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Pandemie im Halbdunkel
Großflächige Werbeplakate erschweren Mietern das Leben in ihren Wohnungen
Wie schwer einem der Lockdown fällt, hängt auch von den Wohnverhältnissen ab. Mit ausreichend Platz und einem Balkon lässt es sich mitunter besser aushalten als in einer kleinen Wohnung. Besonders schwierig mit dem Zuhausebleiben wird es, wenn nicht einmal Tageslicht in die Wohnung dringt. Das Immobilienunternehmen Deutsche Boden scheint das nicht zu stören. »Wir leben wie in einem Hochbunker«, scherzt einer ihrer Mieter aus der Charlottenburger Kaiser-Friedrich-Straße 49, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte.
Seit September 2020 sind mit Unterbrechungen fast alle seine Fenster von monatlich wechselnden Werbeplakaten verhangen. Gerade ist es der Sportartikelhersteller Adidas, es warb aber auch schon einmal ein arabisches Land für sich als Urlaubsziel. Während die einen mit Sonnenstrahlen Touristen anlocken wollen, ist es bei den Mietern tagsüber dunkel. Nachts sorgt die Beleuchtung des Werbeplakats für erhellte Zimmer. Der Mieter beklagt nicht nur höhere Stromkosten und eine eingeschränkte Lüftungsmöglichkeiten. Er sagt auch: »Wir werden hier alle langsam depressiv, gerade während der Corona-Pandemie, in der man sowieso weniger raus kann und viel zu Hause arbeitet.«
Laut Bauordnung kann Gerüstwerbung für maximal sechs Monate genehmigt werden. Durch die Unterbrechungen im Dezember, Februar und März wurde dieser Zeitraum laut dem Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf eingehalten. Einen Antrag auf Gerüstwerbung für Juni lehnte der Bezirk schließlich wegen der zeitlichen Begrenzung ab. Mieter selbst können sich gegen Gerüstwerbung kaum wehren. So legt die Bauordnung ihr Augenmerk auf das Straßenbild und die Sicherheit des Verkehrs. Von der Gesundheit der Mieter oder der Wohnqualität wird in Bezug auf Gerüstwerbung nicht gesprochen. Unter Umständen kann der Rechtsweg aber Erfolg versprechen. Das Amtsgericht Charlottenburg verurteilte beispielsweise 2017 einen Vermieter zum Entfernen eines Werbeplakats, das zuletzt an einem Gerüst hing, ohne dass dort Bauarbeiten stattfanden.
Einen anderen Weg sind Mieter der Deutsche Boden gerade in der Hermannstraße 233 gegangen. Seit Anfang Mai hing an ihrem Haus ein Werbebanner von Adidas. Die Mieter beschwerten sich beim Sportartikelhersteller. Am vergangenen Mittwoch bestätigte Adidas dann auf nd-Anfrage, dass ein für Sommer geplantes Werbeplakat am Haus zurückgezogen wurde und das bestehende Anfang dieser Woche abgenommen wird.
Allzu große Hoffnung sollten sich die Mieter allerdings nicht machen. Bei einem anderen Fall vergangenes Jahr in Charlottenburg erreichte eine Hausgemeinschaft, dass ein Ölkonzern sein Werbeplakat abnahm, es folgte aber kurze Zeit später die Werbung des nächsten Unternehmens. Dass die Deutsche Boden nach dem Protest der Mieter in der Hermannstraße klein beigeben könnte, darf bezweifelt werden. »Die Hausverwaltung rief bei einer Bewohnerin an und kündigte an, dass Schadensersatzforderungen geprüft würden, sollte Adidas als Werbepartner abspringen«, sagt Dominik Erhard aus dem Haus in Neukölln. Auch der Mieter aus Charlottenburg kennt solche Einschüchterungsversuche. »Wer sich beschwert, bekommt von der Verwaltung einfach keine Antwort, und wer hartnäckig bleibt, dem wird dann gedroht.« Das fehlende Tageslicht ist nicht das einzige Problem, mit dem er sich an die Deutsche Boden gewandt hat. »Im Keller und dem vermüllten Hof raschelt es überall wegen der Ratten, wir hatten auch schon monatelang kein Licht im heruntergekommenen Treppenhaus und im Winter fallen oft die Thermen für Heizung und Warmwasser aus.« Wegen des Werbebanners hat er seine Miete schließlich selbst gemindert.
Geld wird in dem Haus aber anscheinend nicht nur mit der Gerüstwerbung gemacht. Immer öfter würden auch einzelne Zimmer meist an EU-Ausländer vermietet. Auf einer Online-Plattform findet sich unter der Adresse beispielsweise ein Zimmer mit zwei Einzelbetten für 659 Euro im Monat. »Es ist erwähntes Ziel, die Stammmieter loszuwerden, um hochpreisig einzelne Zimmer kurzzeitig zu vermieten«, meint der Mieter. Auch die neuen Nachbarn in den Einzelzimmern würden über die Mietbedingungen klagen. »Allerdings sind diese Mieter leider viel zu unsicher und ängstlich, um sich zu beschweren oder sich auch nur irgendwie zu wehren.«
Auf derselben Online-Plattform werden ebenso Zimmer für das Haus in Neukölln angeboten. So berichtet Dominik Erhard: »Aktuell wird in einigen Wohnungen im Haus der Grundriss verändert, damit hier Einzelzimmer vermietet werden können.« Das Haus steht aber im Gegensatz zu dem in Charlottenburg im Milieuschutzgebiet, Eingriffe dieser Art müssen deshalb vom Bezirk geprüft werden. Der Sprecher von Bezirksstadtrat Jochen Biedermann (Grüne) bestätigt auf nd-Anfrage, dass Hinweise auf Grundrissänderungen eingegangen seien und diesen derzeit nachgegangen wird.
Das Unternehmen Deutsche Boden wiederum ließ mehrere nd-Anfragen zu den Werbebannern und den Einzelzimmern unbeantwortet.
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