Der Geist allerdings ringt um Luft

Über apodiktischen Ernst und spielerische Ironie, rechts und links, Traditionalisten und Hedonisten

  • Gunnar decker
  • Lesedauer: 7 Min.

Als man den Vordenker der Bolschewiki Nikolai Bucharin 1937 während der von Stalin initiierten »großen Säuberung« mittels Schauprozess legal zu ermorden begann, flüchtete sich dieser immer wieder in Ironie und wurde vom Ankläger Wyschinski aufgefordert, seine »scholastischen Wortklaubereien« und »Sophistereien« zu unterlassen. Der Generalstaatsanwalt, so heißt es, verfiel mitunter ebenfalls in einen kalt-ironischen Ton, um daraus dann um so furchtbarer verdammend aufzufahren.

Zweimal Ironie. Das triumphierende Instrument der Entlarvung in den Händen jener, für die Wahrheit zuerst eine Machtkategorie ist und Denken ein Weg, den anderen auf die zweckmäßigste Weise zu exekutieren. Aber auch der letzte Zufluchtsort von Autonomie eines ausweglos Umstellten.

Zweifellos war Ironie zuerst Notwehr der Schwachen, dort, wo man nicht offen opponieren konnte oder wollte. Weniger als Kampfansage des Subtilen (Geist, wo er nicht Ideologie des Machens sein will) gegen das Grobe (Politik, Ökonomie), weil dies ein törichter Kampf wäre, vielmehr als Verständigung der Schwachen untereinander über die Köpfe der Starken hinweg.

Doch die Schwachen von heute gerieren sich mit Vorliebe als Denker mit starkem Machtanspruch. So Marlon Grohn (»Die Tyrannei des Unernsten«, »nd« 13./14. 3.), der in tschekistischer Umstandslosigkeit fordert: »Was erwirkt werden müsste, wäre schlicht: Ironie verbieten. Und zwar ausnahmslos.« Denn einzig und allein unter einer Bedingung ließe sich die Welt retten: »Ihr müsst es ernst meinen, und zwar immer.« Vor Leuten, die sich und ihre Mission allzu ernst nehmen, fürchte ich mich immer ein wenig, denn von der geistigen Freiheit anderer (zu der auch das befreiende Lachen über den tödlichen Ernst der Weltverbesserer gehört) halten sie für gewöhnlich wenig. Aber interessant ist an dieser Position, dass sie Ausdruck eines sinnfälligen Wandels der letzten zwei Jahrzehnte geworden ist. Grohn postuliert: Ironie sei »zur derzeit führenden Ideologie der Gegenaufklärung geworden«. Als jemand, der schon etwas länger im intellektuellen Überlebenskampfdiskurs steht, ziehe ich dazu ein Buch aus den hinteren Reihen meines Regals. Es heißt »Zur Kritik der palavernden Aufklärung« und stammt von Gerd Bergfleth (Matthes & Seitz, 1984). Darin schreibt Bergfleth unter dem Titel »Über linke Ironie«: »Mit der Ironie betrügt sich die Linke um ihren Augenblick der Wahrheit, oder, was dasselbe ist, um ihre Verzweiflung ... Während die linken Simulanten sich der Scheinkultur überlassen, suchen wir durch diesen ganzen Morast hindurch zu einer Sphäre vorzustoßen, wo wir unsere Verehrungen wiederfinden.«

Damals also war der apodiktische Ernst auf der rechten und die spielerische Ironie auf der linken Seite. Die Linken galten in der öffentlichen Wahrnehmung als gottlose Hedonisten, die Pathos und Tradition lächerlich machten, sich über ewige Wahrheiten erheiterten und es mit der bürgerlichen Moral nicht so genau nahmen. Ein zugegeben einseitiges Bild. Jetzt scheinen die Rollen gewechselt zu haben. Der von links okkupierte Ernst der »Weltrettung« erlaubt keinerlei ironische Distanz - weder zu sich selbst noch zu den anderen noch zum großen Ziel. Was meint: Ein bestimmter Teil der Linken scheint puritanisch geworden, rechthaberisch, moralinsauer und gänzlich ironiefrei, was man mit der vermeintlichen Schädlichkeit von Ironie jederzeit bündig zu begründen sucht. Der Geist allerdings ringt um Luft in diesem eng geschnürten ideologischen Korsett. Erklärbar ist solcherart Rigorismus durchaus, aber dennoch falsch. Die Ironie-Inflation der »Spaßgesellschaft« der 90er Jahre forcierte bei der jüngeren Generation einen neuen Ernst. Das ist auch gut so, solange dieser nicht zum fanatischen Ernst mutiert und den Ernst des Spiels (von dem alle Kunst lebt) als aufklärungsfeindlich denunziert.

Skizzieren wir also einmal die Geschichte des erbitterten Streits um das, was Ironie in den Augen der einen auszeichnet und sie in den Augen der anderen diskreditiert. Für Hegel hat nur der machtvolle »Weltgeist« Ironie, für die Romantiker allein der machtlose, aber vernunftbegabte Einzelne.

Ironie ist keine Erfindung der Romantiker, erst recht nicht die Nietzsches, der sie mit seinem »Pathos der Distanz« auf die Spitze trieb. Vielmehr erinnerten die Romantiker sich der Brüder im Geiste - der Humanisten (denen die bitter-ernsten Reformatoren zusetzten), der wurzellosen Kriegschronisten (Grimmelshausen), der ewigen Zu-spät- und Zufrüh-Gekommenen (Cervantes, Lawrence Sterne), schließlich derjenigen Aufklärer, denen der enzyklopädisch-beschränkte Fleiß der Aufklärichte auf die Nerven ging (Voltaire mit »Candide«).

Die ersten Romantiker also waren Aufklärer über die Grenzen der Aufklärung, sie forcierten die Eigengesetzlichkeit der Kunst. Es waren Bewohner von Utopia, freie Geister. Oder wie Ludwig Tieck seine »Majestät Abraham Tonelli« sagen lässt: »Je älter ich ward, je mehr Lust verspürte ich zu einem wunderbaren Lebenswandel in mir.« Wir ahnen, Ironie hat etwas mit Leben zu tun. Ist Leben die Wahrheit einer Idee? Diesem Idealismus wandten Tieck und Friedrich Schlegel den Rücken. Lebendige Wahrheit kristallisiert sich in Erfahrung, nicht bloßem Aktionismus, sondern in gestalteter Form. Folgerichtig wird nun die Ironie selbst zum Thema.

Schlegel unterscheidet folgende Arten der Ironie: grobe, feine (oder delikate), extrafeine, redliche, dramatische, doppelte (sehr zur Freude von Kategorienfetischisten). Natürlich trieft hier alles Reden über Ironie bereits selbst vor Ironie. Dass Unmündigkeit Unmündigkeit bleibt, wo sich nicht der Einzelne als Einzelner daraus befreit, dass sich die Freiheit, wo sie sich Freiheit nennt, auch schon wieder lügt - diesen Instinkt für den lügnerischen Schein von Wahrheit haben die Ironiker. Und auch Marx sah bekanntlich die Freiheit des Einzelnen als Vorbedingung der Freiheit aller.

Im 19. Jahrhundert beginnen sich Erfahrungsräume zu revolutionieren, Zeit ist plötzlich nicht mehr die Zeit der Postkutsche, sondern die des Telegrafen und der Eisenbahn. Erinnerungsbilder werden mit fotografischen Abbildern konfrontiert - die Welt verkünstlicht sich in rasantem Tempo. Darum heißt es bei Friedrich Schlegel: »Schaffe dir Ironie und bilde dich zur Urbanität.« Am Ende erscheint Ironie dann folgerichtig als »klares Bewusstsein der ewigen Agilität, des unendlich vollen Chaos«.

Hier also beginnt das Positionsgerangel zwischen Hegel und den Romantikern um die Intention von Ironie. Hegel ist ein erklärter Feind der romantischen Ironie. Mit gutem Grund. Auf Ironie lässt sich kein System bauen. Den falschen Schein sieht Hegel in den Ich-Hypostasen der Romantiker. »Nach Neuem in der Sucht nach Auszeichnung und Auffallendem begierig«, so sein Urteil über die Schlegels in der »Ästhetik«. Beliebigkeit und Willkür ziehen für Hegel da herauf. Hegel macht mit der Ironie, was er noch mit dem letzten Staubkorn macht - er weist ihr einen Platz in den hinteren Reihen des Welttheaters des absoluten Geistes zu.

Robert Musil notierte einst, Ironie müsse etwas Leidendes enthalten, sonst sei sie Besserwisserei, und Charles Baudelaire pointiert: »Der Weise lacht nicht ohne Zittern.« Alexander Blok (Autor des christlich-revolutionären Epos »Die Zwölf«) vermeint, in Karl Kraus’scher Weise herablassend auf Heine blickend, in der Ironie die »Krankheit des ewig aufblühenden, aber ewig fruchtlosen Geistes« zu erkennen. Blok verficht slawophile Selbstverleugnung des Einzelnen als Heilmittel gegen den westlichen Individualismus, »jener maßlosen Verliebtheit, die in unseren eigenen Augen das Antlitz unserer Ikonen verzerrt und die leuchtenden Gewänder unserer Heiligen schwärzt«.

Sebastian Kleinschmidt, lange Jahre Chefredakteur der »Sinn und Form«, hat in seinem Aufsatz »Pathosallergie und Ironiekonjunktur« (»Gegenüberglück«, Matthes & Seitz 2008) die Ironie als »das schöne Haus des Vorbehalts, die nüchterne, hochreflektierte Gegeninstanz zum Pathos« beschrieben. Eigentlich will Kleinschmidt in seinem Text das Pathos vor einem Übermaß an Dekonstruktion schützen. Aber gleichzeitig, so weiß er, gilt es, die echte Ironie (auch sie erwächst wie das Pathos aus dem Schmerz!) zu schützen, und befindet: »An echter Ironie herrscht im Gegenteil eklatanter Mangel.«

Denn Pathos und Ironie halten nur aufeinander bezogen ein geistiges Niveau hoch: »Sonst haben wir am Ende den traurigen Fall, dass einem verbrauchten Pathos eine ermattete Ironie gegenübersteht.«

Zur Verhandlung also steht das Individuum. Was ist es? Das demütig dienende Glied einer höheren Mission, oder selbstgewiss revoltierend - wogegen auch immer?

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.