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»Deutschlands Diktat ist nicht akzeptabel«

Der Herero Israel Kaunatijke über das sogenannte Versöhnungsabkommen Deutschland-Namibia

»Ich bin froh und dankbar, dass es gelungen ist, mit Namibia eine Einigung über einen gemeinsamen Umgang mit dem dunkelsten Kapitel unserer gemeinsamen Geschichte zu erzielen.« So äußerte sich vor Wochenfrist der deutsche Außenminister Heiko Maas zum »Versöhnungsabkommen« zwischen Deutschland und Namibia. Das dunkelste Kapitel meint den deutschen Völkermord an den Herero und Nama zwischen 1904 und 1908, dem 65 000 der 80 000 Herero und 10 000 der 20 000 Nama im damaligen Deutsch-Südwestafrika zum Opfer fielen. Sind Sie als Herero auch froh und dankbar?
Keinesfalls. Und das gilt nicht nur für mich. Eine große Mehrheit der Herero und Nama sind weder über das sogenannte Versöhnungsabkommen noch über die Aussagen von Heiko Maas froh oder gar dankbar.

Der Vertrag soll aus Sicht der Bundesregierung insbesondere Herero und Nama fördern, mit Geld für Wiederaufbau und Entwicklung, Projekte in Bereichen wie Landreform, Landwirtschaft, Wasserversorgung und Berufsbildung. Was ist Ihre zentrale Kritik daran?
Der zentrale Punkt ist, dass die Bundesregierung schlicht sechs Jahre mit den falschen Leuten verhandelt hat: nicht mit den legitimierten Vertretern der Herero und Nama, sondern mit der namibischen Regierung und von der Regierung in Windhoek bestimmten sogenannten Herero-Vertretern, Mitläufern, aber keine legitimen Vertreter wie der Rat der Chiefs oder Paramount Chief Vekuii Rukoro von der Ovaherero Traditional Authority. Das ist das Problem.

Israel Kaunatjike

Israel Kaunatjike wurde 1947 in Okahandja, der Hauptstadt der Herero, in Namibia geboren. Seit 1970 lebt er in Berlin. Er ist offiziell als Anti-Apartheid-Kämpfer und Herero anerkannt. Kaunatjike ist aktiv beim Bündnis »Völkermord verjährt nicht! Berlin Postkolonial«. Mit ihm sprach Martin Ling über das »Versöhnungsabkommen« zwischen Deutschland und Namibia, das die Regierungen der beiden Staaten vor einer Woche geschlossen haben. Bei den Nachfahren des Völkermordes an Herero und Nama stößt es auf große Ablehnung. Am 8. Juni wird es im Parlament in Windhoek vorgestellt.

Die Büroleiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Windhoek, Freya Grünhagen, kann die Kritik nicht nachvollziehen. Sie schreibt: »Im sogenannten Chiefs’ Forum wurden die von den Gemeinden entsandten Delegierten während der sechsjährigen Verhandlungen nicht nur informiert, sondern auch im Hinblick auf das weitere Vorgehen instruiert. Das Forum blieb bis zum Schluss offen für neue Mitglieder, doch Gruppen wie die Herero-Fraktion um den sogenannten Paramount Chief Rukoro blieben bis zum Schluss fern. Insofern repräsentiert das Abkommen zwar tatsächlich nicht alle zentralen Opferverbände, aber diese Entscheidung wurde nicht von der Regierung getroffen, sondern von den Verbänden selbst.« Was sagen Sie dazu?
Das stimmt nicht. Es ist mir rätselhaft, woher Frau Grünhagen ihre Informationen herhat. Den legitimen Herero- und Nama-Vertretern wie unter anderem Paramount Chief Rukoro wurde nie angeboten, eigenständig an den Verhandlungen teilzunehmen, sondern nur als Teil der Regierungsdelegation, was sie ablehnten, weil die Herero und Nama nicht Teil der Regierung sind. Der Anspruch der Herero und Nama - nicht ihrer nicht legitimen Vertreter in der Delegation - ist »Alles über uns, ohne uns, ist gegen uns!«. Wir wollten und wollen direkt angesprochen und einbezogen werden. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Dieses Abkommen ist an fehlender Legitimität der Vertragsparteien gescheitert. Die Herero und Nama wussten bis zur Veröffentlichung nicht, was überhaupt im Detail drin steht. Wie sollen wir da zustimmen? Außerdem gibt es Herero und Nama in der Diaspora in Südafrika, Botswana, Nachkommen von damals Geflüchteten, die sich dem Vernichtungsbefehl von Lothar von Trotha entzogen. Was ist mit deren Rechten und Ansprüchen? Auch sie blieben außen vor. Das ist inakzeptabel. Das sind ungefähr 100 000 Menschen.

