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Mehr als ein Schokoherz

100 000 Sozialarbeiter bei freien Trägern in der Hauptstadt werden ungerecht bezahlt

  • Bosse Kröger
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Problem ist die Bürokratie. Zusammen mit unwilligen Arbeitgeber*innen und der komplizierten Refinanzierung der freien Träger über Bund, Land und Kommunen, verhindert sie vielerorts die Lohnangleichung von Sozialarbeiter*innen, die bereits 2017 vom Senat beschlossen wurde. Nach wie vor gibt es daher große ungerechtfertigte Lohnunterschiede im Sozialen Bereich, der mit seinen rund 100 000 Beschäftigten einen der größten Arbeitsmarktsektoren der Hauptstadt ausmacht.

Gegen diese Ungerechtigkeit demonstrierten am Sonnabend bei 35 Grad im Schatten rund 50 Beschäftigte von freien Trägern im sozialen Dienst vor dem Berliner Roten Rathaus. Dazu aufgerufen hatte die Gewerkschaft Verdi. Im Anschluss fuhren die Gewerkschafter*innen mit Fahrrädern zu unterschiedlichen Trägern, um auch dort auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen. Sie fordern die Angleichung ihrer Löhne an das Lohniveau des Tarifvertrags der Länder (TVL).

Politischer Wille allein reicht nicht

Die Beschäftigten hoffen angesichts der anstehenden Wahlen auf die Verwirklichung der schon vor langem getroffenen Vereinbarungen.»Im Jahr der Abgeordnetenhauswahlen in Berlin und der Tarifrunde der Länder möchten wir dafür sorgen, dass dieses Jahr zum Jahr der Aufwertung unserer Arbeit wird«, sagt dazu Christiane Kempe, Sozialarbeiterin beim AWO-Landesverband auf der Kundgebung. »Der politische Wille wurde klar formuliert, doch wo bleibt die Umsetzung durch Politik und Arbeitgeber«, fragt die Gewerkschafterin.

Organisierung organisieren

Zustimmung erntet sie bei ihrem Kollegen Dirk Heinke, der der Tarifkommission der AWO angehört. Ein großes Problem sei der niedrige gewerkschaftliche Organisierungsgrad der Sozialarbeiter*innen, erklärt Heinke. Dies liege unter anderem daran, dass das Feld in viele kleine Arbeitgeber zersplittert sei und viele kleinere Träger lieber den Betriebsfrieden hochhielten. »Manche Arbeitgeber gehen auf die Gewerkschaften zu, andere weigern sich gar mit uns zu reden«, so Heinke. Trotzdem lohnt es sich in die Gewerkschaft einzutreten und für einen einheitlichen Flächentarifvertrag einzusetzen, findet er. »Organisiert euch«, lautet deshalb die Botschaft des Gewerkschafters an seine Kolleg*innen.

Auch grundsätzlich werde Soziale Arbeit zu schlecht bezahlt, sagt Simone Scheffler, die beim Humanistischen Verband angestellt ist. Man sei auf der Straße, um zu fordern , »was uns zusteht«. Das die Arbeit mehr wert ist als das, was aktuell oft dafür gezahlt werde, habe gerade die Coronakrise gezeigt. Auch die Sozialen Berufe galten als sogenannte systemrelevante Berufe. Beschäftigte hielten die Notbetreuung in den Kitas und Schulen aufrecht - und federten so die sozialen Kosten der Krise ab, so Scheffler: »Wir Beschäftigte der freien Träger der Sozialen Arbeit halten unsere Stadt zusammen«. Die oftmals schlechte Bezahlung stelle zudem ein hohes Altersarmutsrisiko für viele dar. Besonders brisant sei dabei, dass dieses Risiko oftmals Frauen träfe, die in den Sozialen Berufen überdurchschnittlich oft vertreten sind und neben der Arbeit häufig auch noch unbezahlte Sorgearbeit verrichteten, führt sie weiter aus.

Coronaprämien sind ausgefallen

»Die Kosten der Krise sollen wir Arbeiter*innen tragen«, meint dazu Marcel Schwartz von der Stadtteilorganisation »Hände weg vom Wedding«, der auf der Kundgebung als Redner geladen war. »Die versprochenen Coronaprämien bestanden vieler Orts aus einer Dankeskarte oder einem Schokoherz, das kann nicht sein«, empört sich der Aktivist. »Während für die Dividenden der großen Konzerne Rettungspakete geschnürt wurden, versucht man bei uns den Rotstift anzusetzen«, so Schwartz weiter. Er versucht in dem Solidaritätstreff »Hart am Limit - Soziale Arbeit im Kapitalismus«, mehr Sozialarbeiter*innen gegen weitere Kürzungen zu organisieren. »Wir müssen für bessere Bedingungen Kämpfen, es lohnt sich«, findet der Aktivist.

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