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Buda und die Pest
Der Fußball hat in den vergangenen Monaten eine fatale Entwicklung genommen, meint Christoph Ruf
Nun sind also auch die letzten Spiele der Saison 2020/2021 ausgetragen. Die Nachwuchsmannschaften des SC Freiburg und von Borussia Dortmund werden in der kommenden Saison in der Dritten Liga spielen. Letztere dann zumindest, wenn eine Prüfung durch den Verband bestätigt, dass die drei Spiele, die die Borussia wegen einiger Coronafälle nachholen durfte, zu Recht vom Spielplan genommen wurden, weil der üppig besetzte Kader tatsächlich keine 16 spielfähigen Akteure mehr hergab. Andere Vereine haben zu Corona-Zeiten mit Ersatzspielern oder sogar A-Jugendlichen gespielt (und natürlich verloren). Man darf wohl dennoch davon ausgehen, dass Dortmund II keine Steine in den Weg gelegt werden. Das wäre ja auch unfair gegenüber den Bayern, für die in den vergangenen Monaten keine einzige Vorschrift gegolten zu haben scheint, die bei anderen angewandt wurde.
Vor ein paar Tagen traf ich einen alten Freund, O., Dortmund-Fan von Geburt an. Dass wir erst nach Mitternacht überhaupt auf das Thema Fußball zu sprechen kamen, liegt wohl auch daran, was sich in den letzten Monaten ereignet hat. So sieht es zumindest O., der berichtet, dass er anno 2021 kein einziges Mal die »Sportschau« gesehen hat. Dass ihm selbst die Ergebnisse seines Lieblingsvereines fast schon egal geworden sind. Dass er sich beinahe dazu zwingen musste, wenigstens das Pokalfinale anzuschauen. Ja, da hätten schon die Richtigen gewonnen, findet er, zumal die Falschen in dem Fall aus Leipzig kamen. Aber mitgefiebert hat er nicht. O. wird sich auch die EM nicht angucken.
Und was nächste Saison ist? Schulterzucken. Es gibt Wichtigeres als das Gezocke von Stars wie Haaland, über dessen Tore er sich nach wie vor nicht ärgert. Der aber selbstverständlich das Gelaber vom »nächsten Schritt« angestimmt hätte, wenn die Borussia sich nicht für die Champions League qualifiziert hätte. Er wäre weggegangen, wie es Marco Rose getan hat, dessen nächste Schritte von Gladbach nach Dortmund führten. Wie Rose, Haaland und Co. sich ab August schlagen, elektrisiert O. an diesem warmen Juniabend irgendwo in Europa nicht die Bohne. Das Gleiche gilt für die ganze Branche, sagt er. Man müsse schon bescheuert sein, wenn man so schnell vergesse, wie die großen Vereine nach Budapest flogen, um die nationalen Corona-Regeln zu umgehen und die jämmerlichen Kröten einzusammeln, die sie brauchen, um ihre Stars zu pampern. Mittlerweile war es halb eins geworden, wir beschlossen, das Thema Fußball wieder ruhen zu lassen.
Menschen wie O. gibt es derzeit viele. Auch in den Ultra-Szenen berichten viele, dass sie eine Distanz zum Fußball spüren, von der sie selbst noch vor wenigen Monaten gedacht hätten, dass die nie würde aufgehen können. Für die Großen der Branche mag das gar nicht mal das ganz große Problem sein. Im gleichen Urlaub, in dem ich O. traf, sah ich auch viele Teenager, die von ihren Eltern gerade erst mit den neuesten Fanartikeln von Bayern, BVB, PSG, Man City und Ähnlichem ausgerüstet worden waren. Ich sah auch einen Jungen, der eine Bayern-Shorts und ein PSG-Trikot gleichzeitig trug - es wächst also offenbar eine Generation nach, für die Spiele in Budapest und Söldnertrainer keinerlei Problem darstellen.
Dass von denen nicht mehr allzu viele die Trikots ihres Heimatvereins tragen, fällt allerdings auch auf. Für Vereine wie Mainz 05, Dresden, Bielefeld, Augsburg, Freiburg, Nürnberg (und für den gesamten Amateurfußball) und viele andere muss das nichts Gutes heißen. Man darf auch deshalb gespannt sein, wie sich die Branche weiterentwickelt. Ob künftig alle den Weg gehen, der zu Corona-Zeiten mit dicken Pflöcken markiert wurde und der von der rücksichtslosen Realitätsverweigerung verzogener Funktionäre geprägt wurde, denen jeder Bezug zum echten Leben längst abhanden gekommen ist?
Oder wird ein anderer Weg eingeschlagen? Der müsste zusammen mit den Menschen erarbeitet werden, die dann noch da sein werden, wenn sich die O’s dieser Republik endgültig vom Fußball abgewandt haben und andere zu Champions-League-Spielen von PSG und Co. fliegen. Dieser Weg kann nur über die eigenen Fans und Sympathisanten führen. Über Budapest führt er jedenfalls nicht.
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