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Ein Nomadenjunge blickt zurück

Dendev Terbishdagva über den »Wind der Veränderung« in der DDR und in der Mongolei

  • Dagmar Enkelmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenig im Fokus der Erinnerungen an das Ende der DDR sind die, die den Mauerfall als ausländische Studierende oder Fachkräfte direkt miterlebt haben und deren Zukunft plötzlich ungewiss wurde. Wie haben sie die politische Wende erlebt, mit welchen Eindrücken, vielleicht Ängsten, und was ist aus ihnen geworden? Einer, der dazu gehörte, war Dendev Terbishdagva, geboren im »Jahr des Roten Affen«, 1956, in einer kinderreichen mongolischen Nomadenfamilie, einer »warmen, harmonischen Familie«.

1975 kam er in die DDR, zunächst nach Leipzig zum Sprachstudium, anschließend zum Studium der Lebensmitteltechnologie an der Humboldt-Universität Berlin. Zurück in der Mongolei arbeitete er im legendären Fleischkombinat in Ulaanbaatar, das mit Hilfe der DDR großzügig modernisiert wurde. Auf Bitte des Jugendverbandes der Mongolischen Revolutionären Volkspartei wechselte er 1988 als Dozent und Dolmetscher an die Jugendhochschule der Freien Deutschen Jugend »Wilhelm Pieck« am Bogensee, in der Nähe von Bernau. Dort erlebte er mit seiner Familie die politische Wende.

In ihren letzten Monaten ermöglichte die DDR-Regierung ausländischen MitbürgerInnen über eine langfristige Aufenthaltsgenehmigung den weiteren Verbleib im Land. Nach Abwicklung der Schule war TBD, wie ihn seine Freunde nannten, arbeitslos, arbeitete als Kellner und für ein Jahr in der Ausländerbehörde der Stadtverwaltung Bernau. Er sah die Möglichkeiten für freies Unternehmertum, die sich nach dem Beitritt der DDR in den Geltungsbereich des Grundgesetzes auch für ihn boten, und griff zu.

Während er sein eigenes Unternehmen zur Förderung von Export- und Importbeziehungen zwischen der Mongolei und Deutschland gründete, studierte er Management und Unternehmensführung an der ehemaligen Hochschule für Ökonomie, die als Fachhochschule in das bundesdeutsche Hochschulsystem eingegliedert worden war. Sehr schnell hatte er sich auch ein großes Netzwerk aufgebaut. Nicht ohne Grund schreibt er in seinem Buch darüber, dass Mongolen »aufgeweckt und pfiffig« seien und meint damit wohl auch sich selbst.

Mitte der 90er-Jahre kehrt er mit seiner Familie in die Mongolei zurück. Der »Wind der Veränderung« hatte auch seine Heimat erfasst. Es gab Demonstrationen, die Entmachtung der Parteiführung der Mongolischen Revolutionären Volkspartei, neue politische Akteure betraten die Bühne, neue Allianzen entstanden. Zugleich geriet die Wirtschaft in schwieriges Fahrwasser. Die großen Hilfsleistungen des RGW, insbesondere der DDR, die so etwas wie eine Patenschaft über die Mongolei übernommen hatte, brachen ab. Lebensmittel wurden knapp, die Privatisierung großer Unternehmen scheiterte, Arbeitslosigkeit gehörte nun zum Alltag. Selbstverständliches der sozialistischen Mongolei, wie staatliche Institutionen im Gesundheitsbereich, bei der Betreuung von Kindern, in Bildung und Kultur verschwand. Ernüchtert stellt Terbishdagva fest: »Die Mongolei wurde zum Entwicklungsland«.

Der Nomadenjunge wollte seiner Heimat etwas zurückgeben, dem Land, das ihm ein Studium im Ausland ermöglicht hat. Er geht in die Politik mit einer Botschaft Dschingis Khans, dem Begründer des Mongolischen Reiches: »Auf dem Pferderücken die Welt zu erobern, ist einfach, aber vom Pferderücken abzusteigen und das Land zu regieren, ist schwierig.« In diesem Sinne hat er in den letzten 20 Jahren politisch in der Mongolei gewirkt: als Parlamentsabgeordneter, Vizeminister, Minister, Botschafter in Deutschland, Vizepremierminister.

TBD kenne ich bereits seit vielen Jahren. Immer mal wieder sind wir uns über den Weg gelaufen, bei seinen politischen Reisen nach Deutschland, bei meinen Besuchen in der Mongolei als Vorsitzende der Deutsch-Zentralasiatischen Parlamentariergruppe des Bundestages. In besonderer Erinnerung aber ist mir sein Besuch bei uns hungerstreikenden Frauen in Bernau. Zur Erinnerung: 1994 erließ die Finanzverwaltung Berlin eine Steuerforderung an die PDS in Höhe von 67 Millionen DM und drohte mit sofortigem Vollzug. Wenige Wochen später musste der Bescheid wegen Unrechtmäßigkeit zurückgenommen werden. Gegen den Bescheid waren in Berlin Gregor Gysi, Lothar Bisky und andere in den Hungerstreik getreten, in Bernau waren es Helga Ronnger, Margitta Mächtig und die Autorin.

Terbishdagva jedenfalls war der am weitest Gereiste von denen, die ihre Solidarität bekundeten. In der Weihnachtszeit erhielt die Stadt Bernau ein besonderes Geschenk von ihm: eine mongolische Jurte, die zu Weihnachtsmärkten, beim Hussitenfest und anderen Gelegenheiten bewundert werden kann. Das Buch ist mehr als eine Biografie. Es finden sich Rückblicke in die Geschichte der Mongolei, Erinnerungen an deren Gründer Dschingis Khan, Hinweise auf archäologische Funde und viel Wissenswertes über das Land heute.

Der in einer Nomadenfamilie aufgewachsene Autor reflektiert mongolische Lebensweise, jahrhundertealte Traditionen, Rituale, berichtet über ein Leben im Einklang mit der Natur, über Bodenständigkeit, Gastfreundschaft, die immer auch hieß, das Wenige zu teilen. Vieles beschreibt er mit Blick auf die eigene Familiengeschichte. Beeindruckend dabei der enge Zusammenhalt in der Familie und das füreinander Dasein der Generationen. Das ist bis heute Bestandteil mongolischer Lebenskultur.

Dagmar Enkelmann ist Vorsitzende der Rosa-Luxemburg-Stiftung

Dendev Terbishdagva: Im Jahr des Roten Affen. Ein Nomade zwischen Jurte und Brandenburger Tor. Neues Leben, 496 S., geb., 24 €.

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