Kein Pizza-Exzess am Abend

Wissenschaftler sind uneins, wie sich Kalorien auf verschiedene Mahlzeiten verteilen sollten

  • Angela Stoll
  • Lesedauer: 6 Min.

Morgenmenschen scheinen ganz schön viel Glück zu haben. Sie springen energiegeladen aus dem Bett und können schon bei der ersten Dämmerung ein Riesenfrühstück verputzen. Möglicherweise fällt es ihnen dadurch leichter, ihr Gewicht zu halten: Es gibt Hinweise darauf, dass der Körper am Morgen mehr Energie verbrennt, große Kalorienmengen am Abend dagegen stärker auf die Hüften schlagen. Ist es also gesund, morgens zu futtern und abends zu fasten? »Einseitige Aussagen stimmen so oft nicht«, gibt der Ernährungsmediziner Hans Hauner von der TU München zu bedenken. »Man sollte dem Rechnung tragen, dass beim Ernährungsverhalten nicht alle gleich sind.«

Tendenziell sprechen Studien dafür, dass Frühstück-Fans tatsächlich besser dran sind. »Es wirkt sich günstiger auf den Stoffwechsel aus, wenn man mehr Kalorien in der ersten Tageshälfte als in der zweiten zu sich nimmt«, sagt Olga Ramich, Leiterin der Forschungsgruppe Molekulare Ernährungsmedizin am Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE). In diese Richtung geht auch eine Studie der Sektion Psychoneurobiologie der Uni Lübeck. Darin erhielten 16 normalgewichtige Männer entweder ein kalorienreiches Frühstück und ein kalorienarmes Abendessen oder umgekehrt. Nach den Mahlzeiten wurde die nahrungsinduzierte Thermogenese (NIT) gemessen, die anzeigt, wie viele Kalorien der Körper in Wärme umgewandelt hat. Dabei stellte sich nach Angaben der Universität heraus, dass das Frühstück im Vergleich zum Abendessen zu einer 2,5-fach höheren NIT führte. Außerdem stiegen der Blutzucker- und der Insulinspiegel nach dem Frühstück im Vergleich zum Abendessen viel weniger stark.

Eine wichtige Rolle spielt dabei die Hormonproduktion, die sich je nach Tageszeit unterscheidet: Morgens wird unter anderem vermehrt das Stresshormon Cortisol, abends vermehrt das Schlafhormon Melatonin ausgeschüttet. Das hat weitreichende Auswirkungen auf den Stoffwechsel. »Es ist nicht gut, zu spät zu Abend zu essen«, sagt Ramich. »Zwischen Mahlzeit und Schlaf sollten mindestens drei Stunden liegen.« Spätabends stellt sich der Körper auf Ruhe ein und der Stoffwechsel ist nicht mehr auf Energieverbrauch ausgelegt. Daher legt man bei nächtlichen Mahlzeiten eher zu, außerdem wird der Schlaf dadurch beeinträchtigt. Dass es problematisch ist, entgegen der inneren Uhr zu leben, zeigen auch Untersuchungen an Schichtarbeitern: Sie haben ein erhöhtes Risiko für Übergewicht, Schlafstörungen und Diabetes.

Das alles dürfte Menschen vom Chronotyp Lerche freuen, die sich gern an das viel beschworene »Frühstücken wie ein Kaiser« halten. Aber was ist mit Morgenmuffeln? Sollten sie sich in der Frühe widerwillig Vollkornbrot, Müsli und Ei einverleiben? »Es ist umstritten, ob ein großes Frühstück wichtig ist«, sagt Hauner. »Ich würde das eher verneinen. Wer gerne ausgiebig frühstückt, kann das gerne tun. Wer nicht, muss auch nicht.« Nachteulen legt Hauner aber zumindest ein leichtes Frühstück ans Herz: »Ein Müsli mit fettreduzierter Milch ist ein guter Start in den Tag.« Wer morgens komplett fastet, läuft nämlich Gefahr, später vor lauter Heißhunger zu viel zu essen.

