»Das gibt’s ja gar nicht«

Vor 75 Jahren wurde die Defa gegründet - durch die Defa-Stiftung bleibt das Erbe erhalten

Auch 30 Jahre nach der deutschen Einheit sind Produktionen der Defa, der staatlichen Filmgesellschaft der DDR, in deutschen Haushalten präsent. In den DVD-Regalen jeder größeren Supermarktkette finden sich heute wieder Märchenfilme wie der »Kleine Muck« oder »Drei Nüsse für Aschenbrödel«. Doch die Defa war nicht der KiKa der DDR.

Mit 950 Spielfilmen, 5200 Dokumentar- und Kurzfilmen sowie Wochenschauen und 800 Animationsfilmen, die seit ihrer Gründung am 17. Mai 1946 gedreht wurden, ist das kulturelle Erbe enorm. Glücklicherweise konnte es mithilfe der am 5. Februar 1999 gegründeten Defa-Stiftung für alle Interessierten wieder zugänglich gemacht werden.

nd-Filmclub

Im 75. Gründungsjahr wollen wir Filmschaffende der Defa ehren, die ebenfalls einen Jubiläumsgeburtstag feiern. Daher zeigen wir in diesem Jahr monatlich einen Defa-Film mit anschließendem Gespräch in unserer Reihe »nd-Filmclub« im Kino »Toni«.

28. April
Die Legende von Paul und Paula (1973) oder Chronik eines Mordes -
Gespräch mit Angelica Domröse (80. Geburtstag - 4.4.) und Dr. Ralf Schenk (65. Geburtstag - 27.3.)

26. Mai
Der Fall Gleiwitz (1961) -
Gespräch mit Wolfgang Kohlhaase (90. Geburtstag - 13.3.) und in Erinnerung an Hilmar Thate (90. Geburtstag - 17.4.)

29. September
Jahrgang 45 (1966/1990) -
Gespräch mit Jürgen Böttcher (90. Geburtstag - 8.7.) und Monika Hildebrand (80. Geburtstag - 10.8.)

27. Oktober
Bis dass der Tod euch scheidet (1979) -
Gespräch mit Katrin Sass (65. Geburtstag - 23.10.)

24. November
Coming Out (1989) -
Gespräch mit Matthias Freihof (60. Geburtstag - 25.11.)

15. Dezember
Für die Liebe noch zu mager (1974) -
Gespräch mit Christian Steyer (75. Geburtstag - 6.12.) und Simone von Zglinicki (70. Geburtstag - 3.9.)
Kurator und Moderator: Paul Werner Wagner

Alle Veranstaltungen finden im Kino »Toni« statt, jeweils ab 18 Uhr.

Kino Toni

Antonplatz 1, 13086 Berlin

Aufgrund der anhaltenden CoronaPandemie mussten die für die ersten Monate geplanten Kinoveranstaltungen ausgesetzt werden. Informieren Sie sich bitte zeitnah, ob die jeweilige Veranstaltung stattfindet - auf unserer Webseite: www.nd-online.de oder unter: www.kino-toni.de

Das ermöglicht im diesjährigen Jubiläumsjahr eine umfassende Rückschau. Doch dabei wollen wir es nicht belassen: So wird es auf den Seiten des Feuilletons in »nd.DerTag« über das gesamte Jahr 2021 monatlich eine Filmvorstellung geben. Welche Filme besprochen werden, verraten die Redakteure allerdings noch nicht. Darüber hinaus gibt es von Februar bis November jeweils Beiträge zu unterschiedlichen Aspekten aus der Geschichte der Defa.

Zunächst wird es um die Anfangsjahre gehen. Im Nachkriegsdeutschland, das vom beginnenden Wiederaufbau, der Rückkehr der Soldaten und den Alliierten in den verschiedenen Besatzungszonen geprägt ist, entsteht die Defa. Und so findet sich auch in den ersten Filmen eine Auseinandersetzung mit dieser Situation. Herausragend für diese Zeit ist die »Mörder sind unter uns« unter der Regie von Wolfgang Staudte.

