Das Krokodil

Hassliebe: Deutscher Sonderweg? Zur Debatte um die Historikerin Hedwig Richter

  • Niklas Weber
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist 2026, Historiker*innentag im Flussbad Berlin-Mitte. Strahlender Sonnenschein, von Westen her weht ein laues Lüftchen und umspielt das goldene Kreuz auf der Schlosskuppel, auf dem geschrieben steht: »Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn in dem Namen Jesu, zur Ehre Gottes des Vaters. Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.« Hä? Egal, kann ja eh kein Mensch lesen, viel zu weit weg. Das Volk liebt sein Schloss, es ist kein Sondervolk mehr, sondern erwachsen geworden, und ein erwachsenes Volk kann auch mal zugeben, dass es ein paar Dinge nicht versteht. Die Eliten werden schon wissen, was sie tun, sie meinen es gut.

Der Historiker Heinrich August Winkler steht am Badeingang und verteilt Flyer gegen die Atombewaffnung der Bundeswehr und für den deutschen Sonderweg. Touristen aus aller Welt, die eigentlich ins Flussbad wollten, greifen beherzt zu. Am Zaun drücken sich die armen Kinder aus dem letzten Plattenbau der Fischerinsel, die kürzlich an ein Hedgefondsimperium vertickt worden ist. Hedwig Richter winkt ihnen von drinnen zu, die Kinder freuen sich. Patrick Bahners von der FAZ fläzt auf einem Louis-seize-Liegestuhl und tippt auf seinem Smartphone rum. Neben ihm steht der Historiker Thomas Weber, der extra aus Großbritannien angereist ist, und bläst ein Krokodil auf. »Darf das Volk unter einem Schloss auf aufblasbaren Krokodilen reiten?«, fragte die FAZ vor ein paar Jahren. Die Frage ist entschieden, es darf, die Geschichte schreitet weiter voran.

An der Flussbadbar sitzen die Linken, sie trinken Bier und diskutieren auf Englisch oder Französisch, es geht um Globalgeschichte, Entanglements, Modern Monetary Theory und das Erbe des Poststrukturalismus. Doktorand*innen planschen im türkisgrünen Wasser der Spree, der Mittelbau hockt im Schatten und schreibt noch kurz einen DFG-Antrag fertig. Auf dem Sprungbrett chillen die Nestoren und überblicken die Szenerie: Ach guck mal, da ganz hinten in der Ecke, mitten im Gestrüpp verstecken sich Karlheinz Weißmann und Götz Kubitschek. Sie haben riesige Sonnenbrillen auf und lesen ein Buch. Wir lesen doch nur ein Buch, sagt der Götz, als der Bademeister kommt. Keine Chance, Hausverbot. Die Zunft applaudiert, kein Fußbreit dem Faschismus! Klare Kante gegen rechts!

Der bekannte Zeithistoriker Peter Hoeres fragt, ob jemand Lust hat, Erster Weltkrieg zu spielen. »Die Linken könnten die Russen sein, der Mittelbau die Franzosen, die armen Kinder die belgischen Franctireurs und Thomas Weber die Engländer; Amerika spielt nicht mit. Die Nestoren, ich und das Krokodil sind die Deutschen und diesmal gewinnen wir, auf der Höhe des neuen Forschungsstands. Na, wäre das was?« Hedwig Richter winkt (ab?), die anderen haben keinen Bock, würden sich aber als Schiedsrichter zur Verfügung stellen. Es können nicht alle Schiri sein, sagt Hoeres. Dann halt nicht, sagt die Zunft. David Engels vom Netzwerk Wissenschaftsfreiheit protestiert gegen den vorzeitigen Spielabbruch. Ein klarer Fall von Cancel Culture! Bahners twittert irgendwas Kompliziertes, die einen lachen, die anderen nicht.

Heinrich August Winkler kommt dazu und fragt, ob es Streit gibt, er würde gerne mitmachen. Nein, es gibt keinen Streit, schreien alle gleichzeitig. »Okay schade«, sagt Winkler, wirft ein paar Flyer und geht wieder raus. Hedwig Richter winkt. Weber rennt hinterher und zeigt ihm die gelbe Karte: Letzte Verwarnung! Das Urteil wird diskutiert, war das nicht ein bisschen übertrieben? Vielleicht sogar ad hominem? Und als gerade niemand aufpasst, krabbeln die Kinder unter dem Zaun hindurch ins Flussbad, schnappen sich das Krokodil und schwimmen davon, dem offenen Meer entgegen.

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