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Im Teufelskreislauf
Heroin und Selbstermächtigung: Die Serie »Wir Kinder vom Bahnhof Zoo«
Den bundesdeutschen Drogenfilmklassiker »Wir Kinder vom Bahnhof Zoo« (1981) als zeitgeistige Berliner Hipster-Serie, unterlegt mit jeder Menge groovigem Elektropop zu inszenieren, sollte eigentlich schiefgehen. Aber solange der Zuschauer bereit ist, sich auf Neues einzulassen, lässt sich dieser jetzt auf Amazon Prime zu sehenden Serie aus der Feder von Annette Hesse, die auch schon für die Berliner Zeitgeschichts-Mehrteiler »Ku’damm 56« und »Ku’damm 59« verantwortlich zeichnete, durchaus etwas abgewinnen. Anfang der 1980er Jahre schleppten besorgte Erziehungsberechtigte ihre gerade mal im Teenageralter angekommenen Sprösslinge ins Kino, um sie mit Hilfe der Verfilmung des Sachbuchbestsellers »Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo« mit den Abgründen der Drogenabhängigkeit zu konfrontieren. Geschrieben hatten das gebetsmühlenartig als »erfolgreichstes Sachbuch der Nachkriegszeit« beworbene und auf Interviews basierende Buch 1979 zwei Stern-Autoren mit der damals 17-jährigen, aus Rudow stammenden Christiane Felscherinow. Dass die ins Kino geschleppten Jugendlichen sich dann vor allem für die damals kultigen Konzertszenen mit David Bowie begeisterten und viele Kids sogar das Buch lasen und die Schilderungen der Berliner Subkultur beeindruckender fanden als sie von den Drogen wirklich abgeschreckt wurden, bekamen die besorgten Eltern gar nicht mit.
Die neue Serie »Wir Kinder vom Bahnhof Zoo« ist motivisch nur lose an das Original angebunden. Auch wenn eine 17-jährige Christiane aus Rudow im Zentrum der Geschichte steht, geht es doch um eine Clique von sechs Freunden, die allesamt auf Heroin kommen und in den Teufelskreislauf der Drogenabhängigkeit abrutschen. Geld für Drogen besorgen sich die zum Teil noch nicht volljährigen Jugendlichen durch Sexarbeit. Das Thema sexueller Missbrauch steht aber wie schon im Original nicht im Vordergrund, vielmehr geht es um die Drogenbiografien der Jugendlichen. Und die sind sehr unterschiedlich und von der jeweiligen Klassenzugehörigkeit abhängig. Babsi, die Tochter aus reichem Hause, bekommt eine Entziehungskur de luxe, während Christiane im Kinderzimmer im elften Stock der Betonsiedlung das Gift ausschwitzt. Helfen tut der Entzug aber lange Zeit keinem, denn alle werden wieder rückfällig, mehr als einer der Clique muss dann auch dran glauben. Das Ganze wird im Grunde ohne zu viel Pathos inszeniert und recht flott erzählt. Der größte Unterschied zu Buch- und Filmvorlage dürfte darin liegen, dass Christiane hier nicht ausschließlich zum Opfer stilisiert wird. Die Serie erzählt in der finalen Auflösung fast so etwas wie einen Selbstermächtigungsprozess, an dessen Ende ein Leben ohne Drogen steht.
Dabei arbeitet sich die Serie mitunter sehr detailverliebt am Original ab. David Bowie hat sogar auch hier einen Gastauftritt - aber auf einer Toilette, während Christiane nicht vor der Bühne steht und das Idol verunsichert anstarrt, sondern in dessen Umkleide sitzt und auf Drogen mal wieder eine Halluzination hat. Denn immer wieder kippt die Erzählung ins Fantastische ab. Das sind dann auch die stärksten Momente der Serie. Wände verschieben sich und legen Räume frei, im »Sound«, der Diskothek, die auch in Buch und Film Dreh- und Angelpunkt der subkulturellen Szenerie ist, beginnen die Freunde beim Tanzen zu schweben, und nach einem Schuss Heroin stürzt jemand auch mal in ein tiefes dunkles Wasserloch, das sich unter ihm auftut. Das erinnert an »Trainspotting« (1996), wo Drogenräusche eine ähnliche filmische Umsetzung erlebten. Dennoch wirkt die Inszenierung in »Wir Kinder vom Bahnhof Zoo« über weite Strecken zu harmlos und kommt immer wieder mit simpler Küchenpsychologie um die Ecke, wenn jeder kleine Frust gleich die Flucht in die Droge nach sich zieht. Die vor allem in den ersten Folgen massiv eingesetzte Musik David Bowies wirkt stellenweise aufgesetzt. Auch wenn mitunter das Spielen mit dem Original sehr gekonnt umgesetzt und der Kultklassiker auch mal ironisch gebrochen wird, gelingt das einfach nicht immer.
Insofern ist die neue Serie meilenweit von der düsteren Atmosphäre des Originals entfernt, reproduziert aber auch lange nicht so plump die Geste des erhobenen moralisierenden Zeigefingers. Wobei die Geschichte um die sechs Freunde und deren Familien auch gekonnt erweitert wird, etwa um den maßlos bescheuerten Vater Christianes, der sich einen Porsche kauft und das gegenüber seiner ob dieser Ausgabe verärgerten Frau mit den Worten kommentiert: »Der Erfolg stellt sich dann schon ein.« Die zeitgeschichtliche Inszenierung des Stoffs ist dabei nicht immer stringent, wenn etwa die Jugendlichen zum eingangs erwähnten Elektropop abhotten. Aber das stört nicht. Junge Menschen, die das Original nicht kennen und hier eine eigenwillige Mischung aus zeitgemäßer Berlin-Geschichte und Vintage-Chic vorfinden, dürfte das eh egal sein. Die neue Serienadaption von »Wir Kinder vom Bahnhof Zoo« ist eben noch ein Remake eines schon erprobten Stoffes in einem Film- und Serienbetrieb, der gern auf Altbekanntes zurückgreift.
»Wir Kinder vom Bahnhof Zoo«, ab diesen Freitag auf Amazon Prime.
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