Viele Mythen, wenig Fakten

Der Schilddrüsenexperte Joachim Feldkamp über den Wissensstand zur Hashimoto-Krankheit

  • Angela Stoll
  • Lesedauer: 6 Min.

Hashimoto gilt als eine neue Volkskrankheit. Ist diese Form der Schilddrüsenentzündung wirklich häufiger geworden?

Nein. Man ist vielleicht aufmerksamer geworden. Ärzte bemerken die Krankheit eher als früher. Heute werden die Antikörper häufiger gemessen, außerdem lesen die Leute über die Krankheit und fragen ihren Arzt danach. Aber es gibt keine Daten, die zeigen, dass sie häufiger geworden ist.

Joachim Feldkamp
Die Autoimmunkrankheit Hashimoto hat in den vergangenen Jahren viel Aufmerksamkeit erfahren. Der Schilddrüsenexperte Joachim Feldkamp von der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie berichtet über den Stand der Wissenschaft dazu. Er ist Chefarzt der Klinik für Allgemeine Innere Medizin, Endokrinologie und Diabetologie, Infektiologie am Klinikum Bielefeld. 

Die Patienten hören also öfter davon?

Ja, sie sagen etwa: »Meine Freundin hat Hashimoto, können Sie auch bei mir mal gucken?« Und dann hat die Patientin es plötzlich auch. Dadurch wird die Krankheit aber nicht objektiv häufiger, sie wird nur öfter diagnostiziert.

Wie viele Menschen sind im Schnitt betroffen?

Etwa zwei Prozent der Bevölkerung, dabei zehnmal mehr Frauen als Männer.

Warum sind es vor allem Frauen?

Das wissen wir nicht. Die Sexualhormone spielen sicherlich eine Rolle. Aber inwieweit sie die Auslösung der Krankheit beeinflussen, ist nicht bekannt. Da wird noch geforscht. Es gibt sicher auch eine genetische Bereitschaft. Die Hashimoto-Thyreoiditis kommt in manchen Familien häufig vor.

Glauben Sie, dass es eine hohe Dunkelziffer gibt?

Nicht, wenn es sich um eine echte Funktionsstörung handelt. Etwa drei bis vier Prozent der Bevölkerung haben nachweisbare Antikörper, sind aber nicht krank. Es gibt allerdings einige Patienten, die schon lange wegen einer Hypothyreose, also einer Schilddrüsen-Unterfunktion, behandelt werden und nicht wissen, dass Hashimoto der Grund dafür ist. Bei Erwachsenen ist die Hashimoto-Krankheit eigentlich die einzige Ursache für eine dauerhafte Unterfunktion der Schilddrüse.

Hashimoto wird mit vielen Beschwerden in Verbindung gebracht. Bei welchen Symptomen sollte man stutzig werden?

Wenn das Schlafbedürfnis stark erhöht ist, man Verstopfung bekommt, sich kaum noch konzentrieren kann und einen langsamen Puls hat. Auch Nagel- und Haarwachstumsstörungen können hinzukommen. Müdigkeit ist allerdings ein schwieriges Symptom. Wenn ich meine Patienten frage, sagen mir 80 Prozent: »Ich bin müde.« Das ist sehr unspezifisch.

Wie aussagekräftig sind Laborwerte?

Wenn die Antikörperwerte nur leicht erhöht sind und die Schilddrüse normal funktioniert, ist das unbedeutend. Liegen sie aber fünf- bis zehnmal über der Norm, kann man schon ziemlich sicher sagen, dass das eine Autoimmunthyreoiditis, also Hashimoto, ist. Dann haben wir noch den TSH-Wert, der die Schilddrüsenfunktion anzeigt. Der ist sehr verlässlich. Wenn so ein TSH-Wert aber nur leicht erhöht ist, was auf eine Unterfunktion hindeuten kann, sollte man ihn nach sechs bis acht Wochen noch mal kontrollieren, bevor man eine Schilddrüsenhormonbehandlung beginnt. Es sei denn, der Patient hat wirklich eine massive Immunreaktion, die man messen kann, und die typischen Symptome. Dann würde man vielleicht nicht warten.

Was kann passieren, wenn man die Krankheit nicht behandelt?