Von deutscher Seite wurde auch immer wieder betont, dass gar nicht klar sei, welche Autoritäten legitimiert sind, vom Genozid betroffene Bevölkerungsgruppen zu vertreten, und darüber auch in Namibia Uneinigkeit herrscht. Der Namibia-Sonderbeauftragte der Bundesregierung, Ruprecht Polenz (CDU), sieht deswegen nur die Regierung als legitimen Verhandlungspartner. Wie sehen Sie das?
Polenz’ Sicht ist total falsch. Es gibt anerkannte Paramount Chiefs von Herero und Nama. Wie kommt er dazu, so etwas überhaupt in die Welt zu setzen? Deutschland hat noch mal im neokolonialen Stil versucht, den Herero und Nama vorzuschreiben, was sie zu tun haben. Wir sind aber keine Befehlsempfänger von Deutschland. Die Herero und Nama müssen selber entscheiden, was sie wollen. So wie jetzt kann Versöhnung nicht erreicht werden. Die namibische Regierung hängt am Tropf der deutschen Entwicklungsgelder, und Deutschland nutzt das neokolonialistisch aus, um sein Abkommen durchzudrücken. Von Reparationen wird darin nicht geredet, sondern von Versöhnung und Wiedergutmachung, als ob man einen Völkermord wieder gutmachen könnte! Reparationen dürfen nicht mit Entwicklungszusammenarbeit vermengt werden. Da geht es um zwei grundsätzlich anders gelagerte Sachverhalte. Während der Verhandlungen haben sich die namibischen Oppositionsparteien zurückgehalten. Jetzt sagen alle, dieses Abkommen akzeptieren wir nicht. Das spricht für sich.

In der namibischen Presse ist von Genocide Agreement die Rede, Völkermordabkommen. Von Rukoro war die Ablehnung zu erwarten, nun hat aber auch der Rat der Chiefs der Volksgruppen der Herero und Nama das Abkommen zurückgewiesen. Die von der Bundesregierung angebotenen Unterstützungszahlungen in Höhe von 1,1 Milliarden Euro über 30 Jahre seien »eine schockierende Offenbarung«, »inakzeptabel« und ein »Affront gegen unsere Existenz«, erklärten Vertreter des von der namibischen Regierung anerkannten Rates der Chiefs in einer am Montag veröffentlichten Mitteilung. Der »beleidigende Betrag« werde abgelehnt. Muss das Abkommen nun generalüberholt werden?
Keine Frage. Die UNO hat 2007 ihre Deklaration über die Rechte der indigenen Völker verabschiedet, in der ihr Recht auf Selbstbestimmung festgeschrieben ist. Die Mehrheit der Herero und Nama hat diesen Anspruch. Deswegen wird dieses Abkommen jetzt abgelehnt, nicht nur von Rukoro, sondern auch vom Rat der Chiefs der Volksgruppen der Herero und Nama, die mit den Verhandlungen anfangs einverstanden waren. Die Summe von 1,1 Milliarden Euro entspricht übrigens der Entwicklungsmittel der vergangenen 30 Jahre. Die Entwicklungszusammenarbeit wird einfach verlängert und das als Wiedergutmachung für den Völkermord verkauft. Und was hat die Entwicklungszusammenarbeit den Herero und Nama gebracht? Nichts. Die Regierung kümmert sich nicht um die Herero und Nama. Und jetzt sagt Deutschland, wir bauen für euch Straßen? Durch das Gebiet deutschstämmiger Farmer? Wie soll das gehen? Die Landfrage ist nicht geklärt, nichts ist geklärt, das Abkommen ist zum Scheitern verurteilt. Man muss noch mal von vorn anfangen. 1951 hat es neun Monate gedauert, da saßen Israel und 23 jüdische Organisationen mit Deutschland am Tisch. Warum soll das nicht mit den Herero und Nama auch gehen? Dass Deutschland das Abkommen diktiert, geht nicht. Sonst kommt es auch nicht durchs Parlament.

Am 8. Juni stellt die Premierministerin Saara Kuugongelwa-Amadhila das Abkommen im Parlament vor. Kann die Regierungspartei Swapo das Abkommen durchdrücken?
Die Swapo, die mehrheitlich aus Ovambo besteht, kann nicht über die Herero und Nama befinden. Und Heiko Maas und Frank-Walter Steinmeier sollten ihre Reisepläne nach Namibia überdenken. Die sollten sich erst mal ein Beispiel an Willy Brandt nehmen. Der ging nicht zuerst ins Warschauer Parlament, der machte zuerst den Kniefall am Mahnmal des Warschauer Ghettos. Steinmeier und Maas sollten erst mal nach Waterberg gehen und sich entschuldigen. Das wäre ein Anfang.

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