Die Freizeit endet im Baseballstadion

Der Sport in den USA wollte stets politikfrei sein. Das kann er sich nun nicht mehr leisten. Von Oliver Kern

Denver ist das neue Atlanta. Die Major League Baseball (MLB) hat vor gut einer Woche entschieden, ihr Allstar-Spiel am 13. Juli nicht mehr in der Südstaatenmetropole Atlanta auszutragen. Am Dienstag folgte die Ankündigung, dass die beste Baseballliga der Welt ihre Stars lieber am Rande der Rocky Mountains Homeruns schlagen lässt. Das hatte nichts damit zu tun, dass ein Baseball in der »Mile High City« Denver weiter fliegt. Nein, die Entscheidung war politisch, und das ist für die MLB etwas ganz Neues.

Baseball galt im 20. Jahrhundert als beliebteste Sportart in den USA, als »America’s pastime«, ein Freizeitvergnügen, bei dem die Fans dem Alltag - und damit auch der Politik - entfliehen konnten. Dass der Sport unpolitisch sei, stimmte natürlich nie: Vor Spielen wird die Hymne gesungen, an manchen Tagen treten Spieler in Camouflage-Trikots an, um die Soldaten des Landes zu ehren. Für die Fans ist das aber nicht politisch, sondern »nur« patriotisch. Außerdem ist das in anderen Sportarten wie Basketball und Football nicht anders.

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Der weiße Sport

Was Baseball aber lange von den anderen unterschied, war der Rassismus. Bis 1947 durfte kein Schwarzer in der MLB spielen, weshalb sich als Gegenbewegung sogar »Negro Leagues« gründeten, die sich bis in die 60er Jahre hielten. Auch heute noch zieht es die meisten jungen Schwarzen eher zum Basketball oder Football, wo sie die Mehrheit der Spieler stellen. Im Baseball dagegen sind sie mit knapp acht Prozent gegenüber Weißen und Latinos klar in der Minderheit. Unter den Eigentümern der 30 Teams findet sich mit Magic Johnson auch nur ein Schwarzer, der Rest: weiße Männer.

Das macht die Verlegung des Allstar-Spiels umso bemerkenswerter, denn damit protestierte die MLB gegen ein neues Wahlgesetz im Bundesstaat Georgia, dessen Hauptstadt Atlanta ist. Im November und Januar hatten die Republikaner hier Wahlniederlagen erlitten und deswegen sowohl die Präsidentschaft als auch ihre Mehrheit im US-Senat verloren. Der Grund dafür war die herausragende Arbeit linker Aktivisten, um ihre schwarzen Wähler an die Urne zu bringen. Der republikanische Gouverneur Georgias, Brian Kemp, ließ daraufhin das neue Gesetz verabschieden, das es künftig erschwert, per Briefwahl abzustimmen oder Wahlzettel in sogenannte Dropboxes einzuwerfen. Diese Möglichkeiten hatten besonders Schwarze in in den USA genutzt, da die Republikaner in vielen Bundesstaaten immer mehr Wahllokale in mehrheitlich von Schwarzen bewohnten Bezirken geschlossen hatten, was zu langen Schlangen führte. Mit dem neuen Gesetz ist es nun sogar verboten, in einer solchen Schlange wartenden Menschen Essen und Trinken anzubieten.

Gesetze, die die Wahlbeteiligung von Schwarzen unterdrücken sollen, verabschieden die Konservativen in den USA seit mehr als 100 Jahren. Der Unterschied zur Vergangenheit ist, dass die Liberalen sich das nicht mehr gefallen lassen und öffentlich Druck machen - auch auf Unternehmen und Sportveranstalter.

Der gespielte Zorn

Spätestens seit dem Mord am Schwarzen George Floyd durch einen weißen Polizisten vor einem Jahr und den anschließenden Massenprotesten kann es sich auch die MLB nicht mehr leisten, ihren Sport als politikfreie Zone zu bezeichnen. Der US-Profisport wird generell politisiert. Basketballer tragen Protestshirts und knien bei der Hymne. Das US-Masters der Golfer, das stets von einer alternden Legende eröffnet wird, schickte am Donnerstag Lee Elder vor, der 1975 als erster Schwarzer überhaupt bei dem Turnier in Georgia hatte spielen dürfen. Im Football und Baseball werden rassistische Teamnamen und Logos geändert. Und nun verlegt die MLB ihr zuschauerträchtigstes Spiel des Jahres mit einer unmissverständlichen Begründung: »Wir unterstützen das Stimmrecht für alle Amerikaner und lehnen Beschränkungen an der Wahlurne ab«, schrieb Commissioner Robert Manfred in einem Statement.

Die Konservativen spielen die Erzürnten, reden von Zensur und »Cancel Culture«. Dabei antworten sie selbst mit Boykottaufrufen. In einer Pressemitteilung schrieb Ex-Präsident Donald Trump mit Bezug auf die Baseballliga und andere Unternehmen, die sich gegen das Gesetz ausgesprochen hatten: »Es ist Zeit für Republikaner und Konservative, sich zu wehren. Boykottiert die MLB, Coca-Cola, Delta Airlines, JP Morgan Chase, ViacomCBS, Citigroup, Cisco, UPS, und Merck.« Allerdings zeigte kurz danach ein Twitter-Bild Trump wieder mit einer Coca-Cola-Flasche auf dem Schreibtisch.

Heuchelei ist nicht nur konservativen Politikern vorzuwerfen. Generell ist die MLB bislang kaum über ein paar Debatten und Symbolhandlungen, wie die Verlegung eines Spiels oder das Verzichten auf ein Logo, hinweggekommen. Derlei Symbolpolitik macht nicht die Verfehlungen der Vergangenheit wett, auch wenn die MLB das gern so hätte. »Die Verlegung des Allstar-Spiels ist nur das jüngste Beispiel dafür, wie die Liga versucht, den Schaden an ihrem Image möglichst klein zu halten. Es ist eher Zufall, dass diese Schadenskontrolle diesmal gleichbedeutend damit war, das Richtige zu tun«, kommentierte ESPN-Sportjournalist Howard Bryant.

Weder die Liga noch die protestierenden Unternehmen seien Helden in dieser Geschichte, schrieb er weiter. »In den Wochen, in denen das Gesetz debattiert wurde, waren sie alle still. Sie haben es geschehen lassen und versuchen jetzt - viel zu spät - sich gegen diesen Vorwurf zu repositionieren.« Nicht mehr als ein erster Schritt also, der aus Angst vor Schmach und finanziellen Verlusten gegangen wurde. Aber immerhin: Es war einer in die richtige Richtung.

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