Anette Buyken, Professorin für Public Health Nutrition an der Universität Paderborn, steht der These vom gesunden Frühstück noch skeptischer gegenüber. »Die Behauptung, ein großes Frühstück diene der Prävention von Übergewicht, ist an sich schon widersinnig.« Eine Metaanalyse von Interventionsstudien habe vielmehr gezeigt, dass ein Verzicht aufs Frühstück leicht gewichtsreduzierend wirke. »Es ist kein Drama, wenn jemand ohne Frühstück aus dem Haus geht«, betont sie. Um Heißhunger im Verlauf des Tages zu vermeiden, sei für viele »Eulen« ein spätes Frühstück in Büro oder Schule sinnvoll. Überhaupt muss der Chronotyp Buykens Meinung nach bei Ernährungsempfehlungen viel stärker berücksichtigt werden. »Ist es schädlich, gegen den Chronotyp ›anzuessen‹? Das ist bislang noch eine Forschungslücke.« Eine Studie, die sie und ihr Team gerade beendet haben, soll das Thema voranbringen. Zunächst wurde der Chronotyp von 327 Studenten ermittelt. In der zweiten Stufe bekamen die 45 Teilnehmer, die besonders ausgeprägte Lerchen oder Eulen waren, Mahlzeiten zu bestimmten Tageszeiten und wurden anschließend untersucht. Die Forscher wollten herausfinden, ob sich die Blutzuckerantwort auf eine Mahlzeit mit ungünstigen Kohlenhydraten unterscheidet, wenn Lerchen sie sehr spät und Eulen sie sehr früh verzehren. Bis Ergebnisse vorliegen, wird es aber noch ein paar Monate dauern. »Wir haben sehr viele Daten erhoben«, sagt Buyken.

Es kommt aber nicht nur auf die Uhrzeit, sondern auch auf die Zusammensetzung der Mahlzeiten und den individuellen Gesundheitszustand an. So konnten Olga Ramich und ihr Team in einer Studie zeigen, dass Fette und Kohlenhydrate je nach Uhrzeit unterschiedlich vom Körper verarbeitet werden. »Bei gesunden Menschen spielt das keine Rolle«, sagt Ramich. »Wer aber ein hohes Risiko für Diabetes oder bereits eine Vorstufe davon hat, sollte es vermeiden, abends große Mengen an Kohlenhydraten zu sich zu nehmen.« Ein Teller Nudeln oder Torte - das sollte es zu später Stunde also nicht sein. Mit einem leichten Süppchen oder einem Salat sind Menschen, die schon ein paar Pfunde zu viel haben, besser bedient.

Noch günstiger könnte es sich auswirken, wenn man sehr früh oder überhaupt nicht zu Abend isst, gibt Buyken zu bedenken. Nach zehn Stunden ohne Nahrung beginne der Körper mit der Ketogenese, ein Stoffwechselzustand, in dem vermehrt Fett abgebaut wird. »Die Frage ist aber: Schafft man das? Das Abendessen hat schließlich auch eine wichtige soziale Funktion.« Nach einem langen Arbeitstag ohne befriedigende Mahlzeiten genießen viele Paare und Familien nämlich ein großes, gemeinsames Essen. Hauner sagt: »Ein Problem, das viele haben, ist: Tagsüber sind sie gestresst, deshalb schlagen sie abends über die Stränge.« Eine Packung Kekse zum Nachtisch oder eine Flasche Wein nebenher - dazu kann es dann leicht kommen. Daher rät er, auf die Zusammensetzung des Abendessens zu achten. Ähnlich sieht das Buyken: »Vor allem sollte man große Mengen ungünstiger Kohlenhydrate vermeiden. Also: Statt der Riesenpizza lieber mal eine halbe Pizza mit großem Salat.« Hilfreich findet sie die Teller-Methode: Demnach soll Eiweiß (Fisch, Fleisch, Hülsenfrüchte) ein Viertel des Tellers bedecken, Beilagen (Nudeln, Reis) ein weiteres Viertel, Gemüse oder Salat die restliche Hälfte.

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Am Ende des Tages, findet Hauner, kommt es aber doch hauptsächlich darauf an, wie viele Kalorien man insgesamt zu sich genommen hat. Dass sich spätes Abendessen nicht unbedingt schlimm auswirkt, zeige der Vergleich mit anderen Ländern: Spanier etwa sind im Schnitt bestimmt nicht dicker als Deutsche, obwohl sie oft erst nach 22 Uhr üppig zu Abend essen. Dafür fällt ihr Frühstück oft kärglicher aus.

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