Arbeiterwohlfahrt unter dem Hammer?

Insolvenzverfahren durch Skandal um mögliches Missmanagement und Bereicherung ausgelöst

  • Hans-Gerd Öfinger, Wiesbaden
  • Lesedauer: 3 Min.

Mitte vergangener Woche ließ eine Online-Meldung des Hessischen Rundfunks (HR) in Wiesbaden Belegschaften von Einrichtungen der Arbeiterwohlfahrt (Awo), Mitglieder im Awo-Kreisverband, Kommunalpolitiker und eine interessierte Öffentlichkeit aufhorchen. Demnach plane der in einem Insolvenzverfahren stehende örtliche Sozialverband unter dem Druck von Gläubigern, zwei Altenpflegeheime und neun Kindertagesstätten im Stadtgebiet zu veräußern. Mit der Suche nach einem Käufer sei das große Wirtschaftsprüfungsunternehmen KPMG beauftragt worden, so der HR. Bei KPMG war bis zu seiner Berufung Anfang Dezember der neue Awo-Kreisgeschäftsführer Karsten Kienitz als Manager beschäftigt. »Eine gewisse Nähe kann man nicht bestreiten«, zitiert die HR-Onlineredaktion den neuen ehrenamtlichen Awo-Kreisvorsitzenden und früheren Wiesbadener Sozialdezernenten Wolfgang Hessenauer (SPD) im Zusammenhang mit dem neuen Geschäftsführer und seinem Ex-Arbeitgeber.

Die Ende 2019 ausgebrochene tiefe Krise des Kreisverbands und die Einleitung eines Insolvenzverfahrens in Eigenverantwortung Ende 2020 waren durch einen Skandal um mögliches Missmanagement und Bereicherungen durch ehemalige Führungskräfte ausgelöst worden. An der früheren langjährigen Kreisgeschäftsführerin Hannelore Richter und ihrem Ehemann Jürgen haftet der Vorwurf, mit überhöhten Gehältern und teuren Dienstwagen dem Kreisverband Verluste in zweistelliger Millionenhöhe zugefügt zu haben. Jürgen Richter war ehrenamtlich Kreisvorsitzender in Wiesbaden und gleichzeitig langjähriger hauptamtlicher Geschäftsführer des Frankfurter Awo-Kreisverbands. Er wurde wegen ähnlicher Vorwürfe gekündigt. Dagegen wehrt er sich vor dem Arbeitsgericht.

Die HR-Meldung löste in lokalen Diskussionsplattformen heftige Debatten aus. »Wenn eine Trennung von Kitas und Altenpflegeheimen notwendig sein sollte, dann wäre eine Übernahme durch die Stadt Wiesbaden oder einen der freien Wohlfahrtsverbände angemessen. Dazu braucht man keine KPMG« erklärte Wiesbadens Ex-OB Achim Exner (SPD). »Entschieden ist hier gar nichts«, versuchte Dennis Volk-Borowski, Büroleiter von Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende (SPD) die Diskutanten zu beruhigen. »Sollte es zum Verkauf kommen, muss die Landeshauptstadt Wiesbaden die Käuferin sein«, so Ingo von Seemen, örtlicher Linke-Spitzenkandidat für die Kommunalwahl im März. »Da haben die Ortsvereine noch ein Wort mitzureden«, betonte Jürgen Becker, einer von acht Awo-Ortsvereinsvorsitzenden.

Um Spekulationen und Kritik einzudämmen, reagierten nun der ehrenamtliche Awo-Kreisverband und die neue hauptamtliche Geschäftsführung mit einer gemeinsamen Pressemitteilung. Der Gläubigerausschuss wolle das Sanierungsverfahren in zwei mögliche Richtungen verfolgen. Neben einer Fortführung der Einrichtungen durch den Kreisverband habe man dabei auch »den Verkauf einzelner oder aller Einrichtungen erwogen«. Die Analyse werde noch einige Wochen dauern. »Bei der Suche nach geeigneten Partnern haben wir Angebote verschiedener Beratungsfirmen eingeholt. Das Angebot von KPMG hat uns letztlich überzeugt«, so das Statement. Um den Betroffenen die Ängste vor der Übernahme durch irgendwelche renditehungrige Investoren zu nehmen, kursiert inzwischen die Meldung, wonach der Awo-Bezirk Hessen-Süd Interesse an einer Übernahme der Wiesbadener Einrichtungen habe.

Der Wiesbadener Awo-Kreisverband zählt nach eigenen Angaben derzeit 420 hauptamtlich Beschäftigte in Kitas, Pflegeheimen, Bildungs- und Beratungsstätten. 900 ehrenamtliche Mitglieder sind in acht Ortsvereinen organisiert. Betriebsrat und Gewerkschaft Verdi hatten in der Hoffnung auf Rettung von Arbeitsplätzen schon im alten Jahr die Bereitschaft zu Lohnopfern erklärt.

Wiesbadens Awo-Skandal symbolisiert den Niedergang bürokratisierter Organisationen mit Wurzeln in Sozialdemokratie und Arbeiterbewegung. Der 1919 von SPD-Politikerin Marie Juchacz gegründete »Hauptausschuss für Arbeiterwohlfahrt« sollte der darbenden Arbeiterschaft bei der Überwindung von Not und der Durchsetzung sozialer Rechtsansprüche helfen. Statt auf Revolution setzte die SPD auf Fürsorgegesetze, progressive Sozialarbeit und Selbsthilfe. Heute ist die AWO ein dezentral organisierter privater Wohlfahrtskonzern mit 210 000 Hauptamtlichen, der sich vor allem aus öffentlichen Geldern speist. Ehrenamtliche wie Jürgen Becker haben wenig zu melden und konnten Fehlentwicklungen im hauptamtlichen Management nicht stoppen. Wenn schon Kitas und andere systemrelevante Einrichtungen ohne üppige öffentliche Gelder nicht zu betreiben sind, ist die Forderung nach Übernahme durch Kommunen oder andere Ebenen der Öffentlichen Hand naheliegend.

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