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- Folgen der Eskalation in Nahost
Israels Suche nach einer Regierung
Der blutige Konflikt zwischen Hamas und Israel wirft mögliche Parteienkoalitionen über den Haufen
Der Anruf kam eine Stunde vorher, alle müssten raus, so schnell wie möglich, sagte die Stimme am Telefon, und in Gaza fragt man nicht, ob das ein Scherz ist. Etwa 60 Minuten später lag das Hochhaus in Schutt und Asche. Im Gebäude waren auch Büros der Nachrichtenagentur Associated Press (AP) und des arabischen Nachrichtensenders Al-Dschasira - alles zerstört durch einen Angriff der israelischen Luftwaffe. Die Begründung: In dem Hochhaus hätten sich auch Einrichtungen der Hamas befunden, die den Gazastreifen seit 2007 kontrolliert und sich nun zum vierten Mal mit Israel im Krieg befindet.
Tausende Raketen prasselten innerhalb einer Woche auf Städte in Israel nieder, abgefeuert von den Al-Kassam-Brigaden, para-militärischer Flügel der Hamas, und dem Islamischen Dschihad, kleinere, aber um einiges radikalere Gruppe. Die israelische Armee flog hunderte Luftangriffe, bei denen anders als früher auch die politische Führung der Hamas zum Ziel wird. In der Nacht zum Sonntag wurde das Haus von Jahya Sinwar, De-facto-Regierungschef in Gaza, zerstört; Sinwars Verbleib war zunächst unbekannt.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Überhaupt mangelt es in dieser Auseinandersetzung an belastbaren Informationen. Während der Corona-Pandemie haben viele der meist frei arbeitenden ausländischen Journalist*innen die Region verlassen müssen, weil die Aufträge massiv eingebrochen waren und keine europäische oder amerikanische Regierung Auslandskorrespondent*innen finanziell unterstützte. Die kurzfristige Einreise ist durch die Reisebeschränkungen immer noch äußert schwierig.
»Die Welt wird nun weniger darüber erfahren, was in Gaza passiert«, teilte AP-Präsident Gary Pruitt nach dem Angriff mit. »Wir haben einfach keine Strategie«, kritisiert Merav Michaeli, Chefin der sozialdemokratischen Arbeitspartei: »Gewalt wird mit Gewalt beantwortet und niemand spricht auch nur von einem Ziel.« Man werde so lange weiter machen, bis die Hamas ihre Niederlage eingestehe, betonte Regierungschef Benjamin Netanjahu am Samstagabend einmal mehr. Dem Treffen des UN-Sicherheitsrats am Sonntag blicke er gelassen entgegen.
Und seine potenziellen Koalitionspartner stellten erneut klar, dass sie das so wollen und auch nichts anderes akzeptieren werden: Die ultra-rechte Religiös-Zionistische Partei, deren Funktionäre und Gefolgschaft bei den Ausschreitungen zwischen Araber*innen und Jüd*innen in der vergangenen Woche in vorderster Reihe mit dabei waren, fordert gar einen Einmarsch in den Gazastreifen. Naftali Bennett, Chef der der Siedler*innenbewegung nahestehenden Partei Jamina, sprach sich indes für eine vollständige Zerstörung der militärischen und politischen Strukturen der Hamas aus.
Ein Schritt, vor dem Netanjahu während des Gazakrieges 2014 noch aus gutem Grund zurückschreckte: Offiziell gehört der Gazastreifen immer noch zu den Palästinensischen Autonomiegebieten, die von Präsident Mahmud Abbas regiert werden. Doch tatsächlich haben weder Abbas noch seine Fatah-Fraktion irgendeinen Einfluss auf den dicht besiedelten Landstrich. Es herrschen dort völlig andere gesellschaftliche, politische und rechtliche Strukturen. Bricht die Hamas-Regierung zusammen, stellt sich die Frage, wer dann Gaza kontrollieren soll.
Doch in der aktuell schwierigen politischen Lage in Israel werden Zukunftsthemen kaum besprochen. Man weiß ja nicht einmal, wer in ein paar Tagen an der Macht sein wird. Offiziell mit der Regierungsbildung beauftragt ist Jair Lapid, Chef der zentristischen Zukunftspartei, der unbedingt Netanjahu absetzen will; dieser muss sich zusätzlich zum Regierungsalltag und zur Kriegsführung auch nicht mit einer Korruptionsanklage auseinandersetzen. Inoffiziell verhandeln aber auch Netanjahu und Bennett über eine Regierungsbildung. Bennett hatte ursprünglich Lapid seine Unterstützung zugesagt, war aber im Angesicht des Gaza-Konflikts wieder davon abgerückt. Nun spricht er mit dem amtierenden Premier über eine Koalition und versucht sich gleichzeitig selbst an einer Regierungsbildung. Denn: Scheitert Lapid, kann Präsident Reuven Rivlin die Knesset damit beauftragen, eine*n Abgeordnete*n aus ihren Reihen für die Regierungsbildung auszuwählen. Dazu müsste es aber auch eine Wahrscheinlichkeit geben, dass das passieren wird. Doch jenseits dieser drei Parteien hat sich wenig geändert: 13 Fraktionen umfasst das Parlament; neben den altbekannten Namen - dem Likud, den beiden ultra-orthodoxen Parteien, der Zukunftspartei, der Arbeitspartei und der linksliberalen Meretz - gibt es noch die beiden Neuparteien Blau-Weiß von Ex-Generalstabschef Benny Gantz und die »Neue Hoffnung« von Gideon Saar, ehemals Parteifreund von Netanjahu, der inzwischen mit ihm verfeindet ist. Aufteilen lassen sich die Fraktionen in drei Lager: Jene, die mit Netanjahu koalieren wollen; jene, die das keinesfalls tun wollen; und zwei Parteien, Jamina und die eher konservative arabische Raam, denen es egal ist. Raam war deshalb nach der Wahl im März überraschend zum Zünglein an der Waage geworden; ihr Vorsitzender Mansur Abbas ist offen dazu bereit, die Partei als erste arabische Fraktion überhaupt in die Regierung zu führen. Mit Beginn des Konflikts hat er dies allerdings erst mal auf Eis gelegt: »Eine solche Regierung wäre zu schwach, um die Herausforderungen zu meistern«, sagte er und verwies auf die jüdisch-arabischen Ausschreitungen. Doch de facto ist eine Beteiligung Raams an einer Netanjahu-Regierung ausgeschlossen, weil der auch die Religiös-Zionisten bräuchte - und die sind strikt dagegen. Ohne Überläufer hat Netanjahu keine Mehrheit.
Politische Ausrichtungen und Wahlprogramme spielen derweil nur bei der Arbeitspartei und der Meretz eine Rolle: Beide wollen keine Netanjahu-Regierung und sind gleichzeitig mehr denn je bemüht, die eigenen Vorstellungen für das Israel der Zukunft zu betonen. »In einer Zeit, in der sich die Gesellschaft gegenseitig bekämpft, brauchen wir Visionen«, sagt Merav Michaeli.
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