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Shades of Grey
Das Wundermittel gegen graue Haare suchen Forscher noch immer
Graue und weiße Haare sind das erste sichtbare Anzeichen des Alterns. Manchmal beschleunigen Schicksalsschläge den Prozess des Ergrauens. Wenn schon in jungen Jahren graue Haare durch die Naturfarbe schimmern, spielen Erbfaktoren eine Rolle. Karin Wagner* war noch keine dreißig, als sie ihre blonden Haare regelmäßig nachfärben ließ, um die grauen Schatten zu übertönen. »Meine Mutter hatte auch schon so früh graue Haare, genau wie meine Oma«, sagt die Mittdreißigerin.
Wie es dazu kommt, dass Haare grau oder weiß werden, haben Wissenschaftler schon vor einigen Jahren erforscht. Ebenso wie für die Hautfarbe ist das Pigment Melanin auch für die Färbung der Haare verantwortlich. Dabei sorgt Eumelanin für eine schwarze oder braune Haarfarbe, während Phämelanin den pigmentierten Hornfäden, wie Wissenschaftler die Kopfhaare bezeichnen, helle bis rötliche Töne verleihen. Melanin wird in den Pigmentzellen, den sogenannten Melanozyten, gebildet. Ein Mangel an Melanin hat eine Depigmentierung zur Folge. Statt der farbgebenden Pigmente lagern sich dann allmählich Luftbläschen im Haarschaft ein, die das weiß werdende Haar zwischen einer dunkleren Naturfarbe grau erscheinen lassen.
Doch was ist der Auslöser dafür, dass die Pigmentzellen keine Farbstoffe mehr im Haar einlagern? Mit zunehmendem Alter produziert der menschliche Körper weniger Aminosäuren vom Typ Tyrosin, der Substanz, die für die Produktion von Melanin entscheidend ist. Forscher konnten entschlüsseln, dass Wasserstoffperoxid den molekularen Mechanismus hinter dem senilen Ergrauen steuert. Dabei breitet sich das landläufig bekannte Bleichmittel zunehmend im alternden Körper aus und hemmt die Melanin-Produktion. Wasserstoffperoxid gilt als Nebenprodukt des Stoffwechsels und wird permanent gebildet, aber normalerweise durch das Enzym Katalase ebenso zuverlässig wieder abgebaut. Im Alter kann der Körper den bleichenden Wirkstoff nicht mehr so gut entsorgen. Die schützenden Kontrollmechanismen des neutralisierenden Katalase-Enzyms in den Zellen haben dann ihre Leistungsfähigkeit verloren. Damit kann sich das Wasserstoffperoxid ungehemmt ausbreiten und das für die Farbstoffbildung entscheidende Enzym Tyrosinase außer Gefecht setzen.
Die Erkenntnisse der molekularen Biophysiker der Universität Mainz hatten das Interesse der Chemiker und Dermatologen einiger Kosmetikunternehmen geweckt. Sie machten sich auf die Suche nach einer biologischen Alternative zum Tönen und Färben mit chemischen Mitteln, um die Spuren des Alterns auf dem Kopf gleichsam im Keim zu ersticken. Dabei schwebte den Experten ein biologisches Präparat vor, mit dem das Ergrauen der Haare schon vor dem Wachsen verhindert werden könnte. Ein Wundermittel gleichsam, mit dem sich ein wachsender Markt nach ewiger Jugend bedienen ließe. Es sei viel in die Forschung investiert worden, so Adolf Klenk. Der einstige Leiter der Abteilung Forschung und Entwicklung der Kurt Wolff-Group, der nunmehr als Ruheständler nur noch in Teilzeit für das Unternehmen tätig ist, weiß aus Erfahrung, dass die Entwicklung von kosmetischen Wirkstoffen teuer ist: »Die Forscher müssen neue Mittel sorgfältig prüfen und unerwünschte Nebenwirkungen ausschließen«. Kaum verwunderlich also, dass sich die Entwicklung vorerst in Renaturierungsprodukten wie Repigmentierungs-Cremes erschöpft, wie bei der Henkel Beauty Care zu erfahren war. Dabei handelt es sich allerdings nur um eine Art Tönung auf chemischer Basis, aber nicht um ein biologisch wirksames Mittel, wie noch vor wenigen Jahren vom ehemaligen Forschungsleiter Thomas Förster verkündet: »Wir suchen nach einer Substanz, die am Haarfollikel ansetzt, von außen oder durch Nahrungsergänzungsmittel«, so der heute freiberufliche Chemiker.