Mit der Teilung Deutschlands in BRD und DDR gehen auch Filmemacher, Schauspieler und Produzenten zunehmend getrennte Wege. Der rege Austausch - begünstigt auch durch die räumliche Situation; die Filmstudios von Potsdam-Babelsberg liegen in der DDR, viele Kunstschaffende wohnen im nahe gelegenen Westberlin -, findet ein Ende.

Einen folgenschweren Einschnitt in der Geschichte der Defa markiert der wachsende Zensurdruck des Staates ab Mitte der 60er Jahre. Immer mehr Künstler stießen mit ihren Filmen, die eine kritische Auseinandersetzung mit der Realität in der DDR suchten, auf harte ideologische Vorgaben. Die Kunst sollte nach Ansicht der SED-Führung den Aufbau des Sozialismus unterstützen; kritische Debatten waren dabei nicht erwünscht und wurden immer stärker weggedrückt. Das Verbot einer Reihe von Filmen und teilweise auch die Vernichtung des Filmmaterials waren die Folge. Einer dieser Filme - »Jahrgang 45« - wird im Jubiläumsjahr im Rahmen unserer Filmreihe »nd.Filmclub« in Berlin im Kino Toni Ende September zu sehen sein. Geehrt werden sollen zu diesem Anlass der Regisseur Jürgen Böttcher und die Schauspielerin Monika Hildebrand.

Exemplarisch für diese Zeit steht auch der Film »Fräulein Schmetterling«, dessen Drehbuch Christa und Gerhard Wolf sowie Regisseur Kurt Barthel schrieben und der 1966 nach mehreren Prüfungen durch SED-Funktionäre endgültig verboten wurde.

In der Geschichte sieht sich die 17-jährige Helene Raupe mit staatlichen Behörden konfrontiert, nachdem ihr Vater verstorben ist. Sie muss sich um ihre sechsjährige Schwester kümmern und soll einen Beruf ausüben. Ihre Träume und Wünsche spielen dabei keine Rolle. Der Film zeigt den Konflikt, der für Helene daraus entsteht, weil sie dennoch ihren Lebensträumen weiter nachhängt.

Das Motiv des Films von Individualität und dem sich Einfinden in die Gesellschaft stieß bei den Kulturfunktionären ebenso wenig auf Gegenliebe wie Helenes »Flausen« bei der Jugendamtsmitarbeiterin Frau Fertig, wie sie in der ursprünglichen Fassung heißt.

Über den Film urteilt schließlich eine ganze Riege staatlicher Vertreter. »Fräulein Schmetterling« wird buchstäblich vom Urteil der politischen Entscheidungsträger erschlagen. Mit dabei sind auch Leitungsmitglieder des Defa-Studios für Spielfilme, neben der Hauptverwaltung Film im Ministerium für Kultur, der Kulturabteilung des ZK der SED, der SED-Bezirksleitung Potsdam und der Zentralen Parteileitung des Studios. Ihr Urteil: Der Film sei unsozialistisch. Auch nach Hinzufügen eines ironischen Kommentars, den Manfred Krug sprach und dem darin wiederholten Satz: »Das gibt’s ja gar nicht!«

»Das gibt’s ja gar nicht«, dachten in dieser Zeit vermutlich viele, vor allem junge Filmemacher, deren Filme der Zensur zum Opfer fielen, obwohl sie sich mit ihren Produktionen nicht im Widerspruch zum Sozialismus oder zur DDR sahen.

Erst 2005 - 39 Jahre nach dem Dreh - konnte eine dokumentarische Fassung (Ralf Schenk, Ingeborg Marszalek) des Spielfilms »Fräulein Schmetterling« ihre Premiere in Berlin feiern. Im Jubiläumsjahr stellt die Defa-Stiftung den Film erneut digital restauriert vor. Dieser soll im Rahmen einer Fachtagung zum Thema »Das Genrekino der Defa« am 19. und 20. Mai 2021 im Zeughauskino Berlin seine Spielfilmpremiere feiern.

Damit der Themen aber nicht genug - auch mit den weiteren Schwerpunkten bleibt es spannend. So wird es um den antifaschistischen Film ebenso gehen wie um internationale Kooperationen. Was auch nicht fehlen darf, ist der Blick hinter die Kulissen. Und zu guter Letzt: die Abwicklung durch die Treuhand.

Zum Glück war das letzte Kapitel der Defa-Filmgeschichte damit nicht geschrieben, auch wenn ein unmittelbarer Versuch während der Wende, eine Stiftung zu gründen, zunächst fehlschlug. Und eine erneute Stiftungsgründung neun Jahre auf sich warten ließ. Viele Stolpersteine mussten aus dem Weg geräumt werden.

Die Defa-Stiftung wird ihrem Motto »Vergangenes neu entdecken - Zukunft fördern« gerecht. Mit der Digitalisierung des Bestandes erhält sie den Zugang zu den Filmen der Defa für die Zukunft. Außerdem vergibt sie jedes Jahr Filmpreise und kann damit Filmschaffende unterstützen.

Im Jubiläumsjahr hat die Stiftung viel vor. Neben DVD- und Buchveröffentlichungen plant sie zahlreiche Kooperationsveranstaltungen mit dem Filmmuseum Potsdam, darunter mit Christa Kozik, Rainer Simon und Jutta Hoffmann.

Hinzu kommen Vorführungen von Defa-Filmen auf zahlreichen Festivals. Geplant sind unter anderem die Fortführung der Reihe »Regisseurinnen in der DDR« im Rahmen des Filmfests Dresden, das vom 13. bis 18. April stattfindet. Geplant ist außerdem die Teilnahme am Filmkunstfest Mecklenburg-Vorpommern in Schwerin, das in diesem Jahr auf den 31. August bis 5. September verschoben wurde. Mit einer eigenen Defa-Sektion.

Außerdem wird die Defa-Stiftung auf dem Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm (DOK) präsent sein, das in diesem Jahr vom 26. Oktober bis zum 1. November stattfindet. Geplant ist hier eine umfassende Retrospektive mit Filmen von Kurt Tetzlaff. Der 1933 geborene Regisseur drehte mehr als 50 Filme, davon rund 40 beim Defa-Studio für Dokumentarfilme.

In der Hauptstadtregion wird die Defa-Stiftung auf dem studentischen Filmfestival »Sehsüchte« vom 21. bis 25. Juli in Potsdam und bei »achtung berlin!« vom 14. bis 21. April präsent sein.

Seit Mitte Januar gibt es zusätzlich einen festen Defa-Sendeplatz am späten Freitagabend im MDR. Im Anschluss sind die gezeigten Defa-Produktionen jeweils für 30 Tage in der Mediathek verfügbar. Im Mai folgt ein Festspielmonat des Senders mit zahlreichen Ausstrahlungen von Defa-Filmen und umfangreichem Online-Programm.

Neben den zahlreichen Kooperationen verbreitet die Stiftung auch selbst ein kleines Programm über ihre Kanäle. Jeden Mittwoch wird eine Defa-Produktion auf dem Youtube-Kanal »Defa-Filmwelt« veröffentlicht, die kostenfrei angeschaut werden kann. Außerdem werden über den Youtube-Kanal »Defa-Stiftung« Ausschnitte aus Zeitzeugengesprächen gezeigt.

Das Programm im Jubiläumsjahr kann sich sehen lassen. Auf die Defa-Stiftung kommt im Jubiläumsjahr viel Arbeit zu - und hoffentlich auch viel Erfolg.

Kennwort: Defa

Auch 75 Jahre nach Gründung der Filmgesellschaft verbinden viele Menschen in Deutschland prägende Erinnerungen mit den Filmen der Defa: sei es eine kritische Auseinandersetzung, einfach nur ein schöner Kinoabend mit Freunden oder ein ganz besonderer Moment.

Welches Erlebnis oder welche Begebenheit in Ihrem Leben verbinden Sie, liebe Leserinnen und Leser, mit einem Defa-Film? Schreiben Sie Ihre Geschichte auf und senden diese unter dem Kennwort »Defa« per Mail an:

commune@nd-online.de oder auf dem Postweg an:
Redaktion »nd«, nd.Commune
Franz-Mehring-Platz 1
10243 Berlin

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