultursektor auch den Einzelhandel. Müsste Politik nicht Druck auf die Immobilienbranche ausüben für Mietnachlässe dort, wo der Betriebszweck durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie nicht mehr erreicht werden kann und deshalb keine Einnahmen erzielt werden, die Mietkosten aber weiter auflaufen?

Aus der Sicht der Kultur- und Kreativwirtschaft ist das mit Sicherheit eine ganz entscheidende Frage. Wenn die ganz normalen Mietforderungen weiter laufen, wird es den flächendeckenden Kahlschlag geben.

Da bietet sich doch auch die Rekommunalisierung an, die ohnehin wegen explodierender Wohnungsmieten in manchen Ballungszentren auf der Agenda steht, oder?

Das muss man von Stadt zu Stadt beurteilen. Zum Teil waren es ehemalige Industriegebiete oder Bezirke, die zunächst als nicht sehr attraktiv angesehen wurden. Dann setzte die Gentrifizierung ein. Gerade an solchen Orten könnte man über eine Rekommunalisierung den kompletten Verlust verhindern.

Schaut man sich die Widerstandskraft der einzelnen Teilbereiche gegen die Auswirkungen des Lockdowns an, so fällt auf, dass Theater, Musik, bildende Kunst, Literatur und Film besonders stark geschädigt werden und alles, was digital geschieht, verhältnismäßig wenig erschüttert wird. Kann man daraus ableiten, dass sich die einstige Nation der Dichter und Denker, der Mimen und Maler nun in eine Nation der Gamer und Zocker verwandelt?

Das hängt davon ab, wie sich soziale Routinen innerhalb der Krise entwickeln. Gewöhnen sich jetzt alle daran, zu Hause zu sitzen und zu zocken, dann wäre es tatsächlich ein durchgehender struktureller Trend. Wenn aber alle erkennen, was sie verlieren, wenn sie bestimmte Live-Erlebnisse nicht mehr bekommen, dann ist dieser Trend auch umkehrbar. Jedenfalls solange die Infrastruktur erhalten bleibt.

Aus dem Monitoringbericht lässt sich auch eine Verschiebung innerhalb der einzelnen Teilsektoren ableiten. Digitale Angebote wie Video- und Audiostreams und Podcasts legen zu, der analoge Live-Bereich hingegen liegt darnieder. Setzt sich das fort, gewinnen vor allem die großen Plattformen weiter an Bedeutung. Die erzielen ihren Erfolg vor allem über die Reichweite - und damit durch einen konformistischen Massengeschmack. Etwas randständigere und experimentelle Künstler*innen, die in den kleineren Live-Spielstätten wie Klubs und Theatern, aber auch vielen Galerien ihre Programme ausprobieren, drohen ins Abseits zu geraten. Teilen Sie diese Befürchtung?

Ja, die Gefahr ist auf jeden Fall da. Deshalb muss auch die Infrastruktur für experimentellere Angebote erhalten bleiben, am besten durch eine Verschränkung mit eigenen lokalen Digitalisierungsangeboten.

Kultur galt bisher vor allem in den Metropolregionen als weicher Standortfaktor, Sie erwähnten das eingangs. Angesichts der Verlagerung vieler Tätigkeiten ins Homeoffice haben Unternehmen in Zukunft wohl weniger Mitarbeiter*innen vor Ort. Nimmt perspektivisch die Bedeutung von Kultur als Standortfaktor also ab?

Es kann sein, dass sich ein nennenswerter Anteil der Beschäftigten mit Homeoffice von bestimmten Ballungsräumen unabhängig macht. Aber gerade jüngere und kulturaffine Personen werden weiter die Nähe zur Metropole suchen. Ich würde es eher umgekehrt sehen: Bisher war die Attraktivität des Standorts für Metropolen eher ein Selbstläufer. Wenn Homeoffice zu Verlagerungen führt, sollte es für Kommunen besonders relevant sein, den Standort attraktiv zu halten. Und das wird besonders über Kultur gehen.

Was sollten die Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen und auch die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien nun als Erstes in die Hand nehmen, um die bedrohte kulturelle Infrastruktur zu schützen?

Das grundsätzliche Thema ist die Mietenproblematik. Dort muss abgemildert werden. Wenn erst einmal etwas weggefallen ist, dann wird es extrem schwer, entsprechende Live-Angebote neu zu etablieren. Das sehe ich als die vordringlichste Aufgabe für Bund, Länder und Kommunen an.

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