Bei einer schweren Unterfunktion kann sich eine gewisse Herzschwäche entwickeln, und man ist nicht so leistungsfähig. Bei einer leichten Erhöhung, also einem TSH-Wert zwischen 4 und 10, muss man nicht unbedingt behandeln.

Wovon hängt es ab, ob man etwas unternimmt?

Von den Beschwerden des Patienten. Ich hatte diese Woche eine Frau bei mir, bei der wir die Medikamente abgesetzt haben, weil sie nur leicht erhöhte Werte hatte: nämlich einen TSH-Wert von 6. Viele andere Ärzte haben zu ihr gesagt, dass man das behandeln sollte. Aber sie ist total fit, joggt und läuft. Da gibt es keinen Grund, etwas zu unternehmen.

Kommt Stress als Krankheitsauslöser infrage?

Das ist bei Hashimoto nicht wirklich bewiesen. Bei der Schilddrüsenerkrankung Morbus Basedow, die mit einer Überfunktion einhergeht, ist die Datenlage ziemlich klar. Da finden wir immer wieder, dass Stressereignisse wie die Trennung vom Partner oder der Tod eines Angehörigen der Auslöser dafür sind. Eine so enge Beziehung findet man bei Hashimoto nicht. Aber wir können annehmen, dass Stress hier eine Rolle spielt.

Kann die Ernährung dazu beitragen, dass Hashimoto entsteht?

Nein, es gibt keine Daten, die das nahelegen. Manche Leute meinen, dass es schützt, wenn man sich glutenfrei ernährt. Das stimmt aber nicht. Die These rührt daher, dass die Zöliakie bei zwei Prozent der Hashimoto-Patienten auftritt - als zusätzliche Autoimmunkrankheit. Genauso haben Hashimoto-Patienten aber auch andere Autoimmunkrankheiten häufiger, etwa die Weißfleckenkrankheit.

Jodsalz ist inzwischen weit verbreitet. Erhöht eine hohe Jodzufuhr das Erkrankungsrisiko?

Es gibt keine Daten dazu, dass die Krankheit bei Menschen häufiger auftritt, die jodiertes Speisesalz verwenden oder Fisch essen. Die Jodversorgung liegt bei uns knapp über 100 Mikrogramm pro Tag. In manchen Regionen Chinas nehmen die Menschen etwa das Zehnfache zu sich. Dort kommt Hashimoto auch etwas häufiger vor. Man kann die Entstehung durch exzessive Jod-Gaben wahrscheinlich fördern, aber nicht mit dem, was wir hier in der normalen Ernährung zu uns nehmen.

Wie viel Jod darf es sein, wenn man bereits erkrankt ist?

Eine normale Ernährung ist möglich. Sie können Fisch essen, Sie können zur See fahren, Sie dürfen jodiertes Speisesalz zu sich nehmen. Aber ich würde einen Hashimoto-Patienten nicht mit Jodtabletten behandeln.

Was gilt in der Schwangerschaft? Da wird Frauen zusätzliches Jod empfohlen.

Alle Frauen sollten in der Schwangerschaft Jod bekommen, auch Frauen mit Hashimoto. Das gilt auch in der Stillzeit. Den Frauen schadet das nicht, dem Kind nutzt es sehr viel.

Kann man Hashimoto manchmal heilen, wenn man früh gegensteuert?

Nein, da gibt es keine guten Daten dazu. Es gibt auch keine guten wissenschaftlichen Studien, die zeigen, dass sich die Krankheit bessert, wenn man ganz früh Schilddrüsenhormone gibt. Was wir aber wissen: Wenn die Krankheit schon im Kinder- und Jugendalter auftritt, gibt es eine gewisse Chance, dass sie sich später wieder bessert.

Wie gut lässt sich Hashimoto behandeln?

Bei 95 Prozent lässt sich das extrem gut behandeln. Die Patienten bekommen Schilddrüsenhormone und fühlen sich wohl. Bei den anderen fünf Prozent ist es manchmal etwas schwierig. Sie fühlen sich entweder über- oder unterdosiert. Da muss man die Dosis ein bisschen anpassen. Wobei ich davor warne, alle zwei Wochen die Dosis zu reduzieren. Solche Veränderungen sollte man in kleinen Schritten alle zwei bis drei Monate machen, also langsam anpassen. Der Körper muss sich erst einmal daran gewöhnen.

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