Infektionen als Trigger

Stress kann Schlaganfälle auslösen, aber andere Risikofaktoren haben größeren Einfluss

  • Angela Stoll
  • Lesedauer: 5 Min.

Stimmt es, dass Stress einen Schlaganfall auslösen kann?

Eine Reihe von Studien hat gezeigt, dass starke psychische Anspannung tatsächlich mit einem gesteigerten Risiko für einen Schlaganfall einhergehen kann. Man muss sich aber klarmachen, dass die Risikoerhöhung, die sich dadurch ergibt, im Vergleich zu anderen Risikofaktoren nicht sehr groß ist. Metaanalysen, also Übersichtsarbeiten, die andere Studien zusammenfassen, haben ein um etwa ein Drittel erhöhtes Risiko ergeben.

Interview
Armin Grau (62) ist Neurologe und seit 2003 Chefarzt für Neurologie am Klinikum Ludwigshafen. Er gehört dem Vorstand der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft an. Der Mediziner erklärt, was aus Studien zu den Risikofaktoren für einen Schlaganfall bekannt ist. Mit ihm sprach Angela Stoll über die Sorgen von Menschen, die ein solches Ereignis überstanden haben oder befürchten, dass sie zur Risikogruppe dafür gehören. ast

Das ist nicht wenig.

Es kommt darauf an, womit man es vergleicht. Bluthochdruck ist zum Beispiel ein deutlich mächtigerer Faktor - und Vorhofflimmern erst recht.

Welche Art von Stress ist besonders gefährlich? Überforderung am Arbeitsplatz, Beziehungskrisen, Geldsorgen ...

Das weiß man nicht so genau. Die Metaanalyse hat generellen Stress und Arbeitsstress zusammengefasst. Sie hat keine Einzelanalysen gemacht. Man unterscheidet ja zwischen positivem Stress, also Stress, der stimulierend wirkt und mit Befriedigung verbunden ist, und Stress, den wir als belastend empfinden. Mutmaßlich ist es nur der letztere, der die Risiken erhöht.

Muss auch ein gesunder Mensch mit einem Schlaganfall rechnen, wenn er längere Zeit großen Stress hatte?

In der Regel ist es so, dass Stress zu anderen Risikofaktoren hinzukommt, die in ihrer Summe meist viel bedeutsamer sind. Das sind vor allem hoher Blutdruck, Diabetes, hoher Cholesterinspiegel, Rauchen und Vorhofflimmern. Aber wir haben manchmal auch jüngere Menschen, bei denen man keine klassischen Risikofaktoren und Entstehungsmechanismen findet. Die Frage ist in solchen Fällen: Warum haben diese Menschen gerade einen Schlaganfall bekommen, warum nicht eine andere Erkrankung? Wer dauernd unter Hochspannung steht, hat ja generell erhöhte Krankheitsrisiken. Da ist es die ärztliche Aufgabe, zu schauen, ob es nicht doch - vielleicht seltene - Faktoren gibt, die zusätzlich zum Stress dazu führen, dass das Gehirn von einer Durchblutungsstörung betroffen ist.

Warum spielt Stress überhaupt eine Rolle?

Das ist nicht vollständig geklärt. Stress bedeutet auch eine Erhöhung des Blutdrucks, sei es kontinuierlich oder kurzzeitig in einer besonders stressigen Situation. Dadurch kann auch das Schlaganfallrisiko steigen. Ansonsten sind Psyche und Körper allgemein eng miteinander verbunden. Da gibt es eine Reihe von Mechanismen, die wir heute noch nicht alle verstehen.

Angeblich können auch tragische Nachrichten einen Schlaganfall auslösen. Ist so etwas wirklich möglich?

Auch das ist untersucht worden. Man spricht hier von »stressful life events«, also sehr belastenden Lebensereignissen. Manche Studien haben eine Verbindung entdeckt, andere nicht. Eine Metaanalyse hat hier insgesamt keinen statistisch signifikanten Zusammenhang gefunden. Das ist in der Wissenschaft also eine immer noch unbeantwortete Frage mit widersprüchlichen Ergebnissen. Aber im Einzelfall ist das bestimmt möglich.

Sind depressive Menschen stärker gefährdet?

Ja. Seit Langem ist bekannt, dass Depressionen ein Risikofaktor sind. Das mag hormonelle und andere Ursachen haben. Umgekehrt ist es so, dass ein Schlaganfall häufig selbst zu Depressionen führt. Mehr als ein Drittel der Menschen leiden im ersten Jahr nach dem Schlaganfall an einer sogenannten Post-Stroke-Depression.

Senken Entspannungstechniken und Psychotherapien das Risiko?

Dazu ist mir keine Studie bekannt. So etwas lässt sich auch schwer nachweisen. Ich glaube, am Ende ist es so: Je zufriedener wir sind in unserem Leben - und durch Entspannungstechniken erreichen wir ja oft eine höhere Zufriedenheit -, desto niedriger sind viele Krankheitsrisiken. Wir stärken unser Immunsystem und erreichen eine größere Widerstandskraft.

Was kann einen Schlaganfall sonst noch auslösen?

Grundsätzlich muss man zwischen Risiko- und Triggerfaktoren unterscheiden. Risikofaktoren sind solche, die kontinuierlich oder über längere Zeit vorhanden sind, also Bluthochdruck, Diabetes, Übergewicht. Die Frage ist aber, warum der Schlaganfall genau zu einem bestimmten Zeitpunkt entsteht. Viele Studien haben sich daher mit den unmittelbaren Auslösern, den Triggerfaktoren, beschäftigt. Das sind zum Beispiel kürzlich durchgemachte Infektionen, Operationen und Unfälle.

Spielen Infektionen eine große Rolle?

Ja. Man weiß, dass das Schlaganfallrisiko in den ersten vier Wochen nach einer Infektion ganz klar erhöht ist. Da spielen vor allem Atemwegsinfekte eine Rolle, aber auch Harnwegsinfekte und andere Infektionsherde im Körper. Jede Infektion löst eine Entzündungsreaktion aus, und diese geht mit einer Aktivierung des Gerinnungssystems einher. Dadurch ergibt sich für eine kürzere Zeit eine erhöhte Thromboseneigung. Man weiß auch, dass nicht infektiöse Entzündungserkrankungen und Autoimmunerkrankungen, die mit einer Entzündung einhergehen, zu einem erhöhten Schlaganfallrisiko führen.

Auch Covid-19 gehört dazu?

Absolut. Covid spielt hier genau die gleiche Rolle wie andere Infektionen auch. Dass es einen Zusammenhang zwischen Infektionen und Schlaganfall gibt, ist seit dem 19. Jahrhundert bekannt. Dazu haben zum Beispiel Leute wie Sigmund Freud, bevor er Psychiater wurde, gearbeitet. Später ist der Zusammenhang in Vergessenheit geraten, seit den 1980er Jahren aber wieder erforscht worden.

Ist es denn sinnvoll, Risikopatienten vorbeugend ein Mittel zur Blutverdünnung zu geben, wenn sie einen Infekt haben?

Das ist nie untersucht worden. Manche Hausärzte geben ihren Risikopatienten in solchen Fällen eine Zeit lang Aspirin. Aber Aspirin wird ja heute häufig zur Prophylaxe eingesetzt, wenn jemand Risikofaktoren hat - nicht nur zu Zeiten von Infektionen.

Kann eine Grippe-Impfung vor Schlaganfällen schützen?

Das ist eine gute Frage. Viele Studien haben zeigen können, dass eine Grippeschutzimpfung das Schlaganfallrisiko mindert. In der Wissenschaft ist aber umstritten, ob das ein echter, das heißt ursächlicher Effekt oder eine indirekte Folge ist. Menschen, die gesundheitsbewusster sind, werden nämlich auch häufiger geimpft. Daher könnte das geringere Schlaganfallrisiko auch auf der gesünderen Lebensweise beruhen. Das ist ein noch nicht ausreichend gelöstes Rätsel. Ich bin gespannt, wie das wird, wenn man Patienten mit und ohne Covid-19-Impfung hinsichtlich des Schlaganfallrisikos untersucht. Das wird noch eine spannende Sache.

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