Außerordentlich wundersam

Wie Edward Lear und Klaus Ensikat vier Kinder auf einer Weltreise begleiten

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 3 Min.

Was ist wohl erstaunlicher? Dass man aus Kieselsteinen den aromatischsten Tee kochen kann, allerdings nur in Begleitung einer Ziehharmonika? Oder dass der Teekessel vier Kindern als bequeme Schlafgelegenheit dient, während eine Katze und ein sonderbarer Quangel-Wangel (sieht aus wie eine Marionettenfigur) das Schiff steuern?

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Edward Lear/Klaus Ensikat: Die Geschichte von den vier Kindern, die eine Weltreise machten.
A. d. Engl. v. Hans Magnus Enzensberger. Leiv, 36 S., geb., 12,90 €. •

Was man bei dem englischen Schriftsteller und Maler Edward Lear (1812-1888) als »Nonsens-Dichtung« rühmt, ist für kleine Kinder eine Wirklichkeit, die problemlos neben der realen bestehen, ja sich sogar mit ihr vermischen kann. Meine zweijährige Enkelin kann sich allein die Schuhe anziehen, möchte aber mitunter auch, dass es eine Ente »macht«. Und wenn sie der Mutwille packt, nennt sie ein Pferd auch mal einen Hund und sagt mit einem überaus ausdrucksstarken Lachen »Nein«, wenn man es richtigstellen will. Denn die sprachlich fest gefügte Realität muss auch immer aufgebrochen werden, sonst macht es keinen Spaß.

Wie die vier Kinder auf ihrer Weltreise zu einer Insel kommen, die aus Wasser besteht, wo sie indes jede Menge Kalbsschnitzel und Schokoladendrops finden, könnte ich ihr irgendwann erzählen, und es würde Beifall finden. Auch der wandelnde Blumenkohl und der Orangenregen wären nicht schlecht. Um »Die Geschichte von den vier Kindern, die eine Weltreise machten« in ihrer kunstvollen Aufmachung wirklich würdigen zu können, muss sie noch älter werden.

Es gibt ja zwei Sorten von Kinderbüchern: Die einen finden die Erwachsenen allzu gefällig, kitschig gar, aber Kinder mögen sie gerade in dieser Primitivität. Die anderen, künstlerisch anspruchsvollen, versetzen Lektoren und Kritiker in hellen Jubel, der eigentlichen Zielgruppe aber mangelt es noch an der Fähigkeit, das schöpferisch Wertvolle in all seinen Facetten zu goutieren. So geben Verlage oft vorsichtshalber keine Altersempfehlungen. Vorlesen kann man dieses Buch wahrscheinlich Kindern von vier Jahren an. Zum Selberlesen aber braucht es mehr als die Kenntnis der üblichen Druckschrift.

Die Geschichte von Edward Lear ist über 130 Jahre alt und in verschiedenen Übersetzungen und Gestaltungen auch schon früher verlegt worden. Die vorliegende Ausgabe hebt sich darüber hinaus als ein Buchkunstwerk ab, das durchaus im Verdacht steht, mit Preisen überschüttet zu werden. Nicht nur dass die Übersetzung nicht von irgendwem, sondern von Hans Magnus Enzensberger stammt - in Bild und Schrift ist der Band in seiner Gesamtheit von Klaus Ensikat gestaltet, dessen filigraner Zeichenstil mitunter an Albrecht Dürer erinnern kann, wäre ihm nicht immer ein Hauch von Skurrilem, Absurdem beigemischt.

Was könnte besser passen zu den rotäugigen Mäusen, »die mit den vortrefflichsten und gewähltesten Tischmanieren bedächtig ihren Mandelpudding aufaßen«, oder zu den Krabben, die es nach wolligen Pulswärmern verlangte? Ein boshafter Junge in rosaroten Knickerbocker-Hosen hätte beinahe das Schiff zerstört, aber später gibt es bei den Gelben Nasenaffen massenhaft Maulbeer-Marmelade. Am angenehmsten war es für die Kinder erstaunlicherweise bei den Schmeißfliegen, die in blauen Flaschen hausen, aber offenbar miteinander in bestem Einvernehmen. Warum gerade hinter blauem und nicht in grünem Glas? Das wird man hier erfahren, ebenso wie man mithilfe eines Nashorns Hühner fangen kann.

Über Edward Lear ist im Internet herauszufinden, dass er als Kind unter epileptischen Anfällen und depressiven Schüben litt. Hat er seine Traurigkeit in wildem Lachen abreagiert? Und noch etwas: Wie die Kinder aus dem 19. Jahrhundert ins Ungewisse aufbrechen, aus jeder Situation das Beste machen und ihren Spaß nicht verlieren, könnte verzagt-verängstigten Erwachsenen von heute als Beispiel dienen, auch wenn es nur »Nonsens« ist.

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