Mit Sparpaketen in die Krise
Vor 20 Jahren fuhr Argentinien gemeinsam mit dem Währungsfonds die Wirtschaft an die Wand. Von Martin Ling
An Wirtschaftskrisen ist Argentinien nicht arm. Aber keine Krise ging bisher tiefer als jene von 2001/2002, in deren Gefolge auch die Bewegung der Fábricas Recuperadas entstand, bei der sich die Arbeiter*innen brachliegender oder aufgegebener Betriebe bemächtigten, um sie in Eigenverwaltung zu betreiben.
Argentinien taumelte seit 1998 mehrere Jahre durch eine schwere Rezession. Das Wachstum stagnierte, der Peso war per Gesetz an den Dollar gekoppelt, was eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt mittels Abwertung ausschloss. Es folgte Sparpaket auf Sparpaket. Diese führten immer tiefer in die Krise.
Nachdem der Internationale Währungsfonds (IWF) im Dezember 2001 die Auszahlung einer weiteren Kredittranche versagte, löste dies die Zahlungsunfähigkeit Argentiniens aus. Die Regierung des sozialliberalen Fernando de la Rúa griff zur Notstandspolitik: Um die Kapitalflucht einzudämmen, verfügte sie im Dezember 2001 das Einfrieren der Bankguthaben. Millionen argentinische Sparer*innen verloren große Teile ihrer Guthaben. Unvergessen die dramatischen Weihnachtstage, als mehr als die Hälfte der argentinischen Bevölkerung in die Armut abrutschte und der politischen Klasse auf den Straßen die Parole »Que se vayan todos« (Sie sollen alle abhauen) entgegengeschmettert wurde.
Übergangspräsident Adolfo Rodríguez Sáa verkündete nach dem Rücktritt de la Rúas in der letzten Dezemberwoche des Jahres 2001 die Einstellung des Schuldendienstes. Damals stand das Land mit mehr als 100 Milliarden Dollar bei Gläubiger*innen auf der ganzen Welt in der Kreide. Anfang 2002 hob der neue Präsident Eduardo Duhalde dann die seit 1991 gesetzlich festgeschriebene Bindung der Landeswährung Peso an den Dollar auf, die bedeutende Teile der heimischen Exportwirtschaft wegen der sukzessiv angestiegenen Überbewertung in den Ruin getrieben hatte.
Binnen weniger Tage gaben sich damals fünf Präsidenten die Klinke der Casa Rosada in die Hand. Erst ab der Regierungsübernahme von Néstor Kirchner im Mai 2003 beruhigte sich die Lage wieder.
Die Saat für die tiefe Krise 2001/2002 hatten indes die Vorgänger von de la Rúa gelegt. Schon während der bis dato letzten Militärdiktatur von 1976 bis 1983 wurde unter dem Wirtschaftsminister José Alfredo Martínez de Hoz auf Deregulierung und Liberalisierung gesetzt und die Auslandsverschuldung hochgetrieben. Hatte 1976 die Staatsverschuldung neun Milliarden US-Dollar betragen, so erreichte sie sieben Jahre später 46 Milliarden US-Dollar. Auch die Deindustrialisierung setzte unter den Militärs ein, die mit einem überbewerteten Wechselkurs Waffenkäufe verbilligten und argentinische Industrieexporte erschwerten.
Die Liberalisierungs- und Deregulierungsspirale drehte dann vor allem Carlos Menem (1989 -99) weiter. Die Einfuhrzölle wurden minimiert; Unternehmensgewinne wurden niedriger besteuert als in den USA; die Mehrwertsteuer, die alle zahlen, wurde massiv erhöht. 2001/2002 entlud sich der Frust über die Verarmung auf der Straße.
Die jetzige Mitte-links-Regierung ist derweil unter anderem damit beschäftigt, den 44-Milliarden-Dollar-Kredit beim IWF, den die neoliberale Vorgängerregierung von Mauricio Macri aufgenommen hatte, so sozialverträglich wie möglich umzuschulden. Denn Argentinien steckt - verschärft durch die Corona-Pandemie - auch jetzt wieder tief in der Krise.
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