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Preise und Klasse

Das Inflationsgespenst geht um - aber es bedroht nicht alle gleichermaßen

»Reflation Game« heißt das Spiel, das derzeit an den Weltfinanzmärkten gespielt wird - Anleger setzen auf ein Anziehen der Inflationsrate. Begleitet wird dieses Spiel von Warnungen vor schneller Entwertung des Geldes und von Debatten unter Ökonomen, wie stark die Preise steigen werden und ob dies die Welt bedroht oder nicht. Unter den Tisch fällt dabei, dass Inflation kein makroökonomisches »Phänomen« ist, das »uns alle« bedroht, sondern eine Klassenfrage.

Anlass der aktuellen Aufregung ist die Tatsache, dass zu Beginn dieses Jahres die Preise schneller gestiegen sind. Nachdem die Inflationsrate in Deutschland 2020 monatelang unter null Prozent gelegen hatte, sprang sie im Januar auf 1,0 und im Februar auf 1,3 Prozent. In der Eurozone kletterte die Rate von minus 0,3 auf 0,9 Prozent.

Ökonomen beeilten sich, diesen Anstieg mit Sonderfaktoren zu erklären. So ist erstens der Ölpreis nicht mehr so niedrig wie vor einem Jahr, als die Corona-Pandemie ihn in den Keller geschickt hatte. Zweitens stieg zum Jahresbeginn in Deutschland die Mehrwertsteuer wieder an, die wegen der Pandemie gesenkt worden war. Und schließlich wurde auch eine CO2-Abgabe auf fossile Brennstoffe eingeführt. All diese steigenden Kostenbestandteile schlugen die Unternehmen teilweise auf die Preise auf. »Die höhere Inflation«, so das Fazit der DZ Bank, »ist maßgeblich auf Abgabenerhöhungen oder Steueränderungen zurückzuführen.«

Also keine Gefahr? Nicht ganz. »Einige Anleger befürchten, dass die Inflation nicht beim Vorkrisen-Niveau halt macht, sondern deutlich darüber hinaus geht«, warnt die Commerzbank. Das hat an den Finanzmärkten die Zinsen steigen lassen, da Anleger für die erwartet höhere Geldentwertung eine Kompensation verlangen. Gehe das so weiter, so die Commerzbank, dann drohe am Ende ein Einbruch der Finanz- und Immobilienmärkte. Denn deren hohe Bewertungen »lassen sich nur rechtfertigen, wenn Inflation und Zinsen dauerhaft niedrig bleiben.«

Die Erwartung eines weiteren Anstiegs der Inflationsrate hat mehrere Quellen: Eine ist die Auflösung des »Konsumstaus«: In der Pandemie waren Geschäfte geschlossen, Konsumenten und Konsumentinnen sparten ihr Geld. Mit der Öffnung jedoch »könnten etwa 30 Prozent der zusätzlichen Ersparnisse im Jahr 2021 wieder in den privaten Konsum fließen«, errechnet die Deutsche Bank. Damit seien »teilweise deutliche Preisanstiege zu erwarten«.

Zudem legen die Regierungen weitere Konjunkturpakete auf, die die zahlungsfähige Nachfrage erhöhen. »Die Haushaltsdefizite werden nach dem Abklingen der Coronakrise höher sein als in den Jahren zuvor«, so die Commerzbank. Zudem würden durch das niedrige Zinsniveau »Unternehmen und Hausbauer nach der Überwindung der Krise zur Aufnahme von zu viel Krediten verführt« mit dem Ergebnis: »Die Geldmenge wächst viel zu stark, es baut sich ein Inflationspotenzial auf.«

Das »Inflationsgespenst« (Commerzbank) erhebt damit sein Haupt und alle sollen sich fürchten. Dabei bedroht es die sozialen Schichten und ökonomischen Klassen sehr unterschiedlich. Stichwort »Konsumstau«: Sollten die Menschen »nach der Corona-bedingten Phase des Verzichts hungrig auf Freizeitangebote und sorglose Shoppingtouren sein«, wie die DZ Bank vermutet, so ist dies für Unternehmen eine Gelegenheit, »die günstigen Rahmenbedingungen für Preisanpassungen nach oben« zu nutzen. Mit Hilfe ihrer »Preisgestaltungsmacht« ziehen sie so viel Geld an sich wie möglich und erhöhen dafür ihre Preise. Es sind also die Unternehmen, deren Profitstreben die Inflation macht - und Konsumenten damit ärmer macht.

Die Inflationsrate misst die Entwicklung der Verbraucherpreise - also jener Preise, die Menschen für Essen, Computer, Wohnung und Energie zahlen müssen. Ein stärkerer Anstieg der Inflation trifft also jene Haushalte am härtesten, die große Teile ihres Monatsbudgets für Dinge des täglichen Lebens ausgeben müssen. Und das sind die Armen. Daher gilt: Je ärmer der Haushalt, umso ärmer macht ihn der Anstieg der Inflationsrate. So dürften es in den Industrieländern jene mit den knappsten Budgets sein, die darunter leiden, dass sich Nahrungsmittel in den vergangenen Monaten mit Raten von über drei Prozent verteuert haben.

Die Ärmeren müssen ihr Geld im Supermarkt lassen und dort den Unternehmen höhere Preise zahlen. Die Wohlhabenden dagegen können größere Teile ihres Budgets zurücklegen - bei »einkommensstarken Haushalten«, so die Deutsche Bank, sei die »Sparneigung vergleichsweise hoch«. Mit dieser Neigung können sie von einer anderen Inflation profitieren: der Vermögenspreisinflation, also dem Kursanstieg von Wertpapieren. Hierbei sind allerdings nicht alle Sparer gleich. Denn je reicher ein Haushalt ist, umso größere Risiken kann er eingehen und zum Beispiel Aktien kaufen und dadurch noch wohlhabender werden. »Jüngste Mitteilungen aus der Investmentfondsbranche über kräftige Mittelzuflüsse stützen diese These«, meldet die Deutsche Bank. Die große Masse der Bevölkerung dagegen hat kaum Spargroschen oder setzt als Kleinsparer auf Sicherheit - und verdient damit dank extrem niedriger Zinsen und steigender Inflation derzeit nichts.

Am Ende aber, beruhigen Ökonomen, wird die Inflationsrate dauerhaft gar nicht steigen. Die Gründe, die sie dafür anführen, verweisen allerdings ebenfalls auf den Klassencharakter der Inflation. Laut DZ Bank sind es »strukturelle Trends« wie der »internationale Handel und technische Neuerungen«, die das Preisniveau drücken. Laut Commerzbank »hält die zurückliegende Globalisierung und die in Fahrt kommende Digitalisierung die unterliegende Inflation niedrig«. Was hiermit ausgedrückt sein soll: Mit »Globalisierung« und »internationalem Handel« haben die Unternehmen weltumspannende Liefer- und Produktionsketten geschmiedet. Damit setzen sie die Beschäftigten in eine globale Konkurrenz zueinander, die die Löhne unten hält. Niedrige Löhne bedeutet weniger zahlungsfähige Nachfrage - weniger Inflation. Das ist der »stabilisierende« Effekt der Globalisierung.

Daneben nutzen Unternehmen die »Digitalisierung« und »technische Neuerungen«, um ihre Produktionsprozesse zu rationalisieren und Kosten zu senken. Die Beschäftigten stehen also in einer wachsenden Kostenkonkurrenz mit Maschinen, die ihre Ansprüche ebenfalls bremst und - je nach Prognosen - auch Millionen von Arbeitsplätzen vernichten wird.

Was die Inflationsrate in nächster Zeit aber vor allem niedrig bleiben lässt, das ist nach Meinung der Ökonomen die Tatsache, dass durch die Pandemie die Arbeitslosigkeit auf Dauer steigen wird, was wie Globalisierung und Digitalisierung die Verhandlungsposition der Gewerkschaften schwächt. »Die erhöhte Arbeitslosigkeit wird dafür sorgen, dass sich von der Lohnseite her wenig Kostendruck auf die Unternehmen und damit auf die Verbraucherpreise aufbauen dürfte«, beruhigt die DZ Bank. Dies zeige sich auch »darin, dass sich der Anstieg der Tariflöhne seit Ausbruch von Corona merklich abgeschwächt hat«.

Die Schwäche der Beschäftigten schafft also ein vorerst preisstabiles Umfeld. In den nächsten vier oder fünf Jahren allerdings, warnt die Commerzbank, könnte die Arbeitslosenquoten wieder niedriger sein, was »großen Schaden« an der Inflationsfront anrichten könnte. Dann droht laut der französischen Bank Natixis sogar eine Finanzkrise. Denn wenn die Arbeitslosigkeit sinkt und damit höhere Inflation in Aussicht ist, verlangten die Anleger an den Finanzmärkten höhere Zinsen. Und wenn die Zinsen stiegen, gehe es mit den Aktien- und Immobilienmärkten bergab. Am Freitag sorgte bereits die Meldung, dass in den USA die Arbeitslosigkeit gesunken ist, für Kursrückgänge an der Börse.

Man sieht: Die Inflation ist kein Gespenst, das unser aller Wohlstand bedroht. Denn es ist ein Unterschied, ob man mit der Kalkulation von Kosten und Löhnen, von Preisen und Kursen sein Geld verdient, oder ob man als abhängige Variable dieser Kalkulationen sein Leben fristet.

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