Streit um Saisonarbeit

Gewerkschaften warnen vor schlechten Arbeitsbedingungen auf den Feldern

  • Haidy Damm
  • Lesedauer: 4 Min.

Saisonarbeit auf den Feldern ist unsicher und prekär. Im vergangenen Jahr hat die Coronakrise die Bedingungen noch verschärft. Zunächst waren die Grenzen zu, dann gab es Ausnahmen für systemrelevante Erntejobs, per Flugzeug wurde ein Großteil der Saisonkräfte nach Deutschland gebracht.

Grenzschließungen sollen in diesem Jahr kein Hindernis darstellen, heißt es aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium. So gelte für Saisonarbeitskräfte etwa die Unterkunft beim Arbeitgeber als Wohnsitz, damit seien sie von den aktuellen Einreisebeschränkungen ausgenommen. Auch Grenzpendler*innen könnten weiter einreisen.

Insgesamt kamen 2020 aber deutlich weniger Ernterhelfer*innen als in den Vorjahren. Zwischen dem 25. März und dem 15. Juni reisten 40 318 der erwarteten 80 000 Saisonkräfte ein. Um diesen Mangel auszugleichen, hatten sich Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) auf ein Konzept geeinigt, dass unter anderem längere Aufenthaltsdauer und - wie in anderen systemrelevanten Bereichen auch - längere Arbeitszeiten beinhaltete. Damit durfte bis zu 60 Stunden pro Woche und ohne Sondergenehmigung bis zu 12 Stunden täglich gearbeitet werden. In dringenden, nicht näher definierten Ausnahmen konnten es sogar sechs Tage à 12 Stunden sein. Und Saisonkräfte durften nun bis zu 115 Tagen statt wie zuvor 70 Tage sozialversicherungsfrei beschäftigt werden.

Für die Erntehelfer*innen stieg damit der Arbeitsdruck, wie der Jahresbericht der gewerkschaftlichen Initiative »Faire Landarbeit« zeigt: Demnach kamen zu den aus den vergangenen Jahren bekannten Verstößen hinzu, dass Hygieneauflagen nicht eingehalten wurden, und es wurde extrem lange gearbeitet. Zudem gab es laut Gewerkschaft etliche Berichte, dass den Arbeiter*innen die Reisepässe abgenommen wurden. Das ist zwar illegal, führt aber dazu, dass den Arbeiter*innen eines ihrer wenigen Druckmittel genommen wird - zu gehen, wenn es reicht. Im Gegenteil, so die Gewerkschaft, »die Quarantäneregelungen und Reisebeschränkungen drängten die Kolleg*innen in noch größere Abhängigkeit von den Landwirt*innen als sonst«.

Kurz vor der Erntezeit fordert nun ein Bündnis von Agrarverbänden, die im vergangenen Jahr beschlossenen Ausnahmen auch in diesem Jahr gelten zu lassen. Gedroht wird mit Versorgungsengpässen: »Wir sind auf unsere ausländischen Mitarbeiter angewiesen«, sagte der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied und lobte den Gesundheitsschutz in den Betrieben.

Die zuständige Gewerkschaft IG BAU warnt dagegen vor einem möglichen »Fiasko«. Das Risiko einer Corona-Infektion sei unter den Arbeits- und Unterkunftsbedingungen in der Landwirtschaft nicht geringer geworden. »Im Gegenteil. Die Situation ist gerade durch die deutlich ansteckenderen Corona-Mutationen heute gefährlicher als noch vor einem Jahr«, so der stellvertretende Vorsitzende Harald Schaum. Er plädiert dafür, den »kompletten Ernteeinsatz auf solide Füße zu stellen - mit vollem Sozialversicherungsschutz ab dem ersten Tag auf dem Feld«.

Auch Benjamin Luig, Koordinator der Initiative »Faire Landarbeit« fordert »dringend einen gesetzlichen Sozialversicherungsschutz für die Saisonarbeiter*innen. In Zeiten von Corona ist vor allem eine angemessene Krankenversicherung notwendig, wie sie in Deutschland sonst für alle Beschäftigten gilt. Da reichen private Mini-Krankenversicherungen für 15 Euro im Monat einfach nicht aus.«

Ursprünglich galt die Ausnahme von der Sozialversicherungspflicht nur für einen Monat. Saisonkräfte, die in ihren Heimatländern sozialversichert sind, sollten nicht hierzulande noch mal versichert werden müssen. Mit den neuen Ausnahmen sind es aber bereits fünf Monate, bei Arbeiten, die eigentlich unter die Sozialversicherung fallen. Während das Bundeslandwirtschaftsministerium diese Ausnahme gerne beibehalten möchte, gibt das Bundesarbeitsministerium zu bedenken, »dass eine Beschäftigung, die den nach geltendem Recht zulässigen Zeitrahmen von 70 Arbeitstagen oder drei Monaten übersteigt, grundsätzlich nicht mehr als kurzfristig bzw. geringfügig angesehen werden kann«. Laut BMAS werden die Vorschläge aus dem Hause Klöckner und von den Landwirtschaftsverbänden zunächst geprüft.

Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der gärtnerischen Arbeitgeberverbände, Thomas Becker, erklärt dagegen, dass die Betriebe durch private Erntehelferversicherungen für einen »ausreichenden Krankenversicherungsschutz« sorgen würden. Auch das BMEL verweist auf die Praxis, Saisonkräfte durch private Gruppenversicherungen abzusichern. Eine solche Gruppenversicherung biete Krankenversicherungsschutz für alle medizinisch notwendigen Leistungen.

Gewerkschaften befürchten zudem, dass die Kosten für diese Krankenversicherung vom Mindestlohn einbehalten werden könnten. Immer wieder gibt es solche Versuche, den gesetzlichen Mindestlohn zu unterlaufen. So werden Überstunden weder transparent erfasst noch konkret abgerechnet, hohe Summen für Verpflegung oder Unterkunft abgezogen.

Untergebracht werden sollen Erntehelfer*innen wegen Corona nach den neuen Regeln wenn möglich in Einzelzimmern, höchstens jedoch zu Viert. Auch muss der Betrieb kostenlose FFP2-Masken, Desinfektionsspender und kostenlose Corona-Tests zu Verfügung stellen. Die IG BAU fordert zudem die Aufsichtsbehörden auf, in den kommenden Monaten »verstärkt und systematisch die Arbeits- und Unterkunftsbedingungen von Saisonkräften zu kontrollieren«.

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