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  • »Trick Mirror. Über das inszenierte Ich«

Handeln, ohne gesehen zu werden

Wer schaut zu im Internet? Über Jia Tolentinos neues Buch »Trick Mirror. Über das inszenierte Ich«

  • Lena Fiedler
  • Lesedauer: 5 Min.

Dass Jia Tolentinos Leben eng mit dem Internet verknüpft ist, verrät schon ihr Foto auf der Seite des Verlags. Dort sieht man die Journalistin in einem Zimmer mit Backsteinwand am Schreibtisch sitzend, im Hintergrund ein gemaltes Bild von Jesus. Das könnte für eine hippe Journalistin des »New Yorker« ungewöhnlich sein, wenn das Bild im Internet nicht Kultstatus hätte: Es hing lange vor sich hinwitternd in einer Kirche in Spanien, bis sich eine Rentnerin Pinsel und Farbe griff und das Wandgemälde eigenständig ausbesserte. Das Bild hatte danach zwar nur noch wenig mit einem Abbild Christi zu tun, wurde dafür aber wegen der DIY-Restaurierung im Netz gefeiert. Dass Tolentino sich eine Kopie dieses Bildes in ihr Wohnzimmer hängt, passt gut als Geste zu einer Autorin, die in ihrem neuen Buch »Trick Mirror« zugibt, seit dem Alter von zehn Jahren internetsüchtig zu sein. Sie gibt unmissverständlich zu verstehen, Teil der Community zu sein, deren Insiderwitze zu verstehen, also Eingeweihte zu sein. Die heute 30-jährige Tolentino gehört zu den Millenials, einer Generation, die sich zwar an eine Zeit vor dem Internet erinnern kann, aber mit dem Netz zusammen groß geworden ist.

In dem ersten Kapitel ihres Buchs namens »Das Ich im Internet« geht es auch um diese zwei Dinge: die Anfänge des Internets und die Selbstinszenierung. Schon 1999 versprach Tolentino auf ihrer ersten eigenen Webseite »völlig offen« über ihr Leben reden zu wollen. Der Wille zur Selbstdarstellung einer Zehnjährigen wurde in den nächsten Jahren zu einem bestimmenden Mechanismus des Netzes, nämlich aus dem persönlichen Leben und dem eigenen Bild ein Allgemeingut zu machen, das sich zu Geld, oder wie in Tolentinos Fall, zu einer Karriere verwandelt. Mit 25 Jahren war es ihr Job Beiträge zu schreiben, die idealerweise Hunderttausende Klicks generieren sollten.

Der Traum von einem besseren, wie Tolentino schreibt »wahrhaftigeren Ich im Internet« glitt jedoch davon. Das liege unter anderem an der Unmöglich im digitalen Leben zu handeln, ohne gesehen zu werden. Zum einen verorte die Architektur des Internets die persönliche Identität im Zentrum des Universums, so Tolentino. Zum anderen, schreibt sie unter Rückgriff auf das Werk »Wir alle spielen Theater« des Soziologen Erving Goffman weiter, kann im Netz zwischen dem Ausüben einer Handlung und der Darstellung einer Handlung nicht mehr unterschieden werden. Und das sei auch das große Problem, wenn es darum geht im Digitalen solidarisch zu sein. Denn: Man kann nicht solidarisch handeln, ohne sich damit selbst zu produzieren. Anstatt sich anständig zu verhalten, reicht es, lediglich den Anschein dessen zu erwecken. Das Internet mache es einfach, über Moral zu sprechen, während das tatsächliche Handeln immer schwieriger werde. Ein Share-Pic mit den Namen der Ermordeten von Hanau in seiner Story auf Instagram zu teilen, fällt leichter, als sich tatsächlich gegen Faschismus einzusetzen und hat dabei sogar den Vorteil sich selbst als einer der Guten inszenieren zu können, könnte man Tolentinos Gedanken in den aktuellen Kontext in Deutschland setzen. »So fühlt sich der Ausdruck von Solidarität im Internet oft an - wie eine Art des Zuhörens, die so extrem und performativ ist, dass sie sich häufig selbst in die Show verwandelt«, schreibt sie.

Dieses und viele andere Dilemmata untersucht Tolentino in ihrem Essayband, deren Kapitel sich stets um das (digitale) Leben der Autorin zwischen Widerstand und Aneignung drehen. Sie schreibt über ihre Freude an überteuerten Sportkursen, in denen sie lernt ihren Körper zu disziplinieren (er soll »maximal attraktiv und maximal effizient sein«), über Reality-TV und über die Parallelen zwischen Drogen und Religion in Texas, wo die Autorin aufgewachsen ist. Das Kapitel »Die Geschichte einer Generation in sieben Betrugsmaschen« verbindet den Skandal um das nie stattgefundene Fyre-Festival, die Trump-Präsidentschaft, den Finanzcrash und andere sogenannte Scams, die Tolentinos Generation geprägt haben: Mit dabei auch Facebook, ein Soziales Netzwerk, das vorgibt, ein Produkt anzubieten, obwohl alle wissen, dass das eigentliche Produkt die Nutzer*innen selbst sind; der Corporate-Feminismus und die steigenden Studiengebühren an den Universitäten.

Tolentinos Essays sind immer subjektiv, basieren auf ihren eigenen Erfahrungen und spielen mit ihrer persönlichen Verstrickung im Problem. Sie spricht sich selbst nicht frei von Verhalten und Einstellungen, von denen man weiß, dass sie einen nicht weiterbringen, aber die als Mechanismen im kapitalistischen System angelegt sind. Zum Beispiel profitiert Tolentino als junge Journalistin von einer digitalen Öffentlichkeit, die auf der Ausbeutung von Aufmerksamkeit und der Monetarisierung des Ichs basiert. In dem Kapitel über die Selbstinszenierung im Netz schreibt sie: »Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll, dass ich selbst weiterhin von all dem profitiere: dass meine Karriere größtenteils auf der Art und Weise aufbaut, in der das Internet Identität, Meinung und Handlung in sich zusammenfallen lässt«.

Obwohl ihre Beobachtungen prägnant sind, gewinnt man nach einigen Kapiteln den Eindruck, dass die betont ausgestellte Reflexion der eigenen Position sich selbst in eine Show verwandelt und genauso zu der Selbstvermarktungsstrategie einer Autorin zählt, die von sich behauptet Millenial-Expertin zu sein. Angesichts der vielen Selbsttäuschungen, auf die Tolentino in ihrem Buch hinweist, stellt sich bei all der inszenierten Selbstkritik schon die Frage: Was ist Posse? Was ist authentisch? Und sind das in diesem Diskurs der Täuschungen überhaupt relevante Fragen? Gibt es keine Möglichkeit hinter diesen Trickspiegel zu gelangen, um die Metapher des Buchtitels zu bemühen? Die seltsame Stille, die am Ende jedes Kapitels von Tolentino eintritt, wo man eigentlich Möglichkeiten der Veränderung erwarten würde, legt nahe, dass Antworten hier vielleicht nicht zu finden sind, egal wie lange man am Reflexionsrad dreht. Möglicherweise stimmt das und es gibt tatsächlich kein Dahinter. Aber es ist auch wahr, dass wir - wenn wir wissen, dass das, was wir wollen, schlecht für uns ist - nicht zu machtlos sind, um es abzulehnen. Tolentino bleibt aber stumm und das ist die große Schwäche ihres Buchs. Es zeigt zwar auf, wo wir misstrauisch sein sollten, eröffnet aber keinen Blick dorthin, wo und wie wir handeln müssen. Gerade an diesen Stellen, an denen der Text scheitert, gibt er jedoch auch Aufschluss über ganze eine Generation und ihre Art und Weise sich in der (digitalen) Welt zu verorten.

Jia Tolentino: Trick Mirror. A. d. Engl. von Margarita Ruppel. S. Fischer. 368 S., geb., 22 €.

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