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»Irreführende Verfassungsänderungen«
Der Vorschlag nach Einführung einer Antifaschismusklausel ist bei Bund und Ländern umstritten
nd-Frage an Bundesregierung und Landesregierungen: Gehört Ihrer Ansicht nach eine Antifaschismus-Klausel ins Grundgesetz beziehungsweise in die Landesverfassungen - und wenn nicht, warum?
Sie löst ohne Zweifel nicht automatisch das Problem des grassierenden Rassismus, auch extrem rechte Mobilisierungen oder Diskursverschiebungen werden durch sie nicht ohne weiteres unterbunden. Könnte eine Antifaschismusklausel in Verfassungen aber eben doch mehr sein als reine Symbolpolitik - ein ernsthaftes Bekenntnis zu einer wehrhaften, pluralistischen, solidarischen und demokratischen Gesellschaft? Werte, die eben anhand dieses Anspruches auch politisch eingefordert und zur Not verteidigt werden können? Diese Frage ist umstritten und wurde von den Bundesländern unterschiedlich beantwortet.
Vor einem Jahr, am 19. Februar 2020, ermordete ein Rechtsradikaler in Hanau aus rassistischen Motiven neun Menschen. Danach tötete er seine Mutter und sich selbst. Der Täter war Sportschütze und besaß legal zwei Pistolen. Eine dritte Pistole, die Tatwaffe, lieh er sich bei einem Waffenhändler aus.
Nach dem Massaker gab es zahlreiche Bekenntnisse von Politikern, entschieden gegen Rassismus und Rechtsextremismus vorzugehen. So erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Bezug auf rassistische Einstellungen in der deutschen Bevölkerung: »Wir stellen uns denen, die versuchen, in Deutschland zu spalten, mit aller Kraft und Entschlossenheit entgegen.« Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte bei einem Treffen mit Angehörigen der Opfer: »Die Wurzeln des Rechtsextremismus reichen tief in unsere Gesellschaft hinein – das ist ein ernstes, ein drängendes Problem.«
Die Publizistin Daniela Dahn formulierte kurz nach dem Anschlag in Hanau Forderungen an die Politik, die »nd« veröffentlichte. Es geht darin um Defizite im Umgang mit Rechtsextremismus und rechter Gewalt, um die Arbeit von Polizei und Geheimdiensten, die konsequente Aufarbeitung der NS-Vergangenheit. »Wenn die angesprochenen Institutionen nicht beabsichtigen, auf die Forderungen einzugehen, haben sie die Pflicht, dies vor der Öffentlichkeit zu begründen«, schrieb Daniela Dahn.
Wir haben ein Jahr nach dem Anschlag in Hanau die Bundesregierung und die Landesregierungen gefragt, wie sie zu den von Daniela Dahn aufgeworfenen Fragen stehen. Keine Antworten kamen aus Brandenburg, Hessen und Baden-Württemberg. Auf dieser Doppelseite fassen wir wesentliche Aussagen zusammen, an denen sich die Institutionen – Staatskanzleien, Ministerien, Polizei und Verfassungsschutzämter – messen lassen müssen. In den nächsten Wochen werden wir mit Politikern, Verbänden und Initiativen sprechen und die hier wiedergegebenen Auskünfte einer Bestandsaufnahme unterziehen. nd
»Das muss natürlich jedes Land für sich selbst entscheiden. Mecklenburg-Vorpommern hat eine entsprechende Klausel in seine Verfassung aufgenommen«, erklärte die Landesregierung gegenüber »nd«. 2007 hatte eine Volksinitiative eine entsprechende Ergänzung angestrebt, wonach Handlungen verfassungswidrig sind, die geeignet seien, »rassistisches oder anderes extremistisches Gedankengut« zu verbreiten. Auch die aktuelle Thüringer Minderheitsregierung unterstützt ein entsprechendes Vorhaben: »Die Fraktionen Die Linke, SPD und Bündnis90/Die Grünen haben im Verfassungsausschuss des Thüringer Landtags einen Antrag eingebracht, um den Antifaschismus als Staatsziel in die Verfassung des Freistaats Thüringen aufzunehmen«, teilte das Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz mit. Die Landesregierung verfolge den »nunmehrigen parlamentarischen Prozess mit großem Interesse und dem gebotenen Respekt vor dem Parlament«. Sachsen-Anhalt hatte bereits im Februar 2020 einen ähnlichen Passus in seine Verfassung aufgenommen.
Die Bundesregierung selbst sieht dagegen keine Notwendigkeit für eine Änderung: »Das Grundgesetz ist auch ohne ›Antifaschismus-Klausel‹ darauf ausgerichtet, aus den geschichtlichen Erfahrungen zu lernen und eine Wiederholung des nationalsozialistischen Unrechts ein für alle Mal auszuschließen.« Das Grundgesetz könne insgesamt als Gegenentwurf zum NS-Totalitarismus und auch anderen totalitären Systemen verstanden werden, hieß es vom Bundesinnenministerium. Diese Argumentation wurde von den meisten Bundesländern übernommen.
Explizit gegen ein solches Vorhaben stellte sich Sachsen: »Das Grundgesetz wirkt nicht vordergründig durch ›Pro‹- beziehungsweise ›Anti‹-Klauseln oder Programmsätze, sondern dadurch, dass es die Rahmenbedingungen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung insgesamt definiert und zugleich wirksam sichert«, teilte die Landesregierung mit.
Es setze zugleich darauf, dass sowohl die Politik als auch die Bürgerinnen und Bürger diese freiheitliche demokratische Grundordnung in ihrer übergroßen Mehrheit von sich aus bejahen und den antitotalitären Konsens verteidigen. »Angesichts der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wäre die Einfügung einer ›Antifaschismus-Klausel‹ in beide Verfassungen somit rechtlich problematisch. Sie wird daher nicht angestrebt.«
Ablehnung gab es ebenfalls von der Hamburger Justizbehörde. »Eine ausdrückliche Erwähnung dieses antitotalitären und damit auch antifaschistischen Verfassungscharakters im Grundgesetz ist nicht sinnvoll, da dieses in allen seinen Bestimmungen den positiven Entwurf eines demokratischen Rechtsstaates darstellt«, hieß es gegenüber »nd«. Die Nennung einer speziellen abzulehnenden Ideologie würde diesem Konzept nicht entsprechen, sondern vielmehr eine »Abhängigkeit von der Abgrenzung zu einer bestimmten totalitären Ideologie suggerieren«.
Zudem würde sich laut der Justizbehörde die Frage stellen, ob »nur der Antifaschismus oder auch der Antistalinismus« in einer solchen Klausel zu berücksichtigen wäre. Verfassungsrechtlich würde es sich für die Regierung ohnehin lediglich um ein Bekenntnis handeln, das »keine relevante rechtliche Wirkung« hätte. »Derartige rechtlich wirkungslose und deswegen für die Bürgerinnen und Bürger irreführende Verfassungsänderungen sind abzulehnen«, so die Antwort. In Hamburg regiert eine rot-grüne Koalition.
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