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Kein Grund zu feiern
Die Berliner Ausstellung «Maria und der Paragraph» zeigt die 150-jährige Geschichte des Gesetzes, das Abtreibungen unter Strafe stellt
Verdammt, ich bin schwanger!« steht in großen, weißen Buchstaben auf der grauen Wand. Das sind Marias Gedanken, eine fiktive Frau, die symbolisch für so viele steht. Im vergangenen Jahr haben sich in Deutschland rund 100 000 Personen mit Uterus für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden. Dabei sind Abtreibungen hierzulande immer noch eine Straftat, sie werden lediglich nicht strafrechtlich verfolgt, wenn gewisse Umstände gegeben sind, etwa nach einer Vergewaltigung oder bei gesundheitlichen Risiken. Aber der Paragraph 218 des deutschen Strafgesetzbuches lautet: »Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.« Seit 150 Jahren gibt es den sogenannten Abtreibungsparagraphen.
Diesen Jahrestag nimmt das Münzbergforum am FMP1 in Berlin-Friedrichshain zum Anlass, die Problematik aufzugreifen. Die Ausstellung »Maria und der Paragraph« beleuchtet die rechtliche Lage bezogen auf Schwangerschaftsabbrüche der vergangenen 150 Jahre. »Wir möchten darauf aufmerksam machen, dass es schon sehr lange Kritik am Paragraphen 218 gibt und mit der Ausstellung eine Diskussion anregen«, sagt Ella Jenkins, Teil des Konzeptionsteams.
Die fiktive Maria begegnet den Besucher*innen direkt am Eingang der Ausstellung. Ein Chatverlauf mit ihrem Partner gibt Einblicke über mögliche Gefühle, die bei einer ungewollten Schwangerschaft aufkommen können. Doch bis zum gesetzlich verpflichtenden Beratungsgespräch für eine legale Abtreibung, müssen sich die Besucher*innen durch ein Wirrwarr von geschriebenen und gesprochenen Meinungen irgendwelcher Personen schlagen. Immer in Begleitung von Maria, begeben sie sich auf eine Zeitreise rückwärts: Vom Heute zu den 90er Jahren und der deutschen Wiedervereinigung, im Zuge derer das Gesetz der BRD für alle gültig wurde und somit ehemalige DDR-Bürger*innen das Recht auf legale Abtreibung verloren.
Anschließend wird die Teilung Deutschlands mit einer hohen Mauer durch den Raum symbolisiert. Nach einem kurzen Gang durch die Nachkriegszeit gleiten die Besucher*innen in den widerwärtigsten Abschnitt der deutschen Geschichte: Auch in der NS-Zeit waren Schwangerschaftsabbrüche Thema. Nicht zur Selbstbestimmung der Frauen, sondern als ein Mittel, mit dem anhand rassistischer Selektion entschieden wurde, wer sich fortpflanzen durfte und sollte und wer nicht.
Tiefer in die Vergangenheit tauchend folgt die Weimarer Republik. Als letzte historische Etappe dienen die Anfänge der Sexualforschung und die Aufklärung. In dieser Zeit war es für die Frauenbewegung der Oberschicht möglich, sich intellektuell in der damals üblichen Salonkultur über Verhütungsmethoden oder Abbrüche auszutauschen, während den Arbeiter*innen der Zugang zu bestimmten Informationen schwerer gemacht wurde.
An jeder Station begegnet man ihr wieder: Marias Silhouette steht in einer Ecke und bringt neben den theoretischen und historischen Fakten die persönliche Ebene ins Spiel. Sie nimmt unterschiedliche Perspektiven ein und zeigt so diverse Missstände auf. Mal ist Maria trans-Mann Marius, mal ist sie eine sogenannte Engelmacherin und führt illegale Schwangerschaftsabbrüche durch und mal schlüpft sie in die Rolle einer jungen Frau, die wegen des Klassismus ihrer Eltern zu einer Abtreibung genötigt wird. »Uns war wichtig, der Komplexität der Entwicklung von Schwangerschaftsabbrüchen gerecht zu werden und den Fokus gleichzeitig nicht aus dem Auge zu verlieren, dass es um einzelne Schicksale geht«, sagt Jenkins.
Neben der fiktiven Maria ziehen sich Protestplakate der verschiedenen Epochen, Zeitungsartikel und vergrößerte Fotografien durch die Ausstellung.
Für die Konzeption der Ausstellung hat das Münzenbergforum mit der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften in Salzgitter zusammengearbeitet. Studierende haben multimediale Installationen erstellt und so weben sich Stimmen der gegenwärtigen Sichtweise durch die historische Ausstellung.
Am heutigen Donnerstag um 19 Uhr findet eine digitale Podiumsdiskussion zum Abtreibungsparagraphen 218 als Auftaktveranstaltung der Ausstellung statt. »Um mehr Menschen auch außerhalb von Berlin zu erreichen, haben wir zusätzlich ein Podcastformat entwickelt«, sagt Jenkins. In neun Folgen spricht Jenkins mit Expert*innen, Betroffenen oder Zeitzeug*innen rund um das Thema Schwangerschaftsabbrüche.
Außerdem seien Openair-Filmvorführungen in Planung, allerdings ist ungewiss, ob die Corona-Pandemie diese zulassen wird.
»Maria und der Paragraph«, 1.April bis 30. Mai, FMP1, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin. Ein Ausstellungsbesuch ist nur mit Voranmeldung und unter Hygienemaßnahmen möglich, u.a. ist ein negatives Corona-Testergebnis vom selben Tag erforderlich. Ab dem 5. April ist eine Online-Version von »Maria und der Paragraph« frei zugänglich. Alle Infos unter: www.mariaundderparagraph.de
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