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»Zahlt dafür und okay!«
Berlinale Panorama: In »Glück« erzählt Henrika Kull eine Liebesgeschichte zwischen zwei Sexarbeiterinnen. Ein Gespräch
Frau Kull, Sie erzählen in »Glück« eine zärtliche, leidenschaftliche Liebesgeschichte zwischen zwei Sexarbeiterinnen: Maria, einer jüngeren Italienerin, die neu in ein Berliner Bordell kommt, und Sascha, die aus einem kleinen Brandenburger Ort stammt. Wie haben Sie Ihre Protagonistinnen gefunden?
Adam Hoya, der sich inzwischen als Transmann geoutet hat, habe ich damals als Performerin Eva Collé in »Searching Eva« gesehen und dann durch die Regisseurin Pia Hellenthal persönlich kennengelernt. Sofort, als wir beim Casting die Kamera angemacht haben, habe ich mich in Eva verliebt. Ich habe gesagt: Das ist meine Maria. Dann haben wir eine passende Sascha gesucht, obwohl ich sie eigentlich zuerst besetzen wollte. Dieses Match-Casten hat sehr lange gedauert. Ich wollte jemanden finden, der mit Adams intuitivem, aber auch intensiv direktem Spiel - er ist ja kein Schauspieler - umgehen kann. Das mit Katharina Behrens ist dann sehr spontan passiert. Sie hat eigentlich nur ihren Sohn zum Casting begleitet, und ich fand sie vom Typ her total interessant.
Henrika Kull ist 1984 in Süddeutschland geboren. Sie hat an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf Regie studiert. Ihr Abschlussfilm »Jibril« feierte 2018 seine Premiere im Panorama der Berlinale, gewann mehrere Preise und kam deutschlandweit in die Kinos. Mit Henrika Kull sprach Inga Dreyer.
Die beiden haben sehr intime und sehr spontan wirkende Liebesszenen. Wie haben Sie die inszeniert?
Ich habe ihnen viele Freiheiten in ihrem Spiel gelassen. Natürlich mussten Adam und Katharina ihre Figuren sehr gut kennen. Wenn wir intime Szenen gedreht haben, waren wir nur zu viert: die Kamerafrau, ich und die beiden. Carolina Steinbrecher ist dieselbe Kamerafrau wie bei »Jibril«, meinem ersten Film, und sie wusste genau, um was es mir bei den intimen Szenen geht. Wir haben uns außerdem sehr viel Zeit gelassen, um diese Intimität zu ermöglichen. Die Sexszenen mit den Freiern hingegen waren viel stärker choreografiert, sollten technischer wirken, fast einstudiert, eben wie eine Performance.
Die Freier im Film haben Sie tatsächlich teilweise in dem Bordell getroffen?
Ja. Einige haben wir dort angesprochen, andere sind Laien oder Schauspieler. Mir war wichtig, dass wir eine Bandbreite an Leuten zeigen. Denn so habe ich es bei meinen Recherchen in den Jahren zuvor erlebt. Egal, ob im Flatrate-Bordell in Schöneberg oder im Edelbordell in Charlottenburg: In alle Bordelle kommen alle Arten von Männern - vom jungen BWL-Studenten bis zum älteren, gebrechlichen Mann. Häufig sind es Touristen. Das wollte ich erzählen.
Was hat Sie noch an dem Setting interessiert?
Ich habe schon sehr lange - auch als Soziologin - in Bordellen recherchiert. Als ich nach Berlin gekommen bin, habe ich für meine Filmhochschulbewerbung auch in einem Bordell gedreht. Ich war von diesen Orten immer sehr fasziniert, weil mich die Frauen und ihr Umgang miteinander interessiert haben. Wie sie miteinander geredet und einander angefasst haben, auch nachdem sie aus den Zimmern kamen, hatte für mich immer etwas sehr Besonderes, das ich unter Frauen sonst nicht kannte. Ich habe weiter recherchiert und habe gemerkt, dass einige der Frauen untereinander sehr zärtliche, verständnisvolle Beziehungen haben. Das hat mich interessiert. Ich fand es auch spannend, wie männliche Sexualität plötzlich zu etwas ganz Banalem wird und von den Frauen nicht mit Furcht, sondern eher manchmal mit Verachtung betrachtet wird. Die Frauen treten ihren Kunden jedenfalls sehr offen und reflektiert entgegen und können dadurch auf eine bestimmte Art frei sein, die ich faszinierend finde.
In Ihrem Film hat die Beziehung zwischen den beiden Frauen etwas Sanftes und Spielerisches, während die auch von Männern geprägte Außenwelt sehr nüchtern wirkt …
Ja, ich fand es faszinierend, dass Frauen sagen: Wenn ihr das wollt, dann kommt halt, zahlt dafür und okay. Dann macht halt euer Patriarchatsding. Ich habe immer wieder Diskussionen mit Feminist*innen, die sagen: Dass Sexarbeit überhaupt existiert, kannst du doch nicht okay finden. Natürlich ist der Status quo im Kapitalismus und im Patriarchat nicht super, wo Frauen es Männern irgendwie recht machen - auch wenn sie dafür bezahlt werden. Aber es ist eine ehrliche Form zu sagen: Wir leben in dieser Gesellschaft und ich lasse mich und meinen Körper nicht ausbeuten, und wenn, dann nehme ich Geld dafür. Ich verkaufe nicht meine Seele, ich verkaufe nicht meinen Körper, ich verkaufe eine Dienstleistung. Das ist etwas anderes als Menschenhandel und Zwangsprostitution. Diese illegalen Formen der Prostitution werden sehr groß gemacht, dabei machen das die meisten Frauen in Deutschland freiwillig - soweit man bei Arbeit im Kapitalismus von Freiwilligkeit sprechen kann. Ich finde es krass, dass wir in einer Gesellschaft leben, die so übersexualisiert und kapitalistisch ist, Frauen auf jegliche Art ausbeutet, die dann aber sagt: Durch die Sexarbeit wird die Heiligkeit des Frauseins angegriffen.
Sie sind gerade in Israel und recherchieren für ein neues Projekt. Was wird das sein?
Das ist noch sehr am Anfang. Bei mir ist es so, dass ich immer sehr lange recherchiere und mich stark von den Orten mitnehmen lasse. Als ich das erste Mal in Israel war, hat mich mein bester Freund mit an einen sehr faszinierenden Ort genommen, die Central Bus station in Tel Aviv, das ist so ein gigantomanischer, utopischer Riesenbau, eine Art Ufo mitten in der Stadt. Im Herbst war ich dann mit einer Artist Residence vom Medienboard Berlin-Brandenburg hier und habe gemerkt, dass mich dieser Ort nicht loslässt und die Intensität, mit der hier Welten aufeinander prallen. Ich möchte dort eine Art Sci-Fi-Dystopie erzählen, aber auch wieder eine Liebesgeschichte - zwischen einer deutschen Frau und einem israelischen Ex-Soldaten. Es geht um Identität, um Schuld und dem Versuch, ihr zu entkommen.
»Glück«: Deutschland 2021, Regie und Buch: Henrika Kull. Termine: 9.6., 21.30 Uhr: Freiluftkino Kreuzberg.10.6., 21.30 Uhr, Freiluftkino Friedrichshagen. Regulärer Start: 22. JuliDas »nd« bleibt. Dank Ihnen.
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