Dass graue Haare nicht nur lästige Begleiterscheinungen des Alterns, sondern mitunter sogar nützlich sind, zeigt sich in der Tierwelt. Anders als bei den Menschen können bei Tieren graue Haare genetisch angelegt sein. Mäuse etwa haben in der Mehrzahl von Geburt an graues Fell. Bei Tierarten wie dem Polarfuchs oder Schneehasen dient die weiße Fellfarbe im Winter und das bräunliche Fell im Sommer als Tarnung vor Fressfeinden. Das bemerkenswerteste Beispiel für graue Haare in der Tierwelt ordnen die Wissenschaftler dem Schimmel zu. »Dieses Pferd wird mit einer vererbbaren Genmutation, dem sogenannten Grey-Gen geboren« erklärt Arne Ludwig. Aber auch sonst sei bei Tieren das Ergrauen des Alters verbreitet: »Theoretisch können alle Tiere im Alter ergrauen«, so der Wissenschaftler am Leibniz-Institut für Zoologie und Wildtierforschung in Berlin. Vor allem langlebige Tierarten werden mit den Jahren grau. Gorillas etwa. Bei dieser Affenart beginnt der Prozess mit dem zwölften Lebensjahr. Das ließe sich aber eher im Zoo beobachten. In freier Wildbahn würden Tiere selten so alt, dass sie komplett ergrauen. Die Silberrücken genießen dann innerhalb ihrer Gruppe hohes Ansehen: »Die grauen Haare gelten als Ausdruck für Langlebigkeit und damit für besonders ausgeprägte Fitness«, erklärt Ludwig. Wenn die Fitness allerdings nachlasse, seien sie der natürlichen Selektion ausgesetzt. Auch bei Menschen kann der grau melierte Haarschopf attraktiv wirken. Der Schauspieler George Clooney etwa strahlt mit seinen altersgrauen Haaren eine gewisse Erotik aus. Wann genau der Frauenschwarm ergraut ist, lässt sich nicht nachvollziehen. Generell geht man aber davon aus, dass sich bei Europäern und Amerikanern durchschnittlich mit 34 Jahren die ersten grauen Ansätze zeigen. Bei Afroamerikanern kommen die ersten grauen Haare in der Regel im Alter von 44 Jahren zum Vorschein. In jedem Fall sind die Variationen weit gespannt: »Der Zeitpunkt des Ergrauens ist genetisch bedingt«, da sind sich die Forscher einig. Ob man mit 30 Jahren ergraut oder die ursprüngliche Haarfarbe bis ins hohe Alter bewahrt, das sei selbst mit Blick auf die Eltern schwierig zu bestimmen. Eine recht sichere Aussage über den Zeitpunkt des eigenen Ergrauens lasse sich erst bei einem Rückblick auf drei Generationen treffen. Beim Entdecken der ersten grauen Haare sollte man jedenfalls nicht in Panik geraten. Es ist ein langsamer Prozess, bevor das Ergrauen die komplette Frisur erfasst hat. Dass ein Mensch über Nacht total ergraut, sei ein Mythos, so die Biophysiker der Universität Mainz. Lange Zeit hatte sich dieser Mythos um Marie Antoinette erhalten. Warum die französische Königin nach ihrer Inhaftierung vorschnell ergraut ist, haben Wissenschaftler für Stammzell- und regenerative Biologie aufgedeckt. Stresssignale der Nervenzellen hatten bei der Gattin des französischen Königs Ludwig XVI. das frühe Ergrauen ihrer Haare ausgelöst. Das in großen Mengen ausgeschüttete Stresshormon Noradrenalin hatte eine Art zellulare Supernova ausgelöst, bei der sich die Melanin-Zellen in überhöhter Geschwindigkeit teilen, damit vorzeitig altern und bald darauf absterben. Nicht über Nacht, aber binnen kurzer Zeit wachsen dann nur noch farblose Haare nach, die der Betrachter als weiß oder grau wahrnimmt.
*Name geändert
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