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Schulen müssen noch viel lernen

Im zweiten Lockdown leiden Schulkinder mehr - die psychischen Belastungen wachsen

Nichts war mehr normal für die Schüler*innen, als vor nunmehr einem Jahr die Schulen von einem Tag auf den anderen geschlossen wurden. Und doch hat sich mittlerweile aus dem Ausnahmezustand eine neue Routine herausgebildet. Studien dazu gibt es nur wenige. Sie helfen aber, einen Überblick zu geben - wie effektiv das Distanzlernen ist, ob die Fördermaßnahmen bei denen ankommen, die sie am meisten brauchen, und nicht zuletzt, wie belastend die Pandemie für die Schulkinder ist.

Das Münchner Ifo-Institut hat am Dienstag die Ergebnisse einer Erhebung vom Februar und März präsentiert. Bundesweit hat es 2122 Eltern zur Situation ihrer Kinder befragen lassen und herausgefunden, dass die tägliche Lernzeit der Kinder noch immer weit hinter der Vorkrisenzeit zurückbleibt. Demnach haben Schulkinder in diesem Frühjahr durchschnittlich 4,3 Stunden pro Tag mit schulischen Tätigkeiten verbracht. Das ist zwar eine knappe Dreiviertelstunde mehr als während der ersten Schulschließungen im Frühjahr 2020. Damals hatte das Institut eine erste Befragung gestartet. Offenbar haben sich die Schulen besser auf die Pandemie eingestellt. Aber im Vergleich zu einem üblichen Schultag vor der Coronakrise sind es noch immer rund drei Stunden weniger. »Besonders bedenklich ist, dass 23 Prozent der Kinder sich nicht mehr als zwei Stunden am Tag mit der Schule beschäftigt haben«, sagte der Leiter des Ifo-Zentrums für Bildungsökonomik, Ludger Wößmann.

Auch nach einem Jahr Ausnahmezustand läuft der Distanzunterricht noch immer nur schleppend. Lediglich ein Viertel der Schüler*innen hatte der Umfrage zufolge täglich Unterricht mit der gesamten Klasse, beispielsweise per Videoschaltung. Dagegen gaben 39 Prozent der Eltern an, ihr Kind lerne nur einmal in der Woche im Klassenverband. Immerhin sind die meisten Lehrkräfte mittlerweile für die Schüler*innen im Homeschooling besser zu erreichen als noch vor einem Jahr; sei es per Telefon, über WhatsApp oder E-Mail, die Kommunikation hat sich deutlich verbessert, wie aus der Befragung hervorgeht.

Aber noch immer werde im Distanzunterricht an den meisten Schulen vor allem mit Aufgabenblättern gearbeitet, erklärte Katharina Werner, eine der Autorinnen der Studie. Offensichtlich mangelt es vielerorts noch immer an pädagogischen Konzepten fürs Homeschooling. Es wundert daher nur wenig, dass mit 56 Prozent die Mehrzahl der Eltern fand, ihr Kind lerne zu Hause weniger als im regulären Unterricht; 22 Prozent der Eltern behaupteten das Gegenteil.

Besorgniserregend ist, dass vor allem leistungsschwächere Schüler*innen und Nicht-Akademikerkinder zu Hause nicht so effektiv und konzentriert arbeiten können. Insbesondere sie drohen bei einem weiteren Distanzunterricht, den Anschluss zu verlieren, weil sie den Unterrichtsausfall des vergangenen Jahres nicht kompensieren können.

Damit Schüler*innen Bildungsrückstände aufholen können, hat die Bundesregierung eine Milliarde Euro für weitere Nachhilfeprojekte in Aussicht gestellt; Formate dafür werden gerade entwickelt und sollen noch vor den Sommerferien präsentiert werden.

Während des zurückliegenden Jahres haben der Umfrage zufolge bereits 21 Prozent der Schulkinder am Förderunterricht oder an Ferienkursen teilgenommen - und sehr unterschiedlich davon profitiert, sagte Wößmann. Auffallend sei, dass Kinder aus Akademikerfamilien überdurchschnittlich oft die Förderung in Anspruch genommen hätten, viele andere Bedürftige dagegen nicht.

Trotzdem arrangiert sich eine Mehrheit der Familien noch immer mit der anhaltenden Ausnahmesituation. 71 Prozent der Eltern gaben an, dass sie mit den Umständen gut zurechtkommen. Die Stimmung hat sich aber im Vergleich zum ersten Lockdown deutlich verschlechtert. Für jedes zweite Kind bedeute eine Schulschließung mittlerweile eine große psychische Belastung, weiß Wößmann. Ein knappes Drittel der Eltern berichtet, dass ihr Kind an Bewegungsmangel leidet und in den vergangenen Monaten zugenommen habe. Und drei von vier Kinder litten erheblich darunter, dass sie nicht wie gewohnt ihre Freund*innen treffen können. »Die Coronakrise ist eine extreme Belastung für die Lernentwicklung und die soziale Situation vieler Kinder«, schließt Wößmann daraus.

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