Klopfen gegen die Angst

Leicht zu erlernende Techniken aus der Psychotherapie können beim Stressabbau helfen

  • Elke Bunge
  • Lesedauer: 5 Min.

Ängste gehören zu unseren natürlichen Reaktionen. Sie schützen uns vor unüberlegten Handlungen, verstärken das Vermeiden von Gefahrensituationen. Eine »gesunde« Portion Angst hilft beim Autofahren, in Prüfungssituationen oder beim Ausüben riskanter Sportarten. Auch in der gegenwärtigen Covid-19-Pandemie ist ein gesundes Maß an Angst - oder nennen wir sie hier »Vorsicht« - unter Umständen lebenserhaltend.

Was aber, wenn die Angst das Maß des Normalen überschreitet? Teile der Bevölkerung sind wegen der Entwicklung der Pandemie beunruhigt. Wer derartige Ängste bezwingen und auch in solch kritischen Zeiten den Lebensmut bewahren will, kann bestimmte Techniken nutzen. Wie das funktionieren kann, darauf versucht der Hannoveraner Psychiater Michael Bohne Antworten zu geben. »Was wir brauchen, sind Wege zu einer emotionalen Selbsthilfe«, meint Bohne. »Jeder kennt ja inzwischen die AHA-Formel - Abstand, Hygiene, Alltagsmaske -, zu der noch das regelmäßige Lüften kommt. Doch was wir brauchen, ist das ›Lüften im Kopf‹ - also mal in Gedanken und Emotionen frei zu werden.«

Zum Kern der von dem Psychiater entwickelten Selbsthilfeprogramme gehören Klopftechniken auf Basis der Prozess- und Embodimentfokussierten Psychologie (PEP). Unter Embodiment verstehen Psychologen die Wechselwirkung zwischen Körper und Bewusstsein; dabei ist PEP eine Selbstregulationstechnik, die den Körper bei der Verarbeitung belastender Emotionen mit einbezieht. Diese Klopftechniken werden in Deutschland erfolgreich in verschiedenen Reha-Kliniken angewendet. In der praktischen und klinischen Erfahrung hat man festgestellt, dass sie sich auch bei psychisch Erkrankten - etwa mit posttraumatischen Belastungsstörungen wie bei US-Kriegsveteranen oder Afghanistan-Heimkehrern - anwenden ließen.

»PEP setzt ganz konkret bei aversiven, einschränkenden und belastenden Emotionen an, wie Angst, Scham, Peinlichkeit, Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Ärger, Wut, Ekel und Schuldgefühlen«, so Bohne. »Also alles Emotionen, die subkortikal im limbischen System verarbeitet werden und an die man über reines Sprechen nicht so gut herankommt.« Das limbische System ist ein stammesgeschichtlich sehr alter Teil des Gehirns, dem unter anderem Leistungen wie die Steuerung von Antrieb, Lernen, Gedächtnis und Emotionen zugeschrieben werden. »Darüber hinaus spürt PEP essenzielle Blockaden auf, die Big-Five-Lösungsblockaden genannt werden. Dies sind Selbstvorwürfe, Vorwürfe anderen gegenüber, Erwartungshaltungen an andere, Altersregressionen und parafunktionale Loyalitäten anderen gegenüber«, erklärt der Hannoveraner Psychiater, der unter anderem Profimusiker berät, wie sie ihre Auftritte optimieren können. Bundesweit arbeiten inzwischen 3600 Therapeuten mit den »Bohne-Techniken«.

»Aus Studien des Hirn- und Haptikforschers Martin Grunwald haben wir die Information, dass sich bereits Föten im Mutterleib selbst berühren, wenn die werdende Mutter Stresssituationen ausgesetzt ist. Dieses Phänomen hat mich sehr beeindruckt. Welcher Mechanismus sich bei der Klopftechnik in den entsprechenden Hirnregionen abspielt, versuchen wir derzeit mit Tests unter bildgebenden Verfahren wie der Magnetresonanztomografie (MRT) zu ermitteln«, so Bohne. Drei Forschungsprojekte initiierte der Psychiater an der Medizinischen Hochschule Hannover - Klopftechniken und PEP werden hier erstmals auf diese Weise untersucht.

Dies ist der wissenschaftliche Aspekt. Im Alltag jedoch geht es um Selbsthilfe. Wie gelingt gerade jetzt das emotionale Auslüften? Wie funktionieren die Klopftechniken? Der wichtigste Einstieg zu ihrem Bezwingen ist, sich die Angst auslösende Situation erst einmal klarzumachen: Auf einer Skala von eins bis zehn sollen Betroffene einschätzen, was sie wie stark belastet. Dies, so Bohne, sei bereits der erste Schritt, gegen die Symptome angehen zu können. Einem so erkannten Stressfaktor könne man dann mit einem positiven Selbstzuspruch begegnen, etwa in der Art: »Auch wenn die aktuelle Lage kompliziert und bedrohlich erscheint, geht es mir gut, weil ich gesund bin und weiß, welche Regeln ich einhalten soll.«

Das Grundelement der Klopftechnik ist dabei ein leichtes Beklopfen von Hautpunkten, die aus der klassischen Akupunktur übernommen wurden. Dabei wird parallel das Thema, das einem sowohl psychisches als auch körperliches Unwohlsein verursacht, angesprochen. Am jeweiligen Punkt angekommen, fügt man Sätze der Selbstakzeptanz hinzu. Der laut ausgesprochene Satz wird von kreisenden Bewegungen zunächst um einen Punkt unterhalb des linken Schlüsselbeins begleitet. Während man sich erneut mit dem unangenehmen Thema konfrontiert, werden etwa 16 Hautpunkte (Stirn, unter der Nase, Kinn, Fingerspitzen und Handaußenkante) leicht beklopft. Diesen Vorgang wiederholt man, bis sich der negative Gedanke an das belastende Thema verflüchtigt.

Folgt man den aktuellen Nachrichten, so ist mit einer schnellen Lockerung von Einschränkungen und Kontaktsperren nicht zu rechnen. Außer der eben beschriebenen Selbstermutigung mittels Klopfen empfiehlt Bohne deshalb auch dringend, soziale Kontakte zu erhalten. »Wenn ich meine Verwandten, Freunde oder Arbeitskollegen jetzt nicht sehen und sprechen kann, so kann ich sie doch telefonisch oder online erreichen«, meint der Psychiater. Er selbst telefoniert so viel wie möglich, auch um die Ansichten anderer, ihm nahestehender Menschen kennenzulernen und deren Positionen einzunehmen. »Es ist sehr wichtig, die Dinge, die uns Unruhe bereiten, auch einmal aus der Perspektive anderer Menschen zu betrachten: Wie geht es dem Gesundheitspersonal, das sich um die Covid-Erkrankten kümmert, wie den Erkrankten selbst? Was glaube ich, was denken andere? Ist meine Position vielleicht zu starr? Einen anderen Standpunkt einzunehmen, erlaubt uns dann vielleicht den Gedanken, dass man sich auch gut fühlen darf«, resümiert Michael Bohne seinen Selbsthilfeansatz.

Eine Videoanleitung unter anderem zum Klopfen bietet Michael Bohne auf seiner Webseite an: www.innen-leben.org

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