Ketamin und Thomas Hobbes

Ist das rechts oder links? Pola Oloixaracs Debütroman »Wilde Theorien« erstmals auf Deutsch

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 4 Min.

Die 1977 in Buenos Aires geborene Pola Oloixarac gehört zu den international erfolgreichsten literarischen Stimmen Argentiniens. Ihr bereits 2008 im Original erschienener Debütroman »Wilde Theorien« ist nun endlich auch auf Deutsch lieferbar. 2016 war hierzulande schon »Kryptozän«, ihr zweiter Roman, erschienen. »Wilde Theorien« ist ein nicht immer einfaches, aber sehr beachtliches und ziemlich rasant daherkommendes Debüt, das allerdings auch seine Ecken und Kanten hat. Denn zwei der weiblichen Protagonisten des Buches werden nicht müde, immer wieder gegen eine vermeintliche linke Dominanz im Kultur- und Bildungsbereich zu wettern.

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Pola Oloixarac: Wilde Theorien.
A. d. argent. Span. v. Matthias Strobl. Wagenbach, 256 S., geb., 22 €. •

Als Pola Oloixarac das vor über zehn Jahren aufschrieb, war die Neue Rechte noch nicht so präsent wie heute. Oloixarac, die sich selbst als Feministin versteht, poltert jedoch gerne mal gegen die politische Linke und vor allem die argentinischen Peronisten. Wobei sie trotzdem nicht einfach in die rechte Ecke gestellt werden sollte, wie es einige Kritiker in Argentinien kurz nach Erscheinen von »Wilde Theorien« taten.

Tatsächlich muss der Roman in einem argentinischen Kontext gesehen werden. Denn Oloixarac arbeitet sich vor allem an einer Mythologisierung der revolutionären Linken der 1970er Jahre in Argentinien und dem Peronismus ab. Dabei geht es vor allem gegen erfolgreiche linke Macker. »Wilde Theorien« erzählt von einer jungen Studentin, die versucht, die Theorie ihres von allen bewunderten Professors Augusto Garcia Roxler umzuschreiben - sie besser zu machen, wie sie meint. Um sich ihm zu nähern, bandelt sie mit einem linken Guerillero der 70er Jahre an, in dem einige argentinische Kritiker den linksradikalen argentinischen Erfolgsautor Martín Caparrós zu erkennen glaubten, was Oloixarac, in einem Interview darauf angesprochen, auch gar nicht abstritt.

Neben diesem Handlungsstrang über eine sehr gut aussehende intellektuelle akademische Überfliegerin, die zweifelsfrei Ähnlichkeiten mit Pola Oloixarac selbst besitzt, die in diesem postmodernen, alles fortwährend dekonstruierenden Feuerwerk auch einen Cameo-Auftritt hat, gibt es noch zwei weitere Erzählebenen. Zum einen ist da der fiktive Anthropologe Johann Van Vliet, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Theorie der »Egoischen Übertragung« entwickelt, die »metaphysische Anschauungen, anthropologische Tiefe, Potenziale der politischen Philosophie und eine attraktive, gewagte und rationalistische Sprache« verbindet. Viel konkreter wird es nicht in dem Roman, dessen Prosa gerne in kleinen Details und Nebenschauplätzen sowie eingestreuten Texten über anthropologische Themen ausfranst und die einzelnen Erzählebenen mal sehr dicht und dann wieder ganz lose miteinander verknüpft. Van Vliets Theorie ist die Grundlage für Roxlers Theorie, des besagten Professors, die die Ich-Erzählerin umschreiben will.

Und dann gibt es da noch das aberwitzige Duo Pabst und Kamtchowsky, zwei junge Nerds, die im Gegensatz zur Ich-Erzählerin nicht gut aussehen, aber mit viel Hingabe durch die subkulturellen Untiefen von Buenos Aires stromern. Sie gehen auf avantgardistische Vernissagen und wilde Partys, tauchen mit viel Hingabe in hedonistische und erotische Abenteuer und performen dabei ebenso wie die Ich-Erzählerin fast schon stehsatzartig eine gediegene Abneigung gegen die politische Linke. Es geht gegen die Eltern-Generation der linken Helden des argentinischen Bürgertums und ihre Machos. Darin steckt zweifelsfrei auch eine ironische popkulturell inszenierte Herrschaftskritik. Wobei die antilinke Provokation im Text manchmal über Gebühr platt daherkommt, etwa wenn sich Kamtchowsky auf der Toilette bei einer Party eine auf dem Klodeckel in Form eines Hakenkreuzes zurechtgelegte gigantische Line Ketamin in die Nase zieht.

Daneben wird auch gerne mal Thomas Hobbes zitiert. Wie sehr die linke Identität aber letztlich zum Selbstverständnis dieser durchgeknallten Antihelden gehört, zeigt der Inhalt der Tasche der Ich-Erzählerin, die irgendwann überfallen wird und alles auspacken muss. Da ist neben Trotzkis »Geschichte der russischen Revolution« noch Augustinus’ »De civitate Dei«, das Tagebuch eines Konquistadors aus dem 16. Jahrhundert und ein Handbuch der italienischen Potere Operaio zu finden, der Vorläufer der Autonomen.

Wobei sich die subkulturellen Nerds Pabst und Kamtchowsky schließlich mit anderen verbünden und gemeinsam kämpfen, fast so wie ihre gehassten linken Anti-Vorbilder der älteren Generation. Nur dass sie gegen Google Maps zu Felde ziehen. Mithilfe eines befreundeten Hackers schaffen sie es, die Anfragen an die Seite bzw. die Suchergebnisse so zu modifizieren, dass Kunstwerke eines in Trümmer liegenden Buenos Aires statt der Stadtplan-Daten auf dem Bildschirm zu sehen sind. Außerdem haben alle User die Möglichkeit, eigene Bilder hochzuladen, die dann auf der Seite anstelle ihrer Straße zu sehen sind.

Eine derartige libertäre, dezentrale Aktion gegen digitale Überwachung findet sich auch in Pola Oloixaracs zweitem Roman »Kryptozän«. Ob »Wilde Theorien« wirklich zum Besten gehört, was die argentinische Literatur zu bieten hat, wie viele Fans von Pola Oloixarac sagen, etwa auch der mittlerweile verstorbene Ricardo Piglia, dessen Roman »Künstliche Atmung« (1980) gegen die rechte Junta zum Tafelsilber der antifaschistischen Literatur des lateinamerikanischen Landes gehört, oder ob Pola Oloixarac eher Vorreiterin einer rechten Popkultur ist, das sollten die Leser selbst entscheiden. Handwerklich ist ihr Text über weite Strecken schlicht großartig. Auch stellt sie ihn ganz bewusst in die Tradition von Jorge Luis Borges.

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