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Affentheater um eine Bombe

In Moskau wurden zwei frühe Briefe von Rosa Luxemburg entdeckt

  • Holger Politt
  • Lesedauer: 3 Min.
»Über die anderen Sachen schreibe ich danach, wenn ich sie erledigt haben werde!«
»Über die anderen Sachen schreibe ich danach, wenn ich sie erledigt haben werde!«

Die ersten Züricher Jahre der Rosa Luxemburg geben der Forschung noch immer Rätsel auf. Ein Blick in die einschlägigen Biografien verrät, wie sehr es an festen Anhaltspunkten mangelt. Insofern ist das Interesse schnell geweckt, wenn nun im Russischen Staatsarchiv für sozialpolitische Geschichte (RGASPI) in Moskau zwei Briefe aufgetaucht sind, die bislang unbeachtet geblieben waren. Sie tragen die Signaturnummern 209-2-1017 sowie -1018.

Die beiden Briefe vom 7. März 1890 wurden aus Zürich an einen polnischen Adressaten geschickt. Rosa Luxemburg wohnte zu dieser Zeit bei der Familie Lübeck. Bei Carl Lübeck, einem deutschen Emigranten und Sozialdemokraten, hatte sie frühzeitig das Rüstzeug der schreibenden Zunft erlernt. Wie in dem hier erstmals veröffentlichten ersten Schreiben ersichtlich, wurde jener nun gebraucht, um ein verwertbares Zeugnis abzugeben - für Stanisław Kassjusz (1868- 1904), einen vor der Verfolgung im Zarenreich geflüchteten Revolutionär aus Warschau. Rosa Luxemburg kannte Kassjusz aus gemeinsamer illegaler Tätigkeit dort; im Februar 1889 traf sie ihn in Zürich wieder. Kassjusz wurde jedoch kurz darauf von den Schweizer Behörden festgenommen und außer Landes gewiesen. Den Vorwand lieferte ein missglücktes Bombenexperiment zweier Emigranten aus dem Zarenreich bei Zürich. Die bürgerliche Justiz nutzte dies, um gegen russische und polnische Emigranten - so auch gegen Georgi Plechanow - vorzugehen.

Kassjusz wandte sich zunächst nach Paris und im Sommer 1889 nach Lemberg im österreichischen Galizien. Dort sollte er unter den Arbeitern für den 1. Mai 1890 mobilisieren. Allerdings musste er sich auch vor der Justiz der K.-u.-k.-Monarchie in Acht nehmen und untertauchen. In jenen Märztagen 1890 ging es nun darum, für ihn eine Möglichkeit zur Legalisierung des Aufenthalts zu finden. Dabei sollte Carl Lübeck in Zürich helfen, der offensichtlich über die Vermittlung Rosa Luxemburgs bezeugen sollte, dass Kassjusz sich in Zürich an Recht und Gesetz gehalten habe.

Die Absicht, Kassjusz in Galizien zu legalisieren, schlug fehl. Er wurde im Juni 1890 festgenommen, an die Behörden ausgeliefert und zu fünf Jahren Gefängnis sowie anschließender Verbannung verurteilt. Im Mai 1900 kam er nach Berlin und suchte Rosa Luxemburg auf, die ihn als ihren Freund begrüßte.

Neben dem Fall Kassjusz waren Rosa Luxemburg weitere Aufgaben übermittelt worden. Zum einen ging es um Vorgänge in Lemberg, die strafrechtliche Verfolgung von als illegal angesehener politischer Tätigkeit. Es wurde vermutet, dass Verrat eine Rolle gespielt haben könnte. Rosa Luxemburg wurde gebeten, eine im zweiten Brief als W. bezeichnete Person, die aus Galizien in die Schweiz gekommen war, als Zeugen zu befragen. Bei den von ihr genannten »Züricher Sachen«, über die Rosa Luxemburg erst später berichten wollte, spielt der oben erwähnte fehlgeschlagene Bau einer Bombe eine Rolle, bei dem der aus Litauen stammende Emigrant Izaak Dembo ums Leben gekommen war.

Dembo war 1887 vor drohender Verfolgung aus Wilna nach Zürich geflüchtet. Die Flucht hatte der deutsche Sozialdemokrat Leo Jogiches (1867-1919) organisiert, der Ende 1890 nach Zürich ging, dort Rosa Luxemburg kennenlernte - und sich in sie verliebte.

Der anonymisierte Adressat der beiden Briefe gehörte vermutlich zum Pariser Kreis von Stanisław Mendelson (1858-1913), der unter den polnischen Sozialisten damals eine herausragende Stellung besaß und entscheidende Fäden in Händen hielt. Jener traf auch die Entscheidung über Kassjusz und drängte zur Maifeier in Lemberg. Die beiden Briefe könnten nach Hausdurchsuchungen in Paris in die Hände französischer Gendarmen gelangt und von diesen der zaristischen Polizei übermittelt worden sein.

Rosa unterschrieb die beiden Briefe vom 7. März 1890 übrigens noch mit Luxenburg, nicht wie später mit Luxemburg.

Übersetzung der Briefe a. d. Poln. von Holger Politt, Leiter des Warschauer Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung; historische Einordnung unter Mitarbeit von Krzysztof Pilawski und Wladislaw Hedeler